Rauch steigt aus dem Wagen auf, minutenlang ist keuchender Husten zu hören, dräuende Musik schwillt an. Überstürzt hatte die hochschwangere Isabel zusammen mit ihren Freunden Berlin verlassen, als es irgendwo auf dem Lande zu einem Autounfall kommt. Die Verunglückten finden in einer Scheune Unterschlupf, und schon setzen bei Isabel die Wehen ein. Währenddessen machen sich zwei weitere Freunde im VW-Bus auf die Suche nach den Vermissten. In der entlegenen Scheune kommt ein Kind zur Welt: "Es ist ein Junge!" Mit Babygeschrei und der Titelmelodie geht bei RTL die Folge 3.501 der Teenager-Serie "Gute Zeiten, schlechte Zeiten" zu Ende.
Die Anfang Juni ausgestrahlte Sendung zeigt noch ein kahles Brandenburg. Gedreht wurde im April, und ausgedacht hat sich die Geschichte ein Autorenteam der Produktionsfirma Grundy UFA im März. Darunter zwei Neulinge, Kirsten Ittershagen und Sonja Cöster. Beide haben den ersten Jahrgang der Grundy-Ufa-Serienschule besucht, wo Fernsehautoren ausgebildet werden. Mittlerweile liegt der Stress der Abschluss-prüfungen hinter den beiden. Die Mitdreißigerinnen mit abgeschlossenem Universitätsstudium - die eine hat Soziologie, die andere Kunstgeschichte studiert - sind beide von Grundy UFA übernommen worden.
"Ich war schon als Teenager ein absoluter Serien-Freak", erklärt Kirsten Ittershagen. Von einem Job in der Marktforschung ins Autorenfach zu wechseln, fiel ihr nicht schwer. Als eingeschworener Fan der 80er-Jahre-Serie "Springfield Story" hatte sie bereits ihre Diplomarbeit über die Platzierung von Produkten in Fernsehserien verfasst. Der Sprung zum Serienschreiben war da nicht weit. Auch Sonja Köster hatte schon immer "eine große Leidenschaft für das Serienformat und Spaß am Schreiben". Auch ohne die Serienschule, ist sich die ehemalige Kulturmanagerin sicher, hätte sie den Einstieg ins Fernsehgeschäft versucht. Praktischerweise haben die Dinge sich nun anders gefügt.
Die Idee zur Serienschule entstand parallel zum Boom der Telenovelas vor zwei Jahren. Mit einem Mal war der Bedarf an professionellen Serienautoren sehr hoch. Die Nachfrage auch. 450 Bewerbungen flatterten auf den Schreibtisch von Schulleiterin Anja Weber, als im vergangenen Jahr die Ausschreibung veröffentlicht wurde. Am Ende wurden 16 aufgenommen.
"In der Vergangenheit war es so", sagt Anja Weber, "dass talentierte Autoren, die bereits Schreiberfahrung in anderen Bereichen gesammelt hatten, als Quereinsteiger zum Storyliner wurden." Neben der laufenden Produktion wurden sie angelernt. Mit der Serienschule ist erstmals ein richtiges Curriculum entstanden. Die Ausbildung ist in eine zweimonatige Theorie- und dreimonatige Praxisphase untergliedert und beinhaltet vor allem Grundbegriffe der Dramaturgie und das Entwickeln von Storylines und Charakteren. Während des Praktikums arbeiten die Schüler in hauseigenen Produktionen wie der Telenovela "Julia - Wege zum Glück" oder der Vorabendserie "Verbotene Liebe".
"Man muss es aushalten können, ständig im Team zu arbeiten", beschreibt Weber eine der wichtigsten Vo-raussetzungen für einen Storyliner. Der Produktionsdruck ist enorm hoch. Jede Woche sitzt ein Team von zwölf Storylinern an den Geschichten für eine komplette Serienwoche. Pro Tag entsteht eine Folge. Damit die Ideen nicht ausgehen, halten sich Autoren gerne an Selbsterlebtes. Oder sie hören sich im Freundeskreis um, ob dort serientaugliche Abenteuer stattgefunden haben, die sie sich "ausleihen" können. "In Serien ist immer viel Biografisches untergebracht", sagt Sonja Köster.
Dennoch hat das mit Selbstverwirklichung wenig zu tun. Eher mit Kreativität am Fließband. Erschöpfungserscheinungen stellen sich manchmal bereits nach zwei Jahren ein. Dann pausieren Storyliner oder wechseln in eine andere Position. "Talent darf bei einer Soap nicht zu individuell ausfallen", urteilt Patrick Schuckmann, der seit 1997 für Grundy UFA als Autor tätig ist und an der Serienschule unterrichtet hat. "Talent muss sich anpassen können an einen bestimmten Stil und an formale Vorgaben." Ein Kardinalfehler ungeübter Autoren ist es, bewusst trivial zu schreiben und auf innere Distanz zu den Figuren zu gehen. "Soap Charaktere sind nie frei von Klischees", so Schuckmann, "aber wir versuchen, sie lebendig zu gestalten und Verständnis für ihre Probleme zu schaffen." Daher gehört ein gewisses Maß an Identifikation mit den Serieninhalten zum Metier dazu. Autoren müssen den richtigen Ton treffen.
Offenkundig hatte die Serienschule in dieser Beziehung einigen Erfolg: Von den 16 Schülern sind sechs als feste Autoren bei Grundy UFA eingestellt worden. Eine weitere Schülerin ist in die Innovationsabteilung gelangt, wo Rezepte für zukünftige Shows, Soaps und Telenovelas ausgebrütet werden. Zwei Schüler unterziehen sich augenblicklich einem Coaching durch erfahrene Autoren, um ihr in der Abschlussprüfung entwickeltes Serienkonzept für ein Pitching vor Fernsehproduzenten vorzubereiten. Ein Schüler ist dorthin gelangt, wohin alle Storyliner einmal wollen: direkt in die Dialogabteilung. Und zwei schreiben als freie Mitarbeiter Probe-Dialogbücher, so genannte Shadows, die zur Sicherheit neben den richtigen Drehbüchern entstehen und im Notfall eingesetzt werden.
Vor 2007 wird es keinen weiteren Jahrgang der Serienschule geben. Die Produktionsfirma Grundy UFA wertet augenblicklich die Ergebnisse aus. Bei der Gewichtung zwischen Theorie und Praxis herrsche Reformbedarf, verrät Anja Weber. Auch die Schüler halten das dreimonatige Praktikum für zu lang. Einige wünschen sich, im Dialogeschreiben unterrichtet zu werden. Denn auf alle Zeit Storyliner zu bleiben, kann sich niemand vorstellen. "Mein Traum ist es", sagt Sonja Cöster, "irgendwann einen ‚Tatort' zu schreiben."
www.grundyufaserienschule.de