Alles Große, meine Damen und Herren, ist ein Wagnis." So hob Bundeskanzler Konrad Adenauer (CDU) die Bedeutung des Montanunionvertrags hervor, unter den er am 18. April 1951 seine Unterschrift setzte. Seinem Kürzel folgten die der Außenminister Frankreichs, Italiens und der Benelux-Staaten. Die Reihenfolge spiegelte allerdings keineswegs die im Protokoll wieder: Der erste deutsche Bundeskanzler und gleichzeitige Außenminister konnte vielmehr froh sein, überhaupt als gleichberechtigter Partner auf internationaler Bühne begrüßt zu werden. Sechs Jahre nach Kriegsende hatte die Bundesrepublik längst nicht ihre volle Souveränität wiedererlangt und kämpfte noch um ihren Platz in der westlichen Staatengemeinschaft. Erst der Vertrag zur Gründung einer Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS), auch als Montanunion oder Schumanplan bekannt, war ein wichtiger Schritt dorthin. Denn Kohle und Stahl - das waren während des Zweiten Weltkrieges nicht nur kriegswichtige Rohstoffe gewesen, auch jetzt, in Zeiten des Wiederaufbaus, waren beide unabdingbar. Daher sah die EGKS die Schaffung eines gemeinsamen Marktes für Kohle und Stahl vor und entzog die Kontrolle über die Produktion der nationalen Kompetenz der Mitglieder. Diese wurde fortan an ein gemeinsames Organ, die Hohe Behörde, delegiert.
In einem Vorschlag des französischen Außenminis-ters Robert Schuman hieß es im Mai 1950, dass "jeder Krieg zwischen Frankreich und Deutschland nicht nur undenkbar, sondern materiell unmöglich" sein solle. Mit seiner Erklärung griff er den Gedanken seines Wirtschaftsexperten Jean Monnet auf und leitete die erste Etappe der europäischen Einigung ein. Hintergrund des so genannten Schumanplans waren die Sicherheitsbedürfnisse der Franzosen gegenüber ihrem deutschen Nachbarn. Auch erhofften sie sich, ihre Versorgung mit Kohle und Stahl zu sichern. Hinzu kam der Druck der Amerikaner, die besonders im Hinblick auf die Entwicklungen in Nordkorea den Aufbau eines europäischen Blocks, Deutschland inklusive, gegen die Sowjetunion forderten. Paris musste erkennen, dass ein Wiedererstarken der Deutschen auf Dauer nicht zu verhindern war. Kooperation statt Kontrolle, hieß von nun an die Devise.
Dennoch dauerte es noch zehn Monate, bis man auf Grundlage des Schumanplans einen Vertragstext ausgehandelt hatte. Denn auch wenn sich die sechs Mitglieder von Anfang an über das supranationale Ordnungsprinzip einig waren, stritt man darüber, wie die Übertragung der Souveränität auf die europäische Ebene gestaltet werden konnte. Mit der Einrichtung der Hohen Behörde, der Gemeinsamen Versammlung, dem Ministerrat und dem Gerichtshof einigten sie sich schließlich auf eine Organisationsstruktur, die die Schablone für kommende Integrationsschritte werden sollte. Anstatt der sonst üblichen intergouvernementalen Lösung entstand damit zum ersten Mal ein supranationales Gebilde.
Damit die Montanunion ihre Arbeit aufnehmen konnte, musste der Vertrag in den Mitgliedstaaten allerdings noch ratifiziert werden. In Deutschland aber gab es Widerstände. Die linken Kräfte verweigerten am Ende sogar ihre Zustimmung, der Abgeordnete Max Reimann von der KPD wollte in dem Vorschlag gar ein "aggressives Mittel zur Vorbereitung eines neuen Krieges gegen die Sowjetunion und gegen die friedliebenden Völker der Erde" erkannt haben. Er orakelte, dass der Schumanplan im "Auftrag der amerikanischen Monopolherren zur Wiederaufrüstung Westeuropas geschaffen" worden sei.
Die SPD wollte Europa, nur anders. Sie wetterte gegen die angeblich fehlende Gleichberechtigung der Mitglieder und interpretierte die Westintegration als Akzeptanz der deutschen Teilung. Carlo Schmid vermisste ein Parlament "mit allen echten Kompetenzen". Ihr "hartes Nein" begründete Fritz Henßler damit, nur so den Weg zu einer "echten europäischen Neuordnung" offenzulassen. Letztendlich aber setzte sich die bürgerlich-liberale Regierungsfraktion durch, und die Montanunion trat am 24. Juli 1952 in Kraft.
Ihre Laufzeit wurde auf 50 Jahre festgesetzt. Damit lief sie am 23. Juli 2002 aus - genau zu der Zeit als die Mitglieder des Konvents und des Europäischen Rates gerade eine europäische Verfassung ausarbeiteten. Zu diesem Anlass wünschte der damalige Bundespräsident Johannes Rau (SPD) ihnen "die gleiche Weitsichtigkeit und Klugheit, die einst die Gründungsväter der europäischen Zusammenarbeit bewiesen haben, als sie den EGKS-Vertrag vereinbarten".
Das Scheitern der gemeinsamen Verfassung lässt nun vermuten, dass zwar "alles Große ein Wagnis" sein mag, aber sicher nicht jedes Wagnis auch zu etwas Großem bestimmt ist.