Das Parlament: Herr Fuchs, Herr Berninger - haben Sie heute schon gejammert?l
Fuchs: Nein. Warum sollte ich jammern?
Berninger: Jammern bringt doch nichts voran.
Das Parlament: Aber Sie, Herr Fuchs, sind doch Unternehmer. Und die deutschen Unternehmer tun doch nichts so gern, wie über den Standort zu jammern.
Fuchs: Das sollten sie nicht tun. Es kann nicht funktionieren, alles schlecht zu reden. Das wäre auch nicht gerechtfertigt, denn Deutschland steht wirtschaftlich nicht schlecht da.
Berninger: So reden Sie jetzt, lieber Herr Fuchs. Vor der Bundestagswahl allerdings hat sich die CDU zum Resonanz-Verstärker für alle Jammerer gemacht.
Fuchs: Da war die Situation auch noch schlechter. Rot-Grüne Wirtschaftspolitik war meist jammervoll gemacht.
Berninger: Es ist ein Problem, dass die Unternehmerverbände erst jammern, dann die Erträge von wirtschaftsfreundlichen Reformen einstreichen - und danach weiterjammern. Dieses Problem hat heute die große Koalition. Wir hatten es vorher, als Rot-Grün regierte. So schwächen die Unternehmerverbände auf Dauer ihre Position.
Fuchs: Das gilt aber für die Gewerkschaften mindestens genauso. Gewerkschafts- funktionäre blockieren zudem notwendige Veränderungen.
Berninger: Die Unternehmer haben von den Reformen mehr profitiert als die Gewerkschafter. Die Absenkung des Spitzensteuersatzes, dazu die Hartz-Reformen, das wollten die Unternehmer doch.
Das Parlament: Als ehemaliger Staatsekretär für Verbraucherschutz müssten Sie, Herr Berninger, Profi im Jammern sein. Beklagen Sie nicht immer mangelnde Regulierung?
Berninger: Im Ministerium bin ich mit Blick auf die unsinnigen Agrarsubventionen zu einem glühenden Anhänger der Marktwirtschaft geworden. Auch Verbraucherschutz hat mit Markt, mit Wahlfreiheit zu tun. Deshalb haben wir von Unternehmen eine bessere Kennzeichnung beispielsweise der Inhaltsstoffe ihrer Produkte verlangt. Das allerdings war keineswegs Gejammer von uns, sondern hat vielmehr Gejammer ausgelöst.
Fuchs: Wir sind uns jedenfalls einig, dass zuviel gejammert wird.
Das Parlament: Also ohne Gejammer: Wie steht es denn um denn Standort?
Fuchs: Wir müssen noch jede Menge tun. Es gibt einige Bereiche, in denen die Wirtschaft erfreulicherweise boomt. Dazu gehört der Export, obwohl man in Rechnung stellen muss, dass viel von dem, was in den Export geht, erst importiert wird. Zum Zweiten springt erstmals seit langem der Konsum in Deutschland an. In verschiedenen Bereichen greifen Gesetze ganz spürbar: Versuchen Sie momentan mal, Dachlatten zu bekommen. Es gibt keine mehr, weil wir ein KfW-Programm "Wohnen, Umwelt, Wachstum" gemacht haben, und das läuft, wie wir im Rheinland sagen würden, "wie Schmidts Katz". Die KfW hat dreimal so viel Geld zur Verbilligung von Krediten an Mittelständler ausgegeben wie letztes Jahr.
Berninger: Als Vertreter der GEMA müsste ich Schutzgebühren verlangen. Erfinderin des Sanierungsprogramms war nicht die Große Koalition, sondern die Grünen.
Fuchs: Da können Sie uns ja wenigstens Lernfähigkeit bescheinigen.
Berninger: Das tue ich auch - vor allem deshalb, weil es einen Bereich gibt, in dem es tatsächlich brummt. Grüne Ideen schreiben schwarze Zahlen - es boomt erheblich im ökologischen Bereich!
Fuchs: Das liegt ja wohl an den hohen Subventionen.
Berninger: Die Subventionen, die wir in anderen Bereichen vergeben, sind um einiges höher.
Fuchs: Bei der Windkraft sind sie mittlerweile doppelt so hoch wie bei der Steinkohle.
