In der Arktis ist es bekanntlich ziemlich kalt. Die Eskimos waren also schon immer darauf bedacht, sich nicht nur dick einzumummeln, sondern auch möglichst viel in Bewegung zu sein. Die Männer gingen gerne auf die Jagd. Für eine Eskimofrau stellte sich die ganze Sache schon schwieriger dar. Sie konnte ja nicht permanent mit den Kindern um den heimischen Herd, besser gesagt: um die Feuerstelle, herumtanzen. Also kamen die alleingelassenen Weibchen auf eine großartige Idee. Die Frauen befreiten einen Platz zwischen den Iglus vom Schnee, suchten sich ein Stück-chen Eis und traten mit den Füßen dagegen. Das machte vielleicht Spaß. Die Eisklumpen rutschten über den glatten Untergrund und die Eskimofrauen rannten laut kreischend hinterher. Der Sportsgeist war geweckt, und einige Frauen konnten an gar nichts anderes mehr denken. Dummerweise vernachlässigten sie dabei immer mehr ihre Pflichten. Die Feuer gingen aus, die Kinder hatten Hunger, Ordnung und Sauberkeit ließen stark zu wünschen übrig. Schleunigst wurde eine Versammlung einberufen und der Rat der Alten und Weisen beschloss: "Das Spiel dauert 90 Striche!" Damit war die Anzeige einer Sonnenuhr gemeint. Schade, nur so kurz! Doch hinter vorgehaltenem Handschuh wurde schon gekichert: "Nach dem Spiel ist vor dem Spiel!"
Es wäre nur noch eine Frage der Zeit gewesen und in der Antarktis hätten sich Frauen zusammen getan, und es hätte über kurz oder lang eine eigene Eskimomeisterschaft gegeben. Und dann wäre die Arktis vermutlich seit 800 Jahren ununterbrochen Weltmeisterin. Aber aus dem tollen Traum wurde nichts. Als die Eskimomänner von der Jagd zurück kamen und ihre Frauen pflichtvergessen zwischen den Iglus herumtoben sahen, war Schluss mit lustig. Die neue Lieblingsbeschäftigung wurde kurzerhand verboten. Außerdem durfte über diese kurzzeitige weibliche Entgleisung nicht mal mehr gesprochen werden. Schade, denn so dürfen sich die Französinnen als Erfinder des Frauenfußballs feiern lassen. Im 12. Jahrhundert betrieben dort wackere Weiber den Volkssport la soule, einen Vorläufer des modernen Fußballs.
In Deutschland kümmerten sich die Frauen auf dem Lande vor allem um Heim, Herd und Huhn. Für Kindereien dieser Art blieb da keine Zeit. Die ersten Vertreter der holden Weiblichkeit widmeten sich um 1900 dem runden Spielobjekt, allerdings standen die Frauen dabei brav im Kreis und kickten sich den Ball vorsichtig zu. Und schon diese harmlose gymnastische Übung war zu den damaligen Zeiten moralisch kaum vertretbar. Spreiz- und Grätschbewegungen sowie Hiebe und Stöße der Beine galten als unvornehm. Man(n) meinte, durch Springen und Beinspreizen könnten die weiblichen Sexualorgane aus ihrer Lage gebracht werden. Dieser Humbug hielt sich übrigens, und das ist kein Witz, bis zum 30. Oktober 1970, dem offiziellen Tag der Anerkennung des Frauenfußballs in Deutschland.
Trotzdem war die Diskriminierung noch lange nicht zu Ende. Frauen, die schwächlichen Naturen, sollten eine halbjährige Winterpause einhalten, damit sie sich nicht ihre zarten Näschen verkühlen. Stollenschuhe wurden wegen ihrer Gefährlichkeit verboten, was zwangsläufig zu Problemen mit der Standfestigkeit führte und damit zu der einen oder anderen Rutschpartie (Ha, Ha, Ha, was für ein Spaß!). Die Bälle waren kleiner, ja, selbst über eine Verkleinerung der Tore dachte man(n) laut nach. Natürlich durften sich Frauen auch nicht so doll verausgaben, deshalb wurde die Spielzeit verkürzt.
