Jutta Steinkamp ist Direktorin einer Schule im Berliner Wedding und damit - so möchte man nach unzähligen Horrorartikeln und dramatischen Dokumentationen über die Schulen der Hauptstadt glauben - kaum noch zu schocken. Doch dieses Schuljahr hat selbst der nervenstarken 60-Jährigen einiges abverlangt: Nachdem im Januar bekannt geworden war, dass die 370 Schüler der Herbert-Hoover-Realschule durch die Hausordnung verpflichtet sind, auf dem Schulgelände nur deutsch zu sprechen, brach ein mediales Gewitter über die Direktorin, ihr Kollegium und ihre Schüler - davon Prozent 90 Migranten - herein. "Zwangsgermanisierung" nicht-deutscher Kinder warfen Migrantenverbände und Journalisten Steinkamp vor. Politiker aller Parteien stritten sich um das Für und Wider einer solchen Sprachverpflichtung. Aber die Schule hielt unbeirrt an der von Lehrern, Schülern und Eltern beschlossenen Hausordnung fest - und wurde nun für das, was ihr so viele Anfeindungen eingebracht hatte, geehrt.
Am 27. Juli konnte Jutta Steinkamp im Französischen Dom in Berlin für ihre Schule den Nationalpreis der Deutschen Nationalstiftung entgegen nehmen. Eine Tatsache, die sie auch drei Tage nach der Preisverleihung noch überrascht: "Schauen Sie sich doch einmal an, wer diesen Preis vor uns bekommen hat - Vaclav Havel, Wolf Biermann. Und jetzt wir, eine klitzekleine Realschule im Wedding. Das passt gar nicht ins Bild." Außerdem habe man ja auch gar nichts Außergewöhnliches getan: "Wir dachten immer, das sei etwas ganz Selbstverständliches."
Das sahen die Laudatoren anders. Bundestagspräsident Norbert Lammert lobte die "kluge Entscheidung" der Schule. Eine gemeinsame Sprache sei die Mindestbedingung für Zugehörigkeit und Integration. Den Preis habe die Schule verdient durch ihre große Souveränität, "aus eigenen vorhandenen Einsichten ohne falsche Rücksichten richtige Konsequenzen zu ziehen und getroffene Entscheidungen auch gegen Widerstände, unbegründete Besorgnisse und manche billige Polemik tapfer durchzusetzen". Richard Schröder, der Vorsitzende des Stiftungsverbands, bescheinigte der Schule, in der Diskussion "Standhaftigkeit" bewiesen zu haben.
Eine Standhaftigkeit, die die Schüler zu schätzen wissen. Sie fühlen sich sicherer, weil Aggressionen durch die gemeinsame Sprache gemindert werden. "Kinder sind sehr sensibel", sagt Steinkamp. "Wenn jemand neben ihnen in einer fremden Sprache spricht, denken sie sofort, es würde über sie geredet. So etwas haben wir einfach nicht mehr." Das schlägt sich in konkreten Zahlen nieder: Mit mehr als 80 Neuanmeldungen in diesem Jahr verzeichnet die Hoover-Schule deutlich mehr Interesse als vergleichbare Realschulen. Nicht nur die Deutschverpflichtung, sondern auch das erweiterte Deutschprogramm und die Teilnahme am Projekt "Schule und Gesundheit" wecken bei den Eltern das Gefühl, ihre Kinder seien in der Schule in der Pankstraße gut aufgehoben. Jutta Steinkamp achtet darauf, dass die Mütter und Väter auch verstehen, worauf sie sich einlassen. "Über unsere Hausordnung wird jeder bei der Anmeldung informiert. Die Vereinbarung, die die Eltern unterschreiben, ist auf Deutsch - und wenn ich das Gefühl habe, dass die Eltern das nicht so gut verstehen, bitte ich die Schüler um Übersetzung. Niemand, der an diese Schule kommt, ist überrascht von dem, was er hier vorfindet."
Die Entscheidung der Nationalstiftung, die 1993 von Politikern, Künstlern und Unternehmern um den ehemaligen Bundeskanzler Helmut Schmidt gegründet wurde, habe ihre Schüler begeistert, so Steinkamp. "Die sind total stolz - und fühlen sich sehr geehrt."
Der Preis bringt der Schule nicht nur Ehre, sondern auch eine Menge Geld. "Das können wir gut gebrauchen", sagt die Direktorin. Mit den 75.000 Euro Preisgeld soll eine neue Aula eingerichtet werden. "Die ursprüngliche Aula wurde in den 60er-Jahren in Fachräume umgewandelt. Seither finden wichtige Veranstaltungen immer in der Turnhalle statt." Außerdem wird ein Teil des Geldes in die Verbesserung des Sprachangebots für Schüler und Eltern gesteckt.
In die Freude über den Preis mischt sich bei Jutta Steinkamp allerdings ein Wermutstropfen: Von den eingeladenen Migrantenverbänden, die die Hoover-Schule noch im Winter so hart angegriffen hatten, war keiner zur Preisverleihung erschienen. "Wir hatten Wert darauf gelegt, dass gerade unsere namentlichen Widersacher eingeladen wurden. Es wundert mich, dass sie nicht erschienen sind. Ich dachte, dass man nach all der Zeit nach vorn sehen könnte. Es geht doch um die Kinder." Von den harten Attacken der Migrantenverbände, ausgelöst durch einen Bericht in der türkischen Zeitung Hürriyet, sei man daher auch sehr überrascht gewesen. "Wir wollten gerade für die Migranten etwas tun. Dass gerade sie uns so angefeindet haben, ohne sich erst einmal vor Ort ein Bild zu machen, war sehr schmerzhaft."
Deutlich angenehmer als der Jahresbeginn dürfte für Jutta Steinkamp allerdings der Start ins neue Schuljahr im Herbst werden. Dann wird der Hoover-Schule auch noch der mit 15.000 Euro dotierte Preis der Helga und Edzard Reuter-Stiftung verliehen - für ihr Bemühen, ein "gedeihliches Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher ethnischer, religiöser oder kultureller Abstammung in Deutschland zu fördern", wie es in der Begründung der Stiftung heißt. Oder, wie Jutta Steinkamp sagen würde: für etwas ganz Selbstverständliches.