Berninger: Das ist ein gutes Beispiel. Relativ ungern hat Eon kürzlich eine Studie veröffentlicht, die zeigt, dass die Windkraft dazu beiträgt, den Strom billiger zu machen. Windkraft trägt zur Spitzenlastproduktion bei, die sonst auf Erdgas basiert. Und Erdgas ist inzwischen so teuer, dass der mit Windrädern produzierte Strom günstiger ist. Der Strompreis sinkt mit jedem sich drehenden Windrad.
Fuchs: Hier wird leider nicht der Markteintritt gefördert, sondern dauerhaft subventioniert. Die Zeche zahlen alle Stromkunden über eine Umlage. Außerdem: Die Windräder drehen sich so selten.
Berninger: Das liegt auch an der Struktur unserer Netze. Noch immer schätzen weite Teile der CDU/CSU in der großen Koalition die erneuerbaren Energien nicht realistisch ein. Der Wirtschaftminister beschäftigt sich permanent mit Atomkraftwerken und übersieht dabei, dass der Windenergieboom in den USA fast vollständig mit deutschen Patenten und Produktionen aus Deutschland getragen wird.
Fuchs: Wir haben ja nun mal das Phänomen, dass in Deutschland im Inlandsbereich der Wind nur sehr unstetig bläst. Wenn ich dann sehe, dass Windkraftanlagen mit einer Funktionszeit von nur acht Prozent aufgebaut werden oder abgeschaltet werden, wenn der Wind zu stark bläst, verstehe ich den ökologischen Sinn dieser ganzen Geschichte nicht. Ökonomisch ist es Unsinn.
Das Parlament: Retten erneuerbare Energien den Standort?
Berninger: Nein, nicht allein. Aber wenn man sich den Film von Al Gore ansieht, dann stellt man fest, dass die Umwelttechnologien generell eine enorme Bedeutung haben. Die unsichtbare Hand des Marktes wird grün. Wer Ressourcen leicht produziert, wird enorme Vorteile haben. Da haben wir angefangen. Die große Koalition setzt das an verschiedenen Stellen fort. Umwelttechnik ist ein wichtiger Standortfaktor. Zum Zweiten: In den vergangenen 20 Jahren sind insbesondere im Gesundheitswesen Arbeitsplätze entstanden. Im Bereich der Gesundheitswirtschaft haben wir zu wenig Wettbewerb. Dass es in einem Land wie Deutschland ein Mehr- und Fremdbesitzverbot für Apotheken gibt, ist absurd. Hier wird Mittelstand mit Mittelalter verwechselt.
Fuchs: Es gibt Dinge, die irgendwann korrigiert werden. Ich bin schon der Meinung, dass wir in vielen Bereichen Deutschlands mehr Markt brauchen. Aber das ist nicht alles auf einmal und auch nicht in einer Legislaturperiode zu regeln. Mich treibt aber viel mehr um, dass wir in dem gesamten Sektor Arbeitsmarkt immer noch keinen Markt haben, sondern Regulierung.
Berninger: Das ist natürlich erstmal richtig. Wir haben am Arbeitsmarkt Probleme - etwa durch ein Arbeitsrecht, das durch Richterrecht geprägt ist.
Fuchs: Da haben Sie aber während ihrer Regierungszeit nicht dazu beigetragen, das zu ändern.
Berninger: Das Richterrecht führt auf der Arbeitgeberseite zu großen Unsicherheiten, weil Entlassungen in der Regel vor ein Arbeitsgericht führen und meistens mit einer Abfindung enden. Schon Willy Brandt hat 1970 gesagt, wir brauchen ein Arbeitsgesetzbuch. Die Große Koalition hat nicht die Kraft gefunden, ein solches Arbeitsgesetzbuch zum Projekt zu machen.
