ENERGIEVERSORGUNG DER ZUKUNFT
Die Preise müssen steigen. Damit auch die Produktivität zunimmt.
Ich liebe den Spruch "Prognosen sind schwierig, besonders wenn sie die Zukunft betreffen". Bei Wikipedia steht in diesem Zusammenhang auch ein Zitat des Computerwissenschaftlers Alan Kay: "Die beste Art, die Zukunft vorauszusagen, ist, die Zukunft zu erfinden." Seien wir also kühn und "erfinden" die Energieversorgung der Zukunft.
Ein deutscher Parlamentarier hat solche Kühnheit gezeigt: Hermann Scheer. Als Gründer und Präsident von Eurosolar hatte er schon lange auf erneuerbare Energien gesetzt, als 1998 die Mehrheitskonstellation im Bundestag einen Durchbruch für die Erneuerbaren möglich zu machen schien. Doch der Wirtschaftsminister wollte nicht mitmachen. Da sagte sich Hermann Scheer, dass schließlich die Gesetze vom Parlament und nicht von der Regierung beschlossen werden, und scharte Freunde um sich, um eine parlamentarische Mehrheit für das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) zu schaffen. Das gelang: ein in der Geschichte des Deutschen Bundestages seltener Vorgang! Eine Sternstunde des deutschen Parlamentarismus!
Es dauerte nicht lange, und die damalige Bundesregierung identifizierte sich mit dem neuen Gesetz, und als ein paar Jahre später eine Novelle anstand, wurde diese von einem breiten, überparteilichen Konsens getragen. Im Ausland wird das deutsche EEG allgemein gepriesen, und für die deutsche Wirtschaft und die Beschäftigungslage ist der frühe und massive Einstieg in die erneuerbaren Energien ein eindeutiger Segen.
Seien wir jedoch ehrlich: Dieser Segen alleine reicht nicht aus. Das Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) sagt, wir hätten noch ein Zeitfenster von zehn Jahren, um dem Treibhauseffekt einigermaßen kostengünstig zu begegnen. Das Gerüst des EEG alleine ist zu schwach, um das Problem rasch zu lösen. Und wenn Länder wie China, Indien, Russland oder USA nicht voll mitziehen, dann zerrinnen uns die zehn Jahre, ehe der Trend der Steigerung der klimaschädlichen Emissionen auch nur ernstlich verlangsamt werden kann.
Auch an anderer Stelle müssen wir ehrlich sein: Die derzeit weitweit aggressivste Strategie der Stärkung der erneuerbaren Energien, nämlich die Expansion der Biotreibstoffe, enthält äußerst bedenkliche Züge: Die Biospritnachfrage macht die Nahrung für Arme teurer, Monokulturen vernichten Biodiversität, Landspekulanten nehmen keine Rücksicht auf lokale Bewohner, Gentechnikkonzerne schnappen sich mit der lachhaften Behauptung, den Hungernden zu helfen, lukrative Patente und verhindern zudem unabhängige Umweltverträglichkeitsprüfungen.
Die Kernenergie bleibt teuer und ein Zankapfel. Allein die Terrorismus- und Kriegsrisiken der Atomenergie sollten deren Ausbreitung in Krisengebiete verbieten - und welches Land kann Krisenfestigkeit auf Jahrhunderte garantieren? Die Atomfreunde bringen dann gern die Hoffung auf die Kernfusion ins Spiel. Aber auch hier müssen wir ehrlich sein. Seit 50 Jahren hören wir, die Fusion werde in etwa 30 Jahren einsetzbar sein, aber der Zeithorizont wird immer länger statt kürzer. Und gern verschweigen die Fusionsfans die gigantischen Neutronenströme und Mengen von radioaktivem Wasserstoff (Tritium), die benötigt werden und die mir ähnlich problematisch vorkommen wie die Radioaktivität der Atomspaltungsreaktoren.
Das neueste Großtechnik-Angebot zum Klimaschutz heißt "carbon capture and storage" (CCS), die Abspaltung und Speicherung von CO2. Bei Kraftwerken ist das machbar, aber eben doch sehr teuer. Wenn viele Länder aus Kostengründen nicht auf erneuerbare Energien setzen, wie sollen sie sich dann mit CCS befreunden? Nein, wir müssen die Zukunft noch anders erfinden. Wir müssen eine revolutionäre Erhöhung der Energieproduktivität in Gang setzen!
