Hier wohnt er also, der "Seelsorger" der deutschen Fußball-Nationalmannschaft. Deutschlands erster Mann fürs Mentale, Hans-Dieter Hermann. Seit Dezember 2004 im Dienste des Bundestrainers und einer ganzen hoffnungsvollen Fußballnation. Er soll die Köpfe unserer Nationalspieler auf Leistung trimmen, sie widerstandfähiger machen gegen maximalen Druck und die Erwartungen der Öffentlichkeit bei der WM.
Das Klingelschild am Eingang seines Einfamilienhauses verrät davon nicht viel: "Praxisgemeinschaft für Mentales Coaching" steht darauf schlicht auf weißem Grund, befestigt ist es an einem Neubau mit großen Fenstern und kleinem Garten irgendwo im badischen Schwetzingen. Statt eines "standesgemäßen" roten Sportwagens steht ein familientauglicher Kombi vor der Tür. Der Swimmingpool ist abgedeckt. Kalifornien sieht irgendwie anders aus.
Doch dieses Understatement passt zu Hans-Dieter Hermann. In Jeans und himmelblauer Trainingsjacke kommt er aus der Tür, er wirkt höflich und angenehm unaufgeregt, wie einer, der sich selbst und dieses ganze Business nicht allzu wichtig nimmt. Ein Klinsmann-Typ, schon optisch: kurze blonde Haare, schlanke Statur, blaue Augen. Als ein Kollege des Bundestrainers dem Sportpsychologen im Sommer 2004 begegnete, war er sich schnell sicher: "Ich glaube, der Hermann ist einer, den kannst Du gebrauchen", sagte er Klinsmann. "Ihr passt zusammen." Wenig später war der auf Hermanns Anrufbeantworter.
In der Öffentlichkeit präsentierte Klinsmann den Psychologen erstmals im Dezember 2004 während des Trainings im japanischen Yokohama. Mit großem Interesse, aber auch mit deutlicher Skepsis nahmen die Medienvertreter damals die neue Personalie auf, eine Personalie, die es so bei der deutschen National- elf bisher nicht gegeben hatte: Einen eigenen psychologischen Betreuer für die Nationalmannschaft? Einen Fachmann also, der sich nicht um Kapselrisse und kaputte Kreuzbänder kümmert, sondern um so etwas Diffuses, wenig Greifbares, wie die Psyche der Spieler, um deren Motivation und mentale Fitness? Die Funktionäre im über 100 Jahre alten DFB sollen nicht alle glücklich darüber gewesen sein, hört man, und auch die Medien reagierten auf den neuerlichen Klinsmann-Coup bisweilen hysterisch: "Kahn zum Psycho-Doc?", titelte etwa die "Bild"-Zeitung. Die Sorge um die seelische Verfasstheit der nationalen Hoffnungsträger war plötzlich groß. "Zumindest in Deutschland wird so was noch immer von manchen Leuten als Schwäche ausgelegt", erklärt Hermann die Reaktionen und verweist auf die Erfahrungen im amerikanischen Spitzensport. "Dort gibt es sehr viele Leute, die im psychologischen Bereich mitarbeiten. Es ist völlig normal."
In Deutschland dagegen wurde Hermann auf einmal überschüttet mit Aufmerksamkeit. "Schon in den ersten Tagen kamen über hundert Interviewanfragen", sagt er. "Unmöglich, die alle zu beantworten."
Dabei würde er am liebsten gar keine Interviews geben. Sich raus halten aus dem ganzen Medienrummel und einfach seine Arbeit machen. Er hat auch schlechte Erfahrungen mit Journalisten gemacht. Einige hätten schon mal "unangenehme Methoden" angewendet, um an Informationen heranzukommen, sagt er. "Zum Glück sind das aber Ausnahmefälle." Näher eingehen will er darauf nicht.
Das Interesse der Medien ist verständlich: Hermann wäre eine Top-Quelle. Er ist ein Insider, eng verbunden mit der Nationalelf seit nunmehr anderthalb Jahren. Er reist mit ihr zum Testspiel nach Florenz oder zum abschließenden Trainingslager an den Genfer See. Meist sitzt er bei Länderspielen auf der Bank oder ist in der Kabine dabei. Die Spieler vertrauen ihm. Er selbst sagt, er sei "inzwischen etablierter Teil des ,Teams um das Team'" - des rund 17-köpfigen Betreuerstabes um Jürgen Klinsmann. Am Früh-stücksbüffet unterhält man sich auch über Privates.
In den Medien hört man von alldem wenig. Hermann hält sich im Hintergrund. Als Psychologe ist er verpflichtet, zu schweigen. Und offensichtlich ist er nicht mal eitel genug für diese laute, ewig nach Offenbarungen lechzende Medienwelt.