Fuchs: Wir sind an diesem Thema intensiv dran. Ich werbe sehr für dieses Projekt. Ich erinnere mich selbst an einen Fall aus meiner Unternehmerzeit, der mich heute noch ärgert. Wir mussten die Buchhaltungssoftware erneuern und haben neue Software gekauft und alle Mitarbeiter, die damit gearbeitet haben, auf eine Schulung geschickt. Dabei war eine 49-jährige Dame, die sagte, sie habe keine Lust mehr, eine Schulung zu machen und wolle das auch nicht mehr lernen. Wir konnten aber nicht wegen einer Mitarbeiterin zwei verschiedene Softwareprogramme laufen lassen. Sie hat sich stur gestellt und einen anderen Arbeitsplatz verlangt. Ich kann eine viel teurere Buchhalterin nicht ans Fließband stellen, deshalb musste ich ihr betriebsbedingt kündigen. Sie hat mich natürlich sofort verklagt und weil sie neun Jahre in meinem Betrieb war, habe ich ihr pro Jahr ihrer Betriebszugehörigkeit ein halbes Monatsgehalt Abfindung zahlen müssen. Für eine schlichte Arbeitsverweigerung! Es kann nicht sein, das unser Arbeitsrecht so etwas ermöglicht.
Berninger: Die Große Koalition hat den Streit um die Frage der Befristung am Anfang eines Arbeitsverhältnisses und die Probezeit noch nicht beendet.
Fuchs: Das ist ja erledigt. Zu einer praxistauglichen Umsetzung unter Einbeziehung der Sonderkündigungsschutzrechte ist die SPD derzeit leider nicht bereit. Deshalb bleiben wir beim geltenden Recht.
Berninger: Bundeswirtschaftsminister Glos wird sich freuen, das zu hören. Im Ernst, dieser Streit geht am Kern des Problems vorbei. Wir brauchen ein vernünftiges, schlankes Arbeitsgesetz, das Arbeitnehmer- und Arbeitgeberrechte klarer umschreibt.
Das Parlament: Weichen Sie da nicht aus?
Berninger: Der Kündigungsschutz, wie wir ihn bisher haben, muss jedenfalls nicht an der Stelle der Probezeit geändert werden. Wir brauchen ein Arbeitsrecht, das für beide Seiten bessere Planbarkeit schafft. Für diejenigen, die draußen sind, bringt das derzeitige Arbeitsrecht ein Problem.
Das Parlament: Und deshalb werden keine Jobs geschaffen?
Fuchs: Ganz konkret: Ich war vor zwei Wochen auf einer Baustelle und dort stand der Meister persönlich auf der Leiter. Ich sagte: Toll, hier schafft der Meister noch. Da meinte er: Ich muss mitarbeiten, bei dem Auftragsvolumen. Ich fragte ihn, warum er niemanden einstelle. Er: Dann hab' ich den Kündigungsschutz am Hals. Das Theater möchte ich nicht noch mal haben.
Berninger: Dazu kommt eine zweite Sache: Wir haben ein Arbeitslosigkeitsproblem in Deutschland, das sich im Bereich der höher Qualifizierten nicht wesentlich unterscheidet von denen anderer Volkswirtschaften - aber eben im Bereich der weniger hoch Qualifizierten. Und jetzt machen wir eine Umfinanzierung, mit einem Prozent Mehrwertsteuer, und wir haben zusätzlich Einsparungen im Bereich der Sozialversicherungen.
Fuchs: Das Problem haben Sie ja in sieben Jahren Rot-Grün nicht gelöst.
Berninger: Bis 2000 war unsere Bilanz gar nicht so schlecht. Das haben Sie nicht gemerkt, weil Sie sich mit den schwarzen Kassen beschäftigen mussten. Dann kam der 11. September und hat vieles schwieriger gemacht. Ich glaube aber, dass wir uns einig sind, dass nicht Herr Glos eigenhändig diese 100.000 sozialversicherungspflichtigen Jobs geschaffen hat …
Fuchs: 258.000.
Berninger: ...sondern dass sie auch Ergebnis zum Teil sehr unangenehmer Reformen sind. Die Frage ist: Wenn wir die Lohnnebenkosten senken und das in einer Größenordnung von 40 Milliarden Euro steuerfinanzieren, ist es dann besser, eine lineare Absenkung zu machen oder sollte man sich nicht besser auf den Bereich der kleinen und mittleren Einkommen konzentrieren? Das ginge über ein Progressivmodell, in dem die Kosten erst einmal langsam in der Größenordung von 800 bis 2.000 Euro steigen. Stärkere Entlas-tung, konzentriert im Niedriglohnbereich, scheint mir das bessere Instrument zu sein.
Fuchs: Negative Einkommenssteuer.
Berninger Wir brauchen eine bessere Idee als den diskutierten subventionierten Niedriglohnbereich. Wegen der Mitnahme- und Drehtüreffekte wird das zu teuer. Wenn die Bundesregierung Milliarden in die Sozialversicherung lenkt, sollte sie keine lineare Absenkung vornehmen. Das Geld sollte gezielt in die unteren Einkommensgruppen fließen.