Frauenfußball in der damaligen Zeit war nur für die wenigsten ein ernstzunehmender Sport. Frei nach dem Motto: Vergangenes Wochenende waren wir im Zirkus, dann lass uns doch am nächsten Sonntag mal ins Stadion gehen. Das wird bestimmt lustig. Jeder nicht getroffene Ball wurde mit lautem Gejohle bedacht und fiel eine Spielerin mal hin, was beim Fußball durchaus vorkommt, schallten Schmerzensrufe (Aua!!) durch das Stadion. Jeder Thekenfußballer glaubte, so eine Frauencombo auch noch nach fünf Pils im Alleingang vom Platz fegen zu können. Alles andere wäre ja auch ein Ding gewesen. Weil nun mal nicht sein kann, was nicht sein darf.
1989 feierte die inzwischen gegründete Frauenfußballnationalmannschaft erstmals den Gewinn der Europameisterschaft. Das bekamen damals aber wirklich nur die Insider mit. Für die breite Masse waren die wahren Balltreter sowieso männlich und 1990 zum dritten Mal Weltmeister. Also, liebe Frauen, aufgepasst und für die Männer Bier geholt: Weltmeister! Welche Kraft, welche Männlichkeit steckt in diesen elf Buchstaben.
Die Frauennationalmannschaft spielte und siegte ihrerseits unbeirrt weiter. Bis zum Jahr 2001 wurden die Damen immerhin weitere vier Mal Europameisterinnen. An den Stammtischen fiel von da an sogar mal das eine oder andere lobende Wort: "Na toll, super, weitermachen, ist ja schön…" Die Erfolge konnten zwar nicht mehr ignoriert werden, doch in den anerkennenden Worten schwang doch immer noch ein herablassender Unterton mit.
Zumal Rudis Truppe in Asien fast wieder Weltmeister geworden wären. Na gut, die Brasilianer waren schon irgendwie besser. Und die deutschen Kämpfer und Grätscher hatten schon mächtig Massel, aber wen interessiert das schon und überhaupt, da skandierten alle: "Es gibt nur ein' Rudi Völler, ein Rudi Vöööööller…" Also, mal ehrlich, wer braucht schon Frauen, wenn er solche Männer hat.
Dann kam der 12. Oktober 2003 und die Fußballwelt schien aus den Angeln zu fliegen. Nia Künzers Kopfballtor in der Verlängerung gegen Schweden war das Golden Goal und bedeutete damit den ersten Weltmeisterschaftstitel für Deutschlands Fußballfrauen. Ein Wahnsinn. Das Fernsehen war live dabei und viele Millionen vor den Bildschirmen jubelten mit. Die Frauen hatten richtig gut gespielt, wer hätte das gedacht. Eine Wende. Von diesem Tag an waren die Fußballerinnen etabliert. Das öffentliche Interesse stieg. Die Stadien sind voll, das Fernsehen überträgt regelmäßig die Spiele der Nationalmannschaft und erntet damit gute Quoten.
Einst jagten nur Mädchen dem Ball hinterher, die eigentlich lieber Jungs geworden wären. Heutzutage ist es geradezu chic, die Tochter anstatt zum Tennis zum Fußball zu schicken. Kickende Frauen werden nun zu Stars und von der Industrie als Werbeträger entdeckt. Auch die Bankkonten der Fußball-Ladys füllten sich - aber wirklich als Profi leben, in schicken Villen am Starnberger See, mit der eigenen Yacht vor der Tür und diversen Nobelkarossen in der Garage, das gibt es nicht. Obwohl 10.000 Euro Verdienst im Monat mittlerweile auch für Fußballerinnen durchaus möglich sind. Und dennoch - Bescheidenheit, Leichtigkeit und Teamfähigkeit, das sind die Tugenden der Frauen auch abseits des Rasens.
Aber jetzt mal Stopp. Das ist ja alles wunderbar, doch in diesem Jahr sind nun wirklich wieder wir dran, die Männer. Immerhin haben wir die WM. Und wer die WM hat, der ist fast schon Weltmeister. Zugegeben, diese These entbehrt nicht einer gewissen Komik und dürfte selbst zu später Stunde in Eckkneipen für verstörtes Kopfschütteln sorgen. Doch Kopf hoch! Sollte am 9. Juli tatsächlich ein anderes Land Weltmeister werden, was, ehrlich gesagt, kaum zu verhindern sein wird, dann sollten wir uns alle trösten und an den 13. Oktober 2003 erinnern. Damals stand bei "Bild" dick in Schwarz Rot Gold auf Seite 1:
Birgit und Heiko Klasen leben als freie Journalisten in Berlin, arbeiten vor allem für den Rundfunk Berlin Brandenburg und sind die Autoren des Frauenfußballbuches "Elf Freundinnen. Die Turbinen aus Potsdam".