Die Bundesregierung hat die Erhöhung der Energieeffizienz und -produktivität auf ihre Fahnen geschrieben. Bundeskanzlerin Angela Merkel hat diese Denkweise erfolgreich weiterverbreitet. Beim G8-Gipfel in Heiligendamm haben selbst die Klima-Zögerlinge Bush und Putin einen bemerkenswerten Satz mit unterschrieben: "... erfolgreich durchgeführte Energieeffizienzstrategien könnten einen 80-prozentigen Beitrag zur Vermeidung von Treibhausgasen leisten, bei deutlich erhöhter Versorgungssicherheit" (Artikel 62 der G8-Erklärung). In China verlangt der Elfte Fünfjahresplan (2005-2009) eine 20-prozentige Erhöhung der Energieeffizienz. Und in den USA, dem anderen großen "Nicht-Kioto-Staat", ist die Energieeffizienz zur Chefsache geworden, seit die japanischen Hybridautos Detroit das Fürchten gelehrt haben. Dennoch sind wir von einer revolutionären Erhöhung der Energieproduktivität noch weit entfernt. Das weltweite energiepolitische Denken ist immer noch auf die Angebotsseite fixiert. Das ist, wie wenn die Arbeitspolitik auf das Verschieben von Arbeitskräften fixiert wäre.
Der Kern der Industriellen Revolution war nicht die Verschiebung von Arbeitskräften, sondern die Verzwanzigfachung der Arbeitsproduktivität in 150 Jahren. Zwanzig Mal mehr Wohlstand ziehen wir heute aus einer Stunde menschlicher Arbeit im Vergleich zur Zeit von Karl Marx oder Werner von Siemens. Es gibt keinen physikalischen Grund, warum eine solche "revolutionäre" Verzwanzigfachung nicht auch bei der Energieproduktivität möglich sein sollte. Es gibt aber einen ganz einfachen ökonomischen Grund, warum das nicht stattfindet: Während sich die Arbeitskosten, die Bruttolöhne, in 150 Jahren verzwanzigfacht haben, ist die Energie in eben dieser Zeitspanne billiger geworden. Kein Wunder, dass sich in dieser Zeit die Ressourcenproduktivität praktisch nicht verbessert hat! Während des 19. Jahrhunderts hat sie sogar abgenommen. Eine systematische Zunahme findet erst seit den 1970er-Jahren statt. Diese Zunahme gilt es jetzt rasch und strategisch zu beschleunigen. Die diesbezüglichen Instrumente zielen bisher meist nur auf eine Effizienzerhöhung ab. Auch wenn man Standby-Schaltungen oder Glühbirnen aus dem Verkehr zieht oder, wie in den USA, eine Flottenverbrauchsregelung für Autos durchsetzt, sind das reine Effizienzmaßnahmen. Die haben nur die Hersteller als Adressaten, nicht die Verbraucher. Man darf sich nicht wundern, wenn dann der Konsum die Effizienzfortschritte immer wieder einholt.
Bei der Erhöhung der Energieproduktivität geht es dagegen um die ganze Kette vom Bergwerk bis zum Abfall, vom Import bis zur Wiederverwertung. Es geht um Nutzungskaskaden und um Millionen von Einzelentscheidungen. Die Produktivität ist hauptsächlich vom Markt gesteuert. Damit der Markt die Produktivität rasch steigen lässt, müssen die Marktsignale stimmen. Das wichtigste Marktsignal ist der Preis. Lernen wir von der Industriellen Revolution und ihrer Erhöhung der Arbeitsproduktivität. Lassen wir die Energie- und die Primärrohstoffpreise im Gleichschritt mit der Erhöhung der Energie- und Ressourcenproduktivität ansteigen! Bei einem solchen Vorgehen gibt's keine Brüche, keine soziale Not, keine Kapitalvernichtung. Stattdessen gibt es einen ständigen Anreiz für Millionen Akteure, Energie und Rohstoffe immer effizienter und produktiver einzusetzen. Politisch müssten wir dafür sorgen, dass so ein Preiskorridor im ganzen EU-Wirtschaftsraum über viele Jahrzehnte festgeklopft wird. Dann setzt sich die EU technologisch an die Spitze. Die gesetzgeberischen Details für den Preiskorridor und für Ausnahmen für erneuerbare Energien auszuarbeiten, ist Aufgabe der Politik, der Parlamente. Doch die richtige Politik kommt nicht in die Gänge, solange man die falschen Fragen stellt und beantwortet. Das Zeitfenster schließt sich, wenn wir nicht rasch handeln!
Der Autor ist Dekan der Bren School of Environmental Science and Management in Santa Barbara, USA.