Das Parlament: Ein Modell, das der DGB so vorgeschlagen hat.
Fuchs: Ich habe ja soeben die negative Einkommenssteuer erwähnt. In der Wirkung geht es in diese Richtung, ist aber doch etwas anderes. Ich bin gegenüber den Kombilohnmodellen, die gerade diskutiert werden, sehr skeptisch. Wenn Herr Müntefering einen "Kombilohn 50 plus" machen will, muss man verdammt aufpassen, damit nicht ein neuer Subventionstopf aufgemacht wird, der uns riesig Geld kosten wird, aber keine effektive Wirkung auf den Arbeitsmarkt hat. Dass wir für ältere Arbeitnehmer etwas tun müssen, sehe ich voll und ganz ein. Man muss aber bei diesen Kombilohnmodellen sehr gut aufpassen, um möglichen Missbrauch zu verhindern.
Berninger: Noch mal: Dieser Tage wird für die Steuerfinanzierung sozialer Sicherung viel Geld in die Hand genommen. Wir haben das mit der Ökosteuer gemacht. Prinzipiell ist das auch richtig. Aber das Grundproblem besteht darin, dass ein zu großer Teil des Sozialstaats von Arbeitnehmern und Arbeitgebern finanziert wird. Wenn man das lösen will, ist das Geld besser im Bereich der kleineren und mittleren Einkommen investiert. Nehmen wir an, ich habe 15 Milliarden Euro...
Fuchs: Die fallen ja nicht vom Himmel. Also Ihre Forderung ist die Erhöhung der Ökosteuer, damit wir die 15 Milliarden haben?
Berninger: Nein, dazu sind die Energiepreise zurzeit zu hoch. Man kann die Steuerfinanzierung sozialer Sicherungssysteme linear über alle verteilen oder auf Bereiche konzentrieren, in denen unsere Arbeitsmarktprobleme am größten sind: Im Bereich kleiner und niedriger Einkommen haben wir ein reales Kostenproblem. Das Entscheidende ist, dass eine Konzentration des Geldes einen größeren Effekt hätte. Doch diese Koalition verteilt das Geld mit der Gießkanne.
Fuchs: Wo haben wir denn da was verteilt? Gerade bei der Arbeitslosenversicherung senken wir die Lohnzusatzkosten um 2,3 Prozent. Damit schaffen wir mindestens 200.000 neue Arbeitsplätze. Da gibt es eine von keinem Wirtschaftsinstitut bestrittene Korrelation von Lohnzusatzkosten und Arbeitslosigkeit. Ein Prozent entspricht 100.000 Arbeitsplätzen.
Berninger: Aber wenn man die Summe von diesem einen Prozent nicht linear verteilt, sondern konzentriert, hat man einen noch höheren Effekt am Arbeitsmarkt. Das Zentrum unserer Arbeitslosigkeit liegt in diesem Bereich. Dass sie sich nicht auf den Niedriglohnbereich konzentriert - das werfen wir der Großen Koalition vor.
Das Parlament: Wäre für Sie das Progressionsmodell denkbar?
Fuchs: Ich habe ein Problem damit, wenn wir stets neue Fässer aufmachen. Und das geht in eine neue Fassrichtung. Die negative Einkommenssteuer hat für mich eine andere Wirkung, weil sie auch am Gehalt ansetzt. Wir sollten nicht wieder eine ganze Gruppe aus der Sozialversicherungsleistung heraus nehmen, weil wir alles, was herausgenommen wird, gegenfinanzieren müssen. Ich will da nicht wieder so einen Sonderstatus haben.
Berninger: Ich bin anderer Meinung. Erstens: Wir haben in massivem Umfang Steuern gesenkt: Eingangssteuersatz, Grundfreibetrag, Spitzensteuersatz. Bei dem eigentlichen Problem, der Steuerfinanzierung sozialer Sicherheit, haben wir aber nicht mehr die nötigen Reserven gehabt, um Absenkungen vorzunehmen. Wenn es so ist, dass Deutschland 2006 einen zu großen Anteil seines Sozialstaats über die Arbeitskos-ten finanziert, ist eine Senkung der Arbeitskosten einer Senkung der Steuer vorzuziehen. Und weil das so ist, wäre es besser darüber nachzudenken, wie Arbeitskosten gezielter gesenkt werden können. Wenn wir uns generell darauf verständigen können, dass gezielte Absenkungen sinnvoll sind, kann man auch über so etwas wie Income-Tax-Credits reden. Man kann zum Beispiel einen Teil der Absenkung über das Progressivmodell über die Steuern zurückzahlen.
