Da ist zunächst der Band von Gunter Hofmann, langjähriger Bonner und später Berliner Korrespondent der Wochenzeitung "Die Zeit", der sich mit der Unvoreingenommenheit eines Nichteuropaspezialisten erfreulich erfrischend der Materie nähert. Natürlich konstatiert auch Hofmann eine Krise, die er aber als eine produktive versteht. Die Krise ist für Hofmann mit dem französischen und dem niederländischen Referendum zwar 2005 offen ausgebrochen, doch sieht er sie als eine Spätfolge des Jahres 1989 an. EG-Europa sei immer ein westeuropäisches Projekt gewesen - und nun kamen die Osteuropäer, die zwar via NATO und EU integriert wurden, "aber zum politischen Programm wurde das Verhältnis zwischen Ostmittel- und Westeuropa nicht". Hofmann sieht in der Folge der Referenden eine Debatte über die Verfassung und die weitere Entwicklung EU-Europas sich entwickeln. In der Politisierung der Differenzen, die sich ja nicht nur zwischen Mitgliedsländern, sondern auch in den Mitgliedstaaten zeigen, erkennt Hofmann eine neue Chance für den Integrationsprozess. Er versteht - zu recht - die EU vor allem als eine "Erfolgsgeschichte ohne Beispiel, und das wird sie bleiben, trotz des Talents der Europäer, sich herunterzureden, zu jammern über die Stagnation oder die nächste schwere Krise".
Der Verfasser zeichnet ein vereinigtes und grenzenloses Europa, das die Dämonen des Nationalstaats überwunden hat. Er versteht Europa im modernen Sinn als durchaus machtvoll und einflussreich, sowohl politisch als auch wirtschaftlich. Europa sollte zu einem Laboratorium des Universalismus werden, ein weniger harmonisiertes, vereinheitlichtes Ensemble, sondern eine Gemeinschaft, die ihre Differenzen anerkennt. Ein kultureller Konsens sollte für Europa darin bestehen, einen Weg zu finden, um mit Ungleichheiten und Konflikten zu leben. Es sollte ein Gebilde sein, "das keine Nation ist, aber auch kein Europa der ‚Vaterländer' und keine Föderation, sondern ein Geflecht aus Kooperation und Kompromissmechanismen auf vielen Ebenen". Für Hofmann bleibt elementar, ob es EU-Europa gelingt, sich als politische Einheit - nicht als Staat - zu begreifen, also sich auch darauf zu verständigen, was das politische Gehalt, das Eigene Europas sein könnte. Die Chancen zu solch einer Selbstverständigung sieht er nach wie vor gegeben. Die letztlich im Verlauf des über fünf Jahrzehnte verlaufenden Integrationsprozesses immer wieder erzielten Kompromisse über anfänglich unvereinbar erscheinende Materien zwischen den verschiedenen Mitgliedstaaten und die Gewissheit, dass die Mitglied- schaft für jeden Teilnehmer mehr Vorteile mit sich bringt, lassen auch in Zukunft eine positive Entwick-lung des Integrationsprozesses erwarten.
Gret Haller, Schweizer Spitzenpolitikerin und 1996 bis 2000 Ombudsfrau der OSZE für Menschenrechte in Bosnien-Herzegowina, betrachtet in ihrem Europa-buch die europäische Entwicklung vor allem im Vergleich mit den USA, eine Methode, die vor kurzem der US-Amerikaner Jeremy Rifkin ebenfalls vorgenommen hatte und dabei die Europäer recht gut bewertete.
Gret Haller sieht die Entwicklung Europas durch zwei fundamentalistische Entwicklungen herausgefordert; eine hat ihren Ursprung im Islam und die andere in den USA. Spätestens seit dem Irak-Krieg muss das amerikanische Verhalten gemäß Haller als fundmentalistisch bezeichnet werden. Damit wird auch der vermeintlich einheitliche Wertekanon des Westens brüchig. Die Verfasserin befasst sich mit den Konsequenzen einer Übernahme des US-amerikanischen Wirtschafts- und Politikmodells und spricht sich entschieden dagegen aus.
Sie sieht in der Entwicklung Europas aus den Kata-strophen der letzten Jahrhunderte mit der europäischen Integration einen erfolgreichen Lernprozess und ermutigt die Europäer, den eingeschlagenen Weg der Achtung der Menschenwürde, der hohen Wettschätzung der Rechtsstaatlichkeit sowie der Stärkung des Völkerrechts fortzusetzen, um darauf verantwortliches politisches Handeln aufzubauen. Für sie hat Europa lernen müssen, dass Souveränität auch geteilt werden kann, um international erfolgreich zu sein, während sie in den USA eine Macht sieht, die sich immer auf die nationale Souveränität beruft und deshalb auch bei völkerrechtlichen Verträgen keine andere Führerschaft akzeptieren kann.
Die Schweizerin sieht ihr eigenes Land in den letzten Jahren am politischen Scheidewege zwischen Auserwähltheitsdenken - also der US-amerikanischen Version - und europäischer Integration, wobei ihre Sympathien eindeutig in Richtung Europa tendieren. Sie erkennt im Verhalten ihres Heimatlandes einen Widerspruch zwischen Innen- und Außenverhältnis, "indem die mangelnde Bereitschaft zur geteilten Souveränität hinsichtlich der Europäischen Union mit der Integrationsnotwenigkeit im Innenverhältnis nicht übereinstimmt". Aber sie ist grundsätzlich hoffnungsvoll. 1992 hat die Schweiz bereits ein Beitrittsgesuch gestellt; es ruht seit der negativen Abstimmung über die Mitgliedschaft im Europäischen Wirtschaftsraum. Langfristig gesehen, so Gret Haller, gibt es in der Schweiz eine Kontinuität der Verzögerung, so dass eines Tages auch die Schweiz mitten in Europa sein wird.
Gunter Hofmann
Familienbande - Die Politisierung Europas
Antje Kunstmann, München 2005; 268 S., 19,90 Euro
Gret Haller
Politik der Götter. Europa und der neue Fundamentalismus
Aufbau Verlag, Berlin 2005; 224 S., 18,90 Euro