Islamismus
Alte Thesen von Bassam Tibi neu verpackt
Der Islam hat weltweit nicht nur ein Imageproblem, sondern seine Lehre wird auch durch die Ideologie des Islamismus herausgefordert, in einigen Fällen politisch instrumentalisiert und pervertiert. Mit dieser "islamischen Herausforderung" befasst sich Bassam Tibi, der an der Göttinger Universität das Fach Internationale Beziehungen lehrt, einmal mehr in seinem neuen, gleichnamigen Buch.
Der aus Syrien stammende und sich als "Kultur-Muslim" verstehende Autor gehört zu den schärfsten Kritikern des Islamismus. Darüber hinaus beansprucht er für sich das Privileg, als Erfinder eines "Euro-Islam", des Begriffs der "Leitkultur" sowie der Kritik am "Multikulturalismus" zu gelten. Damit hat sich Tibi zwischen alle Stühle gesetzt. Er fühlt sich ausgegrenzt, diffamiert und an den Rand des Meinungsspektrums gedrängt. Er wünscht sich einen "Aufstand der Anständigen" gegen den "Gesinnungsterror" in Deutschland: "Ein solcher Aufstand gegen die Unterdrückung der Meinungsfreiheit ist überfällig."
Doch hat sich der Autor seine Marginalisierung nicht selbst zuzuschreiben? So äußert er sich über die "Islamwissenschaft" und deren Vertreter in Deutschland in seinen zahlreichen Büchern herablassend; sie werden als ahnungslose Naivlinge karikiert. Besondere "Wertschätzung" widerfährt den "Feuilleton-Intellektuellen". Den Vertretern der "Multi-Kulti-Ideologie" wirft er mindestens Naivität vor.
"Geistig beschränkte Lektoren" behaupteten, er habe bereits "schon ein Buch über den Islam geschrieben", moniert sich Tibi. Dabei ist die Aussage durchaus berechtigt: Das vorliegende Buch präsentiert alten Wein in neuen Schläuchen. Seine alten Bücher kreisten alle um ähnliche Themen: Euro-Islam, Leitkultur, Mulitkulturalismus, Konflikt der Zivilisationen und Islamismus. Seine Thesen dazu sind seriös und müssen diskutiert werden. Seine Ausführungen in der "Vorrede" sowie die sechs Kapitel des Buches aber triefen vor Selbstbeweihräucherung.
Tibi vertritt die These, dass Europa Kulturpluralismus, aber nicht Wertebeliebigkeit brauche, "um Antworten auf die Rückkehr der Religion durch Migration zu geben". Mit dieser Wertebeliebigkeit gehe ein "Kulturrelativismus einher, der sich als Absolutismus entlarvt". Der Multikulturalismus sei nachgiebig bis zur Selbstaufgabe und behindere die Integration der Zuwanderer. In der Folge entstünden "Parallelgesellschaften", die den inneren Frieden bedrohen.
Tibi rennt mit seiner These, dass die säkulare Demokratie, die Zivilgesellschaft sowie die individuellen Menschrechte auch im Konflikt der kulturellen Differenz übergeordnet sind, offene Türen ein. Kein ernst zu nehmender Wissenschaftler, Journalist oder Intellektueller verlangt das Gegenteil. Und wo lässt der "Multikulturalismus" dies implizit zu, wie der Autor behauptet? Auch streitet niemand ab, dass eine "Religionisierung der Gesellschaft" stattfindet. Tibi baut einen künstlichen Popanz auf, um sich als Ausnahmeerscheinung darzustellen. Die Einwanderer sind selbstverständlich mit einem "Wertesystem" konfrontiert, das ein paralleles á la Scharia nicht zulässt. Eine solche Vorstellung scheint nur in der Fantasie des Autors zu existieren. Niemand gesteht dem Islamismus die grundgesetzliche Verankerung des neuen "Absolutismus" zu.
Tibi selbst schlägt ein überaus diskussionswürdiges Gegenkonzept vor, das auf den letzten großen islamischen Philosophen Ibn Khaldun zurückgeht. Sein Begriff der "Asabiyya" erinnert an Montesquieus "esprit de corps". Nach Ibn Khaldum hänge die Überlebensfähigkeit einer Zivilisation von der Stärke oder Schwäche dieses Gemeinschaftsgeists ab. Dieser muss in der Tat in Europa wiedererstehen.
Der Verlag wäre gut beraten gewesen, das Buch redaktionell um die Hälfte zu kürzen. Damit hätte man nicht nur die zahlreichen Wiederholungen und Selbstbespiegelungen vermeiden können, sondern auch das wichtige Anliegen des Autors glaubwürdiger vermitteln können.
Bassam Tibi:
Die islamische Herausforderung. Religion und Politik im 21. Jahrhundert.
Primus Verlag, Darmstadt 2007; 176 S., 24,90 ¤