Milch und Spüli kaufen!" Ein gelber Notizzettel an einer Pinnwand, WG-Alltag. Drüber sind Polaroid-Fotos der fünf Mitbewohner mit Reißnägeln festgezweckt, alle haben unterschrieben, damit Besucher auch wissen, wer hier überhaupt wohnt. Oben in der Ecke hat noch jemand einen Button befestigt, darauf ein Kopf, der so aussieht wie SPD-Landesvater Matthias Platzeck mit Herbert Wehners Pfeife im Mund. Es ist keine typische WG. Es ist eine Politiker-WG. Kristina Köhler (CDU), Carsten Schneider (SPD), Johannes Vogel (FDP), Nele Hirsch (Die Linke) und Anna Lührmann (Bündnis 90/Die Grünen) teilen sich allerdings nur virtuell Kühlschrank und Putzplan - sie bestreiten zusammen den Politiker-Blog bei Zuender, dem Jugendformat von zeit.de.
"Die Zuender" gibt es seit September 2005, das Format wurde angekündigt als ein Portal, das "von einer Gruppe junger Journalisten und ihrer Freunde" gestaltet wird. Diese Atmosphäre ist charakteristisch für die Seite, der Tonfall macht die Musik. "Wir wollen junge Perspektiven auf Politik bieten", erklärt Christian Bangel, der Redaktionsleiter von www.diezuender.de. Man wolle deutlich machen, dass Politik auch in der Lebenswelt der Jugendlichen zu finden sei. Deswegen sei auch überlegt worden, wie man die Themen der Parlamentsdiskussionen zu den Usern bringen könne, ohne sich auf Parteipolitik einlassen zu müssen - die Politiker-WG ist nur ein Beispiel dafür. Die User können kommentieren und haben so schon hitzige Debatten entfacht. Interaktive Elemente, wie bei Web 2.0-Formaten üblich, sind für Bangel "sehr wichtig", schließlich sind die Jugendlichen "qua Sozialisation daran gewöhnt, Infos nicht nur zu konsumieren sondern auch gleich darauf zu reagieren", Zuender sei entsprechend "meinungsstark". Die als Web 2.0 bekannten Internetdienste, bei denen die Nutzer die Inhalte vorgeben, eignen sich optimal dafür.
Konsumenten, die auch selbst produzieren: Das ist eine Variante des Genres Web 2.0, Wikis Weblogs, Podcasts sind Ausdrucksformen davon. Charakteristisch für die Beiträge: Sie sind authentisch. Und Glaubwürdigkeit gilt für Jugendliche traditionell als Gradmesser: hop oder top. Dass User sich einbringen ist erst einmal nichts Neues; Foren, Chats und Bildergalerien sind ein alter Hut. Charakteristisch für Web 2.0 sind die Ich-Perspektive und die einfache Bedienung. Andere Elemente von Web 2.0 stützen sich weniger auf die Nutzer selbst, sondern eher auf die Formate: Verlage lassen ihre Journalisten bloggen, Sender präsentieren ihre Beiträge als Podcast.
Für den Bayerischen Rundfunk gehören Podcasts und Videopodcasts längst zum Geschäft. Rainer Tief, der Verantwortliche für Jugend und Multimedia, betont: "Es ist unsere Aufgabe, Leuchtturm zu sein", man wolle als unabhängige Instanz Orientierung bieten. Die "Podparade" der Münchener Podcast-Pionierin Annik Rubens etwa gehört dazu: Sie präsentiert auf Bayern 3 ihre Fundstücke aus dem Podcast-Universum, seit Ende 2005, jeden Samstag. "Naheliegend, aber keiner macht's", kommentiert Tief.
Die bürgerjournalistische Idee hinter den "Bayernkurieren" ist weniger ungewöhnlich, aber dafür auf die Zielgruppe zugeschnitten: Beim BR-Jugendsender Zündfunk berichten Jugendliche regelmäßig über das Treiben in der Regensburger oder Nordbayerischen Provinz - "für die Zielgruppe aus der Zielgruppe", erklärt Rainer Tief das Konzept. Diese Regionalität soll auch bei der geplanten "Jungen Welle" des Senders eine zentrale Rolle spielen. Im April 2006 war zunächst entschieden worden, den Zündfunk in eine digitale Jugendwelle umzuwandeln und nun solle nach den neuesten Ergebnissen ein Multimedia-Radio entstehen, so eine Sprecherin, aufbauend auf dem bereits existierenden digitalen Musik-Angebot "Das Modul". Videoblogs und Audioblogs seien für die Jugendwelle eingeplant, Web 2.0 sei schließlich die Zukunft der Jugendformate.
Rainer Tief hat das neue Konzept mit vorgestellt, ist sich aber bewusst: "Wenn Sie irgendwo das Etikett Jugend draufkleben, läuft die Jugend schreiend davon." Die Jugend sei stark heterogen, es gebe "20-Jährige im Zweireiher und 60-Jährige mit Inline-Skatern". Ihm ist wichtiger, wer welche Medien nutze. Gerade bei Jugendlichen richte sich die Zeitplanung schließlich nicht nach dem Programmablauf auf UKW. "Die Zukunft des Radios liegt zwischen den Musiktiteln", ist Rainer Tief überzeugt, anspruchsvolle Inhalte sollten immer verfügbar sein.
Während der Zündfunk seine Hörer aus der bayerischen Provinz berichten lässt, setzt das SWR-Jugendportal "Das Ding" auf Internationalität: Unter rueckenwind.dasding.de berichten unter anderem Jörg aus Afrika und Lisa aus Bolivien. Filme wollte auch die Mädchen-Community "Lizzynet" und startete unter www.ohrenblick.de einen "Handy-Video-Wettbewerb": In Zwei-Minuten-Beiträgen sollten die Teilnehmer einen typischen Blick auf ihr Leben werfen.
"Diese Authentizität vermissen viele in den etablierten Medien", meint Johnny Haeusler, Gründer von Spreeblick.com, das im Juni den Grimme Online Award erhielt. Das Neue an der aktuellen Entwicklung sei für ihn in erster Linie, dass die Massenmedien nicht mehr die Produktionshoheit hätten. Auf einem Workshop der Bundeszentrale für politische Bildung über "Medien 2.0" Ende September erklärte er, dass es sich seiner Meinung nach eher um eine Evolution, nicht um eine Revolution handele.
Evolution - das würde auch Christian Bangel unterschreiben, mit Blick auf die Entwicklung des Jugendformats Zünder. Eine Neuerung steht noch in diesem Jahr an: Es soll CD-Kritiken in Podcast-Format geben. Aber noch, findet er, können die User selbst sich nicht so stark einbringen, wie es in Zeiten von Web 2.0 möglich wäre. Er wünscht sich mehr, denn: "Schließlich sind es die Nutzer, die unsere Seite tragen.