Hermann sitzt an diesem Morgen im Besprechungszimmer in der unteren Etage seines Hauses und nippt an einem Cappuccino. Die Atmosphäre im Raum ist nüchtern: Konferenztisch, Flipchart, weiße Wände. Typischer Seminarraumchic, kaum Persönliches. Und doch: Hinter ihm erhebt sich ein triumphierender Muhammad Ali auf einer Schwarz-weiß Aufnahme von 1965. Kraftvoll, mit weit geöffnetem Mund blickt der junge Boxer darauf hinab auf seinen Gegner, den Schwergewichtler Sonny Liston, der mit ausgestreck- ten Armen und leicht erhobenen Haupt am Boden liegt, ausgeknockt nach nur sechs Schlägen und 105 Sekunden. Hermann sagt, Ali habe Liston im Grunde schon vor dem Kampf besiegt, "allein durch seine mentale Stärke": "Er hat das, was die Sportpsychologie heute lehrt, bereits damals angewendet", meint er. Für ihn ist er Ali so etwas wie der "Vater der Sportpsychologie".
Weil auch die deutschen Fußballprofis vom Selbstbewusstsein des Boxers noch etwas lernen können, gibt es die Seminare von Hans-Dieter Hermann. Für Klinsmanns Elf sind die Kurse des Psychologen Pflichttermine auf dem Weg zur WM, genauso wie Physiotherapie und Fitnesstraining. Man trifft sich in kleineren Gruppen oder mit der ganzen Mannschaft, mal mit, mal ohne Trainer, aber immer dreht es sich um eines: die optimale Leistung, wenn es darauf ankommt. Durch Konzentration, Selbstmotivation, den Glauben an die eigene Leistungsfähigkeit. Das hat mit der berühmten "Couch" wenig zu tun. Dafür aber umso mehr mit "Coaching". Und das "läuft in Wirklichkeit viel lockerer ab, als man sich das immer vorstellt", sagt Hermann. "Die Spieler kauern ja nicht in der Kabine und denken: ,Hoffentlich kann ich den Ball stoppen'." Im Gegenteil. "Die sind psychisch ungemein stabil, in der Regel topgesund, und sie sind maximalen Druck gewohnt."
Krisengespräche auf dem Hotelzimmer sind also selten, auch wenn Hermann dafür grundsätzlich offen ist. "Ich habe den Spielern angeboten, dass sie über das psychologische Training hinaus auch individuell zu mir kommen können, wenn sie das wollen", sagt er, und fügt vorsichtig hinzu, dass es dafür auch "eine gute Nachfrage" gebe. Und doch steht diese Art von psychologischer Betreuung nicht im Vordergrund seiner Arbeit: Vielmehr, erklärt Hermann, gehe es dabei um ein "gezieltes Training für den Kopf, um das Erlernen von Methoden und Techniken. Man kann sich zum Beispiel Spielzüge einzuprägen, Taktiken und Laufwege, ohne später auf dem Platz noch groß darüber nachdenken zu müssen." Auch wie man mit Misserfolgen umgehe, könne man üben: "Wenn einer gerade unter einer Formschwäche leidet und sich dann ständig durch seine eigenen negativen Gedanken runterzieht, kippt die ganze Motivation. Das kann man den Spielern mit sehr einfachen Methoden veranschaulichen." Und dann? "Überlegen wir gemeinsam, welche Gedanken ihm in dieser Situation helfen könnten." Es geht Hermann um die Einheit von Kopf und Körper. Den Umgang mit maximalem Druck. Er meint, dass man die Mannschaft "für ein solches Event wie die Weltmeisterschaft immer noch in diesem Sinne optimieren" kann.
"Optimierung" - das ist überhaupt ein Wort, das Hermann gern verwendet. Er sagt auch: "Im Leistungssport ist es wichtig, jeden Teil der verbesserbar ist, professionell zu optimieren." Seine Methode nennt er "Optimierungspsychologie", denn: "Im Spitzensport fängt man ja nicht bei Null an. Da geht es doch vor allem darum, alles nur noch stabiler hinzukriegen."
Er ist kein Esoteriker. Er weiß, was er tut. Seit 1988 arbeitet er als Sportpsychologe, hat seither über 30 Nationalmannschaften betreut. Auch jetzt kümmert Hermann sich nicht nur um die Fußballer, sondern unter anderem um die deutschen Turner und die österreichischen Skiläufer. Darüber hinaus hält er Seminare an der Uni Heidelberg, reist für Vorträge durch das ganze Land und coacht Unternehmer, die ihre Stressresistenz verbessern wollen. 160 Tage war er allein im vergangenen Jahr unterwegs. Ein Tausendsassa, der immer neue Herausforderungen sucht.
Noch weiß er nicht, was nach der Weltmeisterschaft sein wird. "Erstmal ist vereinbart, dass ich bis zur WM da bin", sagt Hermann. "Danach werden die Karten neu gemischt." Aber auch das sieht er, bei allem Enthusiasmus, realistisch: "Ich bin klar genug im Kopf, um zu wissen, dass der Leistungssport nicht das Wichtigste auf der Welt ist."
Und doch - er hängt an der Nationalelf. "Das ist ja der Jugendtraum schlechthin", sagt er mit leuchtenden Augen, fast ein wenig ehrfürchtig. "Mit der Nationalmannschaft zu arbeiten, mit ihr gemeinsam in die Katakomben des Stadions zu fahren, Atmosphäre zu schnuppern, die Stimmungen und den Medienhype mitzuerleben, das ist für mich schon der Höhepunkt dessen, was ich als Sportpsychologe bisher erleben durfte."
Vielleicht ist er da ein bisschen voreilig: Bis zum WM-Finale sind es noch 60 Tage.
Johanna Metz ist Volontärin bei "Das Parlament".