Beim EU-Lateinamerika-Gipfel trafen sich vergangenen Freitag in Wien zwei schwierige Partner: In den EU-Ländern gelten zwar überall die glei-chen marktwirtschaftlichen Spielregeln, doch außenpolitisch ziehen längst nicht alle an einem Strang. Auch Lateinamerika ist wirtschaftspolitisch gespalten, seit in Brasilien der Ex-Gewerkschafter Lula da Silva, in Venezuela Castro-Freund Hugo Chavez und in Bolivien der ehemalige Kokabauer Evo Morales in demokratischen Wahlen an die Macht kamen.
Auf dem Gipfel ernteten die populistischen Führer Venezuelas und Boliviens am vergangenen Freitag für ihre Verstaatlichungspolitik massive Kritik. Auf die Ankündigung des neuen bolivianischen Präsidenten am ersten Mai, die Gas- und Ölvorkommen des Landes zu verstaatlichen, hatte die EU-Kommission in Brüssel bereits zuvor ungewohnt scharf reagiert. Man habe "das Dekret zur Verstaatlichung mit Sorge zur Kenntnis genommen", sagte der Sprecher von Kommissionspräsident Barroso. Der außenpolitische Vertreter des Rates, Javier Solana, prophezeite dem Land wirtschaftliche Rückschläge. "Rechtliche Sicherheit ist fundamental für ausländische Investoren", warnte er.
Die Intensivierung der Handelsbeziehungen war erklärte Ziel der interkontinentalen Begegnung in Wien, an der neben den 25 EU-Staaten (sowie Rumänien, Bulgarien, die Türkei und Kroatien) 33 Staats- und Regierungschefs aus Lateinamerika teilnahmen. Die EU ist der wichtigste ausländische Investor in Lateinamerika, zahlt die meiste Entwicklungshilfe und ist nach den USA der zweitwichtigste Handelspartner. Allerdings ist die Handelsbilanz seit Jahren negativ. Zwar erzielte die EU bei Industrieerzeugnissen wie Maschinen und Flugzeugen vergangenes Jahr einen Überschuss von 25,9 Milliarden Euro. Grundstoffe exportierten die 25 Mitgliedsländer aber nur im Gesamtwert von 4,2 Milliarden Euro, während sie für 39,8 Milliarden Waren einführten, vor allem Rohöl, Kupfer, Kaffee, Sojabohnen, Eisenerz und Bananen. An einem biregionalen Freihandelsabkommen, das die lateinamerikanischen Partner zu niedrigeren Industriezöllen verpflichtet und damit den Zugang europäischer Waren auf den riesigen Markt erleichtert, ist die EU sehr interessiert. Bislang gibt es so genannte Assoziierungsabkommen nur mit Chile und Mexiko. Der EU-Abgeordnete José Ignacio Salafranca empfiehlt in seinem Bericht vom Januar, dieses Modell auf die gesamte Region auszudehnen und weiter auszubauen.
Diese Verhandlungen, betont Salafranca, sollten unabhängig vom weiteren Verlauf der Welthandelsrunde vorangetrieben werden. Auf der Tagesordnung des Wiener Gipfels fanden sich sämtliche vom Europaparlament eingeforderten Themen wieder: Demokratie und Menschenrechte, Stärkung des Völkerrechts, Kampf gegen Terrorismus, Drogen und Organisierte Kriminalität, Umweltschutz, Energie, Armutsbekämpfung, Bildung und Migration. Auf welche der Themen sich die Staats- und Regierungschefs auf ihrer Abschlusserklärung einigen konnten, stand bei Redaktionsschluss noch nicht fest.