Eher lustlos routiniert berichteten die Medien über die schwach besuchten Kundgebungen der sieben Kandidaten. Alltagsthemen wie die Teuerung bei Strom und Heizung, Sofias leidiges Müllproblem und der ein oder andere Korruptionsfall prägten stattdessen die Schlagzeilen der Gazetten.
Obwohl für dieses Jahr ein Rekordwachstum des bulgarischen Bruttoinlandsprodukts um sechs Prozent erwartet wird, die Arbeitslosigkeit mit 8,44 Prozent den tiefsten Stand seit Anfang der 1990er-Jahre erreicht hat und der Staatshaushalt einen Überschuss ausweist, spüren viele Bulgaren angesichts eines monatlichen Durchschnittseinkommens von 170 Euro für ihren Geschmack zu wenig von der wirtschaftlichen Erholung ihres Landes. Zwar begrüßen sie mehrheitlich den bevorstehenden EU-Beitritt und erhoffen sich von ihm ein Wachstum des Wohlstands möglichst nach irischem Vorbild. Doch der Rückstand des Balkanlandes ist in Städten und Dörfern unübersehbar und die Dauer des Aufholprozesses wird von Experten eher auf Jahrzehnte denn auf Jahre prognostiziert. Zudem beschwören Skeptiker einen durch den EU-Beitritt bewirkten Anstieg der Preise und einen Massenbankrott bulgarischer Unternehmen aufgrund des erhöhten Konkurrenzdrucks durch westeuropäische Firmen.
In einer Zeit existenzieller Probleme, voller Ungewißheiten und Erwartungen, besitzt der Wettlauf einiger Herren um den Einzug in das Staatspräsidium am Sofioter Boulevard Dondukow 2 für die meisten Bulgaren nachrangige Priorität. Das mäßige Interesse am Wahlkampf lag sicherlich aber auch daran, dass Amtsinhaber Georgi Parwanow bereits als Sieger festzustehen schien. Er wechselt sich seit Jahren mit Sofias populärem Bürgermeister Boyko Borissow als Spitzenreiter in der Rangliste der beliebtesten Politiker ab. Viele politische Beobachter halten Borissow zurzeit für den einzigen Politiker im Land, der Parwanow hätte gefährlich werden können. Und tatsächlich pokerte dieser lange mit seiner möglichen Kandidatur, doch deutet sein Verzicht darauf hin, dass er eher auf den Posten des Ministerpräsidenten spekuliert.
Der Sozialist Parwanow führte einen Wahlkampf der ruhigen Hand und machte keine Fehler. Taktisch klug bestätigte er rechtzeitig vor der Wahl die lange kursierenden Gerüchte über die Existenz einer Akte "Gotse" zur seiner Person im Archiv der kommunistischen Staatssicherheit. Ja, sagte Parwanow spät, aber nicht zu spät, die Staatssicherheit habe sich ohne sein Wissen Informationen aus einem Buch bedient, das er als Co-Autor verfasst hatte. Allerdings finde sich in der Akte keine Zeile über eine aktive und bewusste Mitarbeit etwa zur Denunzierung anderer, beteuerte Parwanow, und kam damit durch. Das Thema war erledigt.
Wiewohl sich Parwanow seiner zweiten Amtsperiode letztlich sicher sein dürfte, birgt die Wahl Brisanz. So ist die zu erwartende äußerst geringe Wahlbeteiligung von voraussichtlich unter 50 Prozent zum einen ein alarmierendes Zeichen der eklatanten Politikverdrossenheit der Bulgaren, zum anderen wird sie eine Stichwahl am 29. Oktober erforderlich machen. Und in der könnte Parwanow Meinungsumfragen zufolge auf Wolen Siderow treffen, den Führer der ultra-nationalis-tischen, minderheitenfeindlichen Partei Ataka. Bereits bei der Parlamentswahl im Sommer 2005 hatten sich die Vertreter der demokratischen Rechten vor dem Scheiterhaufen ihrer selbstzerfleischenden Grabenkämpfe wiedergefunden. Aus der Union Demokratischer Kräfte SDS, die die Wende vom Staatssozialismus zur marktwirtschaftlichen Demokratie maßgeblich gefördert und von 1997 bis 2001 regiert hatte, sind mittlerweile drei Parteien entstanden, die in der Wählergunst jeweils bei der Fünf-Prozent-Hürde liegen. Im Verlaufe dieses Jahres hielten deren Parteiführer, der frühere Staatspräsident Peter Stojanow (UDF), der ehemalige Ministerpräsident Iwan Kostow (DSB) und der langjährige Bürgermeister Sofias Stefan Sofianski (SSD) die Öffentlichkeit mit einem zähen Verhandlungsmarathon zur Kür eines gemeinsamen Präsidentschaftskandidaten in Atem. Indem sie sich schließlich auf den Präsidenten des Verfassungsgerichts Nedeltscho Beronow einigten, fanden sie zwar eine allseits geachtete Persönlichkeit. Allerdings verfügt der 78-jährige Beronow über keinerlei politische Erfahrung und hat schon aufgrund seines relativ fortgeschrittenen Alters gegen den jung und dynamisch wirkenden Parwanow kaum Chancen. Beronow erwies sich im Wahlkampf tatsächlich als der seriöse, aber farblose Kandidat und machte es dem begnadeten Demagogen Wolen Siderow leicht, sich als der eigentliche Herausforderer Parwanows zu profilieren.
