SCHWARZWALD
Die Stadt Schönau produziert seit zehn Jahren eigenen Solarstrom. Eine Erfolgsgeschichte.
Eigentlich müsste die Stadt dem, der sich ihr im ersten Morgenlicht vom Berg her nähert, entgegenstrahlen, müsste blitzen und das Auge blenden. Aber nichts da, die Stadt liegt völlig gelassen da unten im Tal, das sich langsam nach rechts hin weitet und die Höhen des Schwarzwaldes hinter sich lässt. Sie erweckt nicht den Eindruck, etwas Besonderes zu sein, eine Stadt der Superlative. Der Kirchturm ragt in den blauen Himmel, darum gruppieren sich die Häuser der 2.500-Seelen-Gemeinde.
Man darf sich dieser Stadt eben nicht von der Schattenseite her nähern. Denn erst die Sonnenseite offenbart, was diese überschaubare Ansiedlung in der Nähe Freiburgs zu einem Vorbild für viele andere Gemeinden rund um die ganze Welt macht. "Solarhauptstadt in Deutschland" steht auf dem bunten Ortsschild aus Holz. Darüber "Luftkurort Schönau" und "Schöne Au - komm und schau". Ein paar hundert Meter hinter dem Schild steht auf der rechten Seite eine alte Maschinenhalle, frisch renoviert und mit der ersten Solaranlage des Tales auf dem Dach. Vor dem Gebäude weht eine blaue Fahne. Darauf steht: "EWS Elektrizitätswerke Schönau". Die EWS ist kein Energieriese wie Vattenfall oder die EnBW. Der Umsatz hat 2006 bei 24 Millionen Euro gelegen. 25 Mitarbeiter arbeiten hier für 53.000 Kunden. Und trotzdem ist die EWS eine Größe im Spiel der Großen. Denn sie bietet, was viele Energieversorger nicht bieten können oder wollen: Strom aus atomfreier Erzeugung.
Die Frau, die dieses Unternehmen leitet, ist Ursula Sladek. Klein, grauhaarig, mit randloser Brille und schlicht gekleidet. Der Weg von der Hausfrau zur Geschäftsführerin war weit. Angefangen hatte es 1986, als Block IV des ukrainischen Kernkraftwerks Tschernobyl in die Luft flog. Davor waren wir eigentlich gar nicht ökologisch eingestellt, gesteht Ursula Sladek ein. Als "Reingeschmeckte" hatten sie und ihr Mann sich nach dem Studium in Freiburg hier in Schönau niedergelassen, er mit seiner Arztpraxis beschäftigt, sie mit den fünf Kindern. Tschernobyl aber, das war wie eine Bombe. Zusammen mit Gleichgesinnten aus Schönau gründeten sie die Bürgerbewegung "Eltern für eine atomfreie Zukunft". Das tat noch niemandem weh, und das kleine Schwarzwaldstädtchen konnte weiter in Ruhe in seinem Tal vor sich hin schlummern.
Dann, 1990, kam die Revolution in die schöne Au. Damals wollte der regionale Energieversorger, die Kraftübertragungswerke Rheinfelden (KWR), den Versorgungsvertrag mit der Stadt um 20 Jahre verlängern. Die Sladeks und ihre Mitstreiter wollten die KWR zuerst nur dazu bewegen, Tarife einzuführen, die Stromsparen belohnen. Die aber weigerten sich. Da sagte die Bürgerbewegung dem Energieversorger-Monopolisten den Kampf an, gründete ein eigenes Energieversorgungsunternehmen und bewarb sich ebenfalls um die Stromkonzession. Und da begannen sich Gräben aufzutun im beschaulichen Schönau. Einige Bürger hatten Angst, bald im Dunkeln zu sitzen. "Die haben uns das eben nicht zugetraut", sagt Urusla Sladek ohne Groll, "die dachten sich eben, die Großen machen das schon seit Jahrzehnten und jetzt kommen auf einmal ein paar Bürger daher und wollen das auch machen, die verstehen doch gar nichts davon." Außerdem habe der bisherige Energieversorger nicht kampflos den Platz räumen wollen, habe Flugblätter verteilt und Ängste geschürt. Diese Zeit hat ihr und ihrem Mann viel abverlangt. Wochenlang keine Nacht vor zwei, drei Uhr ins Bett, tagsüber von Tür zu Tür gehen und Überzeugungsarbeit leisten. "Da saß ich manchmal morgens auf meiner Bettkante und hätte am liebsten geheult vor Erschöpfung."
Die 61-Jährige macht kurz halt auf der Treppe im Glockenturm der katholischen Kirche, die mitten in der Stadt steht. Oben angekommen geht sie an der Brüstung entlang und zeigt auf das, was man von unten nicht sehen kann, die Sonnenseite der Stadt. "Sehen Sie, auf dem Dach, und dort, und da drüben die Anlage, und dort Fotovoltaik." Tatsächlich, von hier oben blitzt es da unten, die Sonne tut das ihre dazu. Mit mehr als 25 Watt installierter Fotovoltaikleistung pro Einwohner hat sich Schönau den Spitzenplatz bei der Solarstromerzeugung in Deutschland errungen. Die EWS animiert ihre Kunden mit wirtschaftlichen Anreizen, in zukunftsorientierte, energiesparende Techniken zu investieren. Sladek zeigt auf ein besonders helles Glitzern am Hang: "Das ist die evangelische Kirche samt Gemeindehaus. Da liegt eine 50-Kilowatt-Fotovoltaikanlage drauf."
