Provokant
Ein Plädoyer für die Kooperation der Kulturen
Der gelehrte Weltenbummler Ilija Trojanow weist auf Podiumsdiskussionen und Lesereisen derzeit gern auf ein bedenkenswertes Phänomen hin: Der in allen Fußballstadien Europas heimische und die Fans verbindende Schlachtruf "Olé... Olé, Olé, Olé" hat seinen etymologischen Nachforschungen zufolge keineswegs etwas mit spanischen Toreros zu tun, sondern ist schlicht und ergreifend das arabische Wort für Gott. So locker gehen also unwissenden Christen die "Allah!"-Rufe über die Lippen. Selbst seinen belesensten Zuhörern entfährt dann meist nur noch ein erstauntes "Aha". Mit solchen Aha-Erlebnissen und interkulturellen Enthüllungen wartet die von ihm und dem indischen Kulturkritiker Ranjit Hoskoté nun formulierte "Kampfabsage" Seite für Seite auf.
Doch hinter dem pazifistischen Titel des Buches verbirgt sich eine kultivierte Kampfansage an alle weltlichen und religiösen Mächte, die sich gegenüber fremden Einflüssen abschotten und ihre absolut und originär definierten Werte mit Gewalt zu verbreiten oder zu verteidigen suchen. Dabei macht das Autorenduo keinen Unterschied mehr zwischen George W. Bush und Osama bin Laden. Es setzt mit aufklärerischer Verve auf Vermittlung und Verständigung, auf eine "Vision der Einheit", wie es im engagierten Schlussplädoyer heißt.
Dass diese Einheit zwischen den christlichen, jüdischen, islamischen und hinduistischen Kulturen Jahrtausende alte Wurzeln hat, illustrieren die beiden an zahlreichen Beispielen mit großer Liebe zum ideengeschichtlichen Detail. Demnach habe der Westen dem Nahen wie Fernen Osten etwa die Gabel, die doppelte Buchführung, den kritischen Rationalismus oder den Glauben an das Paradies zu verdanken und daraus Erkenntnisse gewonnen und Fortschritte gemacht, die ihrerseits wieder in die vermeintlich fremden Kulturen einflossen.
All die nachgewiesenen Querverbindungen auf philosophischer, literarischer oder religiöser Ebene weisen auf die Inspirationsquellen einzelner Ideen hin und belegen damit den immerwährenden Zusammenfluss der Kulturen. Streng genommen, darf man nach dieser Beweisführung gar nicht mehr von "den" Kulturen sprechen, da wir nach den Worten der beiden Kulturinterpreten in einer "Welt des Schmetterlingseffekts leben, in der alles miteinander verbunden" sei.
Doch dieser historisch rekonstruierte "Zusammenfluss der Kulturen" ist angesichts des gegenwärtigen Misstrauens zwischen Islam und Christentum offenbar ins Stocken geraten. Sonst würde es einer solch engagierten Rückbesinnung auf einen verbindenden Wertekanon ja nicht bedürfen. Dieser Blick zurück nach vorn ist - wie der Untertitel schon verrät - denn auch die etwas verspätete Antwort auf den damals schon umstrittenen Bestseller "Kampf der Kulturen" des amerikanischen Politologen Samuel P. Huntington. Aber so recht will die Replik der beiden auf den Klassiker der Konfrontationsthese nicht greifen. Zwar erklären sie den Widerstreit der vermeintlich unterschiedlichen Zivilisationen ganz einleuchtend aus dem universalen, oftmals dogmatischen Machtanspruch der jeweiligen Kontrahenten. Aber woran die Kulturen gegenwärtig, ganz konkret und aktuell wieder anknüpfen könnten, um im friedlichen Geistesaustausch zu leben, lassen sie weitgehend offen. Wohlmeinende Appelle an die menschliche Vernunft helfen da allein nicht weiter.
Die historischen Beispiele werden die vorurteilsinfizierten und nach kultureller Identität dürstenden Normalbürger kaum als aktuelles Leitbild überzeugen. Dazu schweben die meist aus der Antike und dem Mittelalter stammenden Exempel sowohl geistig als auch geschichtlich in allzu fernen Regionen. Von den konkreten Ängsten der Menschen sind sie meilenweit entfernt.
Intellektuelle Kosmopoliten wie Trojanow und Hoskoté können dank ihrer geistigen Beweglichkeit "zwischen den Kulturen wohnen". All jenen haben sie denn auch dieses Buch gewidmet. Doch bei aller Kritik am freigeistigen Elitismus sollte der bereits von Kant formulierte Traum vom friedfertigen Weltbürgertum weiter geträumt und propagiert werden. Vielleicht etwas wirklichkeits- und bürgernäher, damit er die erhitzten Gemüter in Ost und West auch abzukühlen vermag.
Kampfabsage. Kulturen bekämpfen sich nicht, sie fließen zusammen.
Karl Blessing, München 2007; 240 S., 17,95 ¤