Lothar Späth feiert am 16. November seinen 69. Geburtstag. In letzter Zeit ist es ruhiger geworden um das Cleverle. Seit seinem Abschied aus dem Vorstand der Jenoptik AG vor drei Jahren steht er nicht mehr so oft im Rampenlicht wie zuvor. Gleichwohl ist er nicht untätig: Späth ist heute Deutschland-Chef der Investmentfirma Merrill Lynch. Die Journalis-tin Marlis Prinzing fand es an der Zeit, Bilanz zu ziehen, und hat ihrer Späth-Biografie den Untertitel "Wandlungen eines Rastlosen" gegeben.
Biografien über noch lebende Personen stehen im Verdacht, dass ein Denkmal gesetzt werden soll, dass es sich möglicherweise gar um eine Auftragsarbeit handelt. Späth hat das Vorhaben offenbar wohlwollend begleitet, hat der Autorin freimütig Rede und Antwort gestanden und ihr auch Gespräche mit Familienangehörigen ermöglicht. Man muss der Autorin bescheinigen, das sie ein ausgewogenes Maß von Nähe und Distanz wahrt. Als gute Journalistin schreibt sie das auf, was sie bei ihren vielfältigen Recherchen gehört hat. Da ist manche Lobhudelei dabei, da gibt es auch offene und versteckte Kritik, und mancher Zeitzeuge wollte nicht namentlich genannt werden. Prinzing setzt also weder ein Denkmal noch will sie Späth in irgendeiner Weise entlarven - sie lässt einfach ihre Gesprächspartner zu Wort kommen. Das Urteil muss der Leser schon selbst fällen.
Bei dem einen oder anderen Gesprächspartner hätte die Autorin vielleicht nachhaken sollen. Häufig werden die Aussagen der Interviewten in langen Zitaten wiedergegeben und man ahnt, dass es sich dabei um Auszüge aus dem Wortprotokoll des Gesprächs handelt. Damit kann man nichts falsch machen. Andererseits finden sich gelegentlich kryptische Sätze darunter, bei denen die Nachfrage "Wie meinen Sie das?" dem besseren Verständnis des Lesers gut getan hätte.
Lothar Späth hatte drei Karrieren: Der Wohnungsbau- und Haushaltsexperte - zunächst in der Stadtverwaltung von Bietigheim, später als Geschäftsführer der gewerkschaftseigenen Wohnungsbaugesellschaft Neue Heimat in Baden-Württemberg. Als Sohn eines Raiffeisen-Lagerverwalters bringt es der umtriebige Schwabe mit mittlerer Reife schon in jungen Jahren zum Bürgermeister von Bietigheim. Den Wunsch, das Abitur nachzuholen und Jura zu studieren, versagt er sich, nachdem die Karriere auch ohne dieses schmückende Beiwerk ins Rollen gekommen ist. Bietigheim ist eine Kleinstadt zwischen Stuttgart und Heilbronn. Dort, im württembergischen Unterland, wo die Schwaben noch eine Idee pfiffiger und schlauer sind als im restlichen Ländle, ist Lothar Späth aufgewachsen.
Sein Reformeifer auf kommunaler Ebene führt ihn bald zur zweiten Karriere, in die Landespolitik. Dass es die CDU und nicht die SPD wird, hängt wohl auch ein bisschen damit zusammen, dass man - zumindest in den 60er-Jahren - in Baden-Württemberg mit einem SPD-Parteibuch bestenfalls Vize-Ministerpräsident werden kann. Als Regierungschef Hans Filbinger im Sommer 1978 nach der Marinerichter-Affäre zurücktriit, wird der 40-jährige Späth sein Nachfolger. Die Ära Späth, die goldenen Jahre der Baden-Württemberg AG, dauern bis zur Traumschiff-Affäre Anfang 1991 und seinem Rücktritt. Prinzing findet Parallelen: Filbinger wie Späth zeigen sich uneinsichtig. Schließlich die dritte Karriere von 1991 bis 2003 als Chefsanierer bei Carl Zeiss Jena, die seinen Ruf als strategisch denkender Unternehmer untermauert.
Den Leser interessiert natürlich das Verhältnis zu Mitstreitern und Gegnern. Manfred Rommel, der Stuttgarter Oberbürgermeister, war sein Konkurrent um Filbingers Nachfolge. Rommel war der bedächtigere, aber nicht weniger gewitzte Politiker und lobt Späth im Rückblick über den grünen Klee. Zu Erwin Teufel, unter Späth Fraktionsvorsitzender und sein Nachfolger als Ministerpräsident, heißt es lediglich, sie seien sich in herzlicher Abneigung verbunden gewesen. Erhard Eppler, Oppositionsführer im Landtag, sagt, Späth sei wie eine "Forelle im Bach" gewesen - einfach nicht zu fassen. Späths Regierungssprecher Matthias Kleinert, der 1987 zu Daimler-Benz wechselte, spricht mit Wehmut von den gemeinsamen Erfolgsjahren, als sie ein unschlagbares Tandem waren.
Und Helmut Kohl? Der stand der Autorin für ein Interview nicht zur Verfügung. Der entscheidende Augenblick in Späths Politikerkarriere war der CDU-Parteitag 1989 in Bremen, als er auf Wunsch Heiner Geißlers und einiger anderer gegen Kohl um den Parteivorsitz antreten sollte. Späth kniff und wurde vom Cleverle zum Brutusle. Das war das Aus für bundespolitische Ambitionen: "Unter Kohl würde ich keinen Fuß mehr auf den Boden kriegen. Darin konnte man sich auf Kohl absolut verlassen", zitiert Prinzing Späth. Dass ihm damals der Mut zum entscheidenden Schritt fehlte, könnte das bleibende Urteil über den Politiker Späth prägen: Er war ein Großer, aber kein ganz Großer.
Marlis Prinzing: Lothar Späth. Wandlungen eines Rastlosen. Orell Füssli Verlag, Zürich 2006; 440 S., 29,80 Euro.