Unter diesem Kirchenvordach, mit einem Blick auf Schönau, der die hochmoderne Technik vor den Blicken versteckt, sitzt Peter Hasenbrink, Pfarrer der evangelischen Gemeinde. Auch er wollte damals eine Anlage aufs Dach, wollte damit etwas tun für die Erhaltung der Schöpfung. Und das gemeinsam mit anderen. Aber nicht alle wollten mit ihm. Der Graben, der durch die Stadt da unten ging, ging auch durch seine Gemeinde. Es gab sogar welche, die kamen deswegen weniger in die Kirche. "Es gab aber auch solche, die mehr und mehr nachgedacht haben", sagt Hasenbrink und wischt sich den Schweiß von der Stirn. "Wofür ist denn die Kirche da? Sie soll himmlische Energie in Kraft für den Alltag umwandeln. Dafür ist die Kirche und dafür ist die Solaranlage auf dem Dach da." 1995 ist er dann wie Pater Braun mit der Kirche unter dem Arm zum Oberkirchenrat nach Karlsruhe gefahren, wollte den Segen der Oberen für eine Fotovoltaikanlage auf seinem Kirchendach. Hasenbrink war überrascht - er lief offene Türen ein. "Für jede Mark, die ihr sammelt, bekommt ihr eine von uns", hieß es in Kralsruhe. Das Geld kam schnell zusammen dank Spenden und Beteiligungen. Heute ist jeder Zentimeter Dachfläche mit Solarzellen belegt - in Absprache mit dem Denkmalamt. "Sieht doch gut aus, oder?", meint der Mann mit dem runden Gesicht und den freundlichen Augen stolz. "Das Spendendach ist das Kirchendach, da soll es nicht um Profit gehen. Das Dach, das Gewinn einfährt, ist das Gemeindehausdach. Da haben Leute Geld investiert und bekommen nachher per Rendite was raus." Außerdem bleibt so viel Geld übrig, dass die Gemeinde nun anderen Kirchen finanziell unter die Arme greifen kann, die dem Schönauer Beispiel folgen wollen. Hasenbrink weiß, dass heute eigentlich alle Schönauer stolz sind auf das, was ihr kleines Städtchen weltweit bekannt gemacht hat. Und der Friede da unten ist nach zehn Jahren auch wiederhergestellt. "Die Lichter sind ja nicht ausgegangen."
Man könne so etwas auch nur gemeinsam mit anderen schaffen, meint Ursula Sladek nüchtern. Am Geld werde in der Regel gar nichts scheitern. Sie weiß, wovon sie spricht. Als 1996 ein zweiter und entscheidender Bürgerentscheid zur Übernahme des Stromnetzes für die Stromrebellen ausfiel, ging es an den Kauf der Konzession. Wenn die von einem Versorger auf den nächsten übergeht, dann muss der alte Stromanbieter das Stromnetz an den neuen verkaufen. So steht es im Gesetz. Die KWR verlangten 8,7 Millionen Mark. Sind die Leitungen etwa vergoldet, habe ihr Mann damals gefragt. Ursula Sladek lacht. Ihr eigenes Gutachten habe den Wert des Netzes auf gerade einmal 4 Millionen Mark festgesetzt. Die hätten sie dem Energieriesen auch auf den Tisch legen können. Das Geld sei durch Beteiligungen von Schönauern und einen Energiefonds der GLS-Bank zusammengekommen.
Und die restlichen 4,7 Millionen? Ja, das sei eine Zeit gewesen, in der viel Rotwein geflossen sei, bekennt sie. Durch Aktionen und Vorträge sammelten die Schönauer Gelder. Eine Frau aus Frankreich habe 25.000 Mark überwiesen, und weil sie sich so sehr über den Dankesbrief von Ursula Sladek gefreut habe, gleich noch einmal 25.000. Selbst die KWR zeigten sich beeindruckt von so viel Kampfeswillen und reduzierten ihren Preis nach und nach auf 5,8 Millionen Mark. 1997 war das Geld dann endlich beisammen, das Netz wurde gekauft und die EWS übernahm die Stromversorgung in Schönau.
Seitdem garantiert das Unternehmen atomfreien Strom. Beliefert 99 Prozent der Schönauer Haushalte und viele Kunden bundesweit. Die Störfälle bei Vattenfall hätten noch einmal einen Schub ausgelöst, erzählt Sladek und zeigt auf die Aktenordner an der Wand. Ein Drittel der Kunden, die die EWS heute hat, sind allein in diesem Jahr dazugekommen. Auch wenn sie es gar nicht sein will, Ursula Sladek, die 60 bis 70 Stunden die Woche arbeitet, ist berühmt geworden. Fernsehteams kommen sogar aus Japan, um das Unternehmen und die Frau dahinter kennenzulernen. Zusammen mit ihrem Mann hat sie dieses Jahr den Deutschen Gründerpreis verliehen bekommen. Eine echte Erfolgsgeschichte aus der schönen Au.
Die Autorin arbeitet als freie Journalistin für den Südwestrundfunk in Stuttgart.