Die Debatte um das Tragen von Kopftüchern erhitzt immer wieder die Gemüter. Bisher entzündete sich der Streit meist an der Frage, ob Frauen, die ihr Haupt verhüllen, an deutschen Schulen unterrichten dürfen. Vor acht Jahren sagte das Oberschulamt Stuttgart "Nein" - und provozierte die Lehrerin Fereshta Ludin zu einer Klage. Die aus Afghanistan stammende Lehrerin prozessierte sich gegen das Koptuchverbot beziehungsweise gegen die damit begründete Nichtübernahme in den Schuldienst bis vor das Bundesverfassungsgericht. Im Herbst 2003 schlossen Deutschlands höchste Richter die Zulässigkeit eines Kopftuchverbots nicht aus. Aber sie verlangten, dass die Bundesländer dafür eine gesetzliche Grundlage schaffen müssten.
In der Folge ist dadurch eine höchst uneinheitliche Rechtslage entstanden: Zurzeit leben acht Bundesländer mit und acht ohne Kopftuchverbot. Baden-Württemberg machte in Folge des Ludin-Urteils den Anfang; dann zogen Bayern und zuletzt Nordrhein-Westfalen nach. Außerdem existiert ein Kopftuchverbot in Hessen, Niedersachsen, im Saarland, in Berlin und Bremen. Die neuen Länder sowie Hamburg und Rheinland-Pfalz sehen bisher keinen Handlungsbedarf, entweder weil bei ihnen ohnehin niemand ein Kopftuch im Klassenzimmer tragen möchte oder weil die Verantwortlichen dieses nicht anstößig finden.
Eine Sonderrolle nimmt Schleswig-Holstein ein: Dort hatte Kultusministerin Ute Erdsiek-Rave (SPD) lange ein Verbot angekündigt, bevor die Große Koalition vor einigen Monaten umdisponierte und nun weiter ohne Gesetz auskommen will. Hintergrund sind vor allem die von der Nordelbischen Kirche vorgetragenen Bedenken, ob ein Kopftuchverbot ohne die gleichzeitige Verbannung von christlichen und jüdischen Symbolen Bestand haben könne. Andere Länder haben sich diese Frage mit einem weiter gehenden Verbot beantwortet: Berlin hat neben dem Kopftuch auch Kreuz und Kippa für nicht salonfähig erklärt, und zwar für den gesamten öffentlichen Dienst.
Nicht ohne Einfluss auf den Rückzieher der Kieler Landesregierung dürfte ein Gerichtsurteil im fernen Stuttgart gewesen sein. Dort gaben Verwaltungsrichter im Juli einer Lehrerin Recht, die sich mit Verweis auf das Gleichbehandlungsgebot weigerte, ihr Kopftuch abzulegen. So lange an staatlichen Schulen Ordensschwestern in Nonnentracht unterrichteten, urteilten die Richter, müsse auch das Kopftuch zulässig sein. Getroffen hat das Urteil nicht zuletzt die heutige Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU), die das Verbot für das Stuttgarter Kultusministerium initiiert hatte. Schavan argumentiert, dass Ordenstracht "Berufskleidung", das Kopftuch hingegen nicht nur ein religiöses, sondern auch ein politisches Symbol sei.
Diverse Verfassungsrechtler erklären seit Jahren, dass ein alleiniges Verbot islamischer Symbole kaum mit dem Grundgesetz zu vereinbaren sei. In der ohnehin komplexen Rechtslage zwischen staatlicher Verpflichtung zur Neutralität einerseits und dem Recht auf Religionsfreiheit andererseits könne es nur eine generelle Linie und keine Sonderbehandlung geben, argumentiert der ehemalige Verfassungsrichter Ernst-Wolfgang Böckenförde: Eine Gleichbehandlung sei unerlässlich, "das Grundgesetz unterscheidet nicht zwischen privilegierten und weniger privilegierten Religionen". Daraus kann man nun wie Böckenförde ein Plädoyer für die Präsenz religiöser Werte im öffentlichen Leben ableiten - oder den strikten Laizismus, die vollständige Trennung von Religion und Staat.
Auf Schülerinnen wird das Verbot religiöser Bekenntnisse bisher nicht übertragen. Zuletzt stellte das bayerische Kultusministerium klar, dass Mädchen "auch während des Unterrichts ein Kopftuch tragen" können. Zuvor hatte eine Hauptschule in Dingolfing einer Schülerin "nahe gelegt", das Kopftuch abzunehmen. Dass das Tragen eines Kopftuches auch am Arbeitsplatz im Prinzip zulässig ist, erstritt in den 90er-Jahren eine Türkin in Hessen vor dem Bundesarbeitsgericht. In der Realität stößt die Jobsuche für kopftuchtragende Musliminnen allerdings schnell an ihre Grenzen. Berufsberater und Arbeitsämter raten den Frauen seit Jahren dazu, das Kopftuch abzunehmen, wenn sie Arbeit finden wollen.
International ist die Debatte um Kopfbedeckungen keine Ausnahme: Außer islamisch geprägten Ländern diskutieren auch westeuropäische Einwanderungsländer immer wieder, wer sich wann wie zu kleiden habe. In Frankreich, wo seit 2004 ein striktes landesweites Kopftuchverbot auch für Schülerinnen gilt, halten die Proteste bis heute an. Und in Großbritannien und den Niederlanden, beides Länder, in denen lange Zeit jede Frau tragen konnte, was sie wollte, erhitzt zurzeit eine wesentlich weiter gehende Verhüllung die Gemüter: In Großbritannien wurde vor einigen Wochen mit öffentlicher Unterstützung des Premierministers Tony Blair eine Lehrerin suspendiert, deren Schleier nur einen schmalen Schlitz für die Augen freiließ.
In den Niederlanden wird zurzeit über ein Verbot der Burka, die seit einigen Jahren verstärkt im Straßenbild der Städte auftaucht, diskutiert. Integrationsministerin Rita Verdonk würde den Vollschleier mit vergittertem Gesichtsfeld gerne in der gesamten Öffentlichkeit mit der Begründung verbieten, es handle sich um ein Sicherheitsrisiko: "Man sieht nicht, wer darunter steckt." Das Parlament hat dem Verbot bereits zugestimmt; vor allem das Justizministerium, das eine Verletzung des Diskriminierungsverbots fürchtet, ziert sich noch. Nun will die Regierung noch im laufenden Monat eine Entscheidung fällen. Die Stadt Utrecht hat unterdessen im Rahmen ihrer Möglichkeiten bereits Fakten geschaffen: Dort bekommen Frauen, die sich weigern, die Burka bei der Jobsuche abzulegen, kein Arbeitslosengeld mehr ausgezahlt.