Der Journalist Siderow gehörte Ende 1989 als Mitglied einer Umweltschutzvereinigung zur demokratischen Bewegung und führte in den 1990er-Jahren als Chefredakteur die der SDS nahe stehenden Tageszeitung "Demokratsia". In den vergangenen Jahren hat er sich durch seine tendenziell minderheitenfeindliche, vor allem gegen die bulgarischen Türken und Roma gerichtete Agitation aus dem demokratischen Spektrum entfernt.
In dem Jahr ihrer Zugehörigkeit zur bulgarischen Nationalversammlung haben Siderow und seine Parteifreunde vor allem durch eine Reihe von Skandalen für Schlagzeilen gesorgt, was die Ataka-Parlamentsfraktion durch viele Austritte um die Hälfte dezimierte. Dennoch verfügt Siderow immer noch über einen harten Kern ihm treu ergebener Anhänger. Unermüdlich tingelte er in den vergangenen Wochen durch die Versammlungslokale der Provinz und geißelte mit scharfen Worten die seiner Ansicht nach mafiöse Regierungskoalition aus Sozialisten (BSP), Zaristen (NDSW) und der Bewegung für Rechte und Freiheiten (DPS) der bulgarischen Türken.
Anders als die anderen sechs Kandidaten hat Siderow ein schwarz auf weiß nachlesbares Zehn-Punkte-Wahlprogramm vorzuweisen. Könnte er dieses tatsächlich umsetzen, so würde er die repräsentative Funktion des Bulgarischen Staatsoberhaupts in die eines regierenden Präsidenten umwandeln und die Staatsgeschicke nach seinem populistischen Gusto neu ordnen.
Zunächst - so hat er in seinen allabendlich vom nationalen Kabelkanal "Skat" übertragenen Wahlkundgebungen verlauten lassen - werde er dem "Genozid an der Nation" ein Ende bereiten, die "unbulgarische Regierung" durch eine "nationale Antwort" ersetzen und die "verfassungsfeindliche DPS" vom Verfassungsgericht ebenso verbieten lassen wie die türkischsprachige Nachrichtensendung im bulgarischen staatlichen Fernsehen. Schließlich werde er die "faulen Privatisierungsgeschäfte" der Transformationsperiode rückgängig machen und die Schlüsselindustrien verstaatlichen. Außenpolitisch agitiert Siderow gegen die NATO-Mitgliedschaft, Auslandseinsätze der bulgarischen Armee und amerikanische Militärbasen im Land. Er spricht sich für eine EU-Mitgliedschaft Bulgariens aus, aber nur, um dort "bulgarische Interessen" zu vertreten und keineswegs etwa - wie er das momentane Verhältnis sieht -, um sich von "Europa kolonialisieren" zu lassen.
Obwohl sich Siderow im Frühjahr dieses Jahres durch erwiesene Lügen bei einem mysteriösen Verkehrsunfall auf der Autobahn Thrakia selbst diskreditiert hatte, hat er durch seine volksnahe Sprache im Wahlkampf punkten können und gilt mittlerweile als der Herausforderer mit den besten Chancen auf die Stichwahl. Auch wenn seine Wahl zum Präsidenten so gut wie ausgeschlossen ist, so ist es dem internationalen Ansehen Bulgariens doch abträglich, dass sich ein politischer Hasardeur seiner Couleur als zweite politische Kraft behaupten kann.
Bei einer Stichwahl Parwanow/Siderow ist für die kommenden Wochen politische Spannung angesagt; die Anhänger der demokratischen Rechten müssten dann wählen zwischen Teufel oder Belzebub, Stimmenthaltung oder ungültiger Wahl. Und während sie sich mit der Frage der politischen Verantwortung für die entstandene Situation auseinanderzusetzen haben und eine ihr adäquate Taktik finden müssen, stehen die Koalitionäre BSP, NDSW und DSP vor der Herausforderung, einen Eurokommissar zu nominieren. Dessen Namen erwartet der Präsident der Europäischen Kommission José Manuel Barroso bis spätestens 27. Oktober 2006. Gilt vielen die Europaministerin Meglena Kuneva als erste Wahl für den Posten, da sie in den vergangenen fünf Jahren den Beitrittsprozess Bulgariens verantwortete, so hat der sozialistische Außenminister Iwailo Kalfin bereits verlauten lassen, er könne sich besser geeignete Personen vorstellen. Unter anderem ist die bulgarische Botschafterin in Berlin Meglena Plugtschiewa im Gespräch.