Das Parlament: Ihr Modell in drei Sätzen?
Fuchs: Ich vertrete das Modell der Negativen Einkommenssteuer. Das heißt nichts anderes, als dass wir bei Niedriglohnbeziehern einen Teil steuerfinanzieren. Und das wächst nicht nach oben raus. Sobald das Einkommen steigt, wird dieser Teil niedriger.
Berninger: Wir sind da nah beieinander. Wenn man sagt, man senkt die Versicherungsbelastungen im Niedriglohnbereich zielgenau und investiert dort mehr, als wir das bisher tun - Bingo! Wie man das dann nennt, stelle ich frei.
Fuchs: Wir müssen versuchen, die Kosten der Löhne im Niedriglohnbereich soweit abzusenken, dass die Leute Arbeit finden. Wenn wir sehr schnell so hohe Löhne haben, dass sich die Arbeitsproduktivität des Einzelnen für das Unternehmen nicht rechnet, wird er nicht eingestellt. Da können wir machen, was wir wollen. Der vom DGB geforderte Mindestlohn von 10 Euro führt dazu, dass wir noch mehr Arbeitsplätze verlieren.
Berninger: Regional- und branchenspezifische Mindestlöhne, natürlich deutlich unter 10 Euro, sind nötig, um eine gezielte staatliche Unterstützung im Niedriglohnbereich zu flankieren.
Das Parlament: Sie sind sich ja relativ einig, dass nicht die Verdienste zu hoch sind, sondern der Abgabenteil. Dennoch gibt es eine Debatte, die Löhne an sich seien zu hoch.
Fuchs: Das was bei den Leuten Netto ankommt, ist nicht zu hoch. Die Kosten der Unternehmen sind hoch. Auf gut deutsch: Mehr Cash in the Täsch, ohne dass die Unternehmen höher belastet werden.
Berninger: Das kriegen wir mit den vorhandenen Spielräumen nur hin, wenn wir uns auf den Niedriglohnbereich konzentrieren.
Fuchs: Und die Leistungsträger müssen das dann finanzieren? Nehmen Sie doch mal einen Facharbeiter - das ist doch ein Leistungsträger, den wir genauso fördern müssen. Wir haben einen "brain drain" junger Menschen, die sagen "Ich kann in Deutschland nicht genug verdienen". Das liegt natürlich auch an unserem Abgabensystem. Wenn ich irgendeinen Bereich subventioniere, müssen es die anderen bezahlen. Damit verstärke ich diesen Trend.
Berninger: Da haben Sie ein wichtiges weiteres Standortproblem angesprochen. Deutschland ist für höher Qualifizierte Auswanderungsland. Unsere Einwanderungspolitik hat hier auch keine guten Rezepte gefunden - auch weil jede kleine Änderung im Einwanderungsrecht von einer Unterschriftenkampagne der CDU begleitet war. Wir haben keine ausreichende Einwanderungspolitik für die Kreativen der Welt.
Fuchs: Deutschland muss Einwanderungsland für Menschen werden, die Leistung erbringen und das Land nach vorne bringen wollen. Wir machen ja, Gott sei Dank, einiges auf dem Sektor Forschung, wir geben ja immerhin 6 Milliarden Euro in dieser Legislaturperiode mehr aus. Dazu gehört auch, dass man die Leute, die hier her wollen und die wir brauchen können, auch reinlässt. Aber wir müssen gleichzeitig dafür sorgen, dass unsere eigenen Leute nicht abhauen.
Berninger: Wir müssen uns, glaube ich, daran gewöhnen, dass Leute mal rausgehen und im Zweifel auch zurückkommen.
Fuchs: Aber es gibt doch keinen Rückkehreffekt.
Berninger: Doch, sogar in der Wissenschaft. Es gibt eine Menge Spitzenforscher, die zurückkommen, da sollten wir nicht mehr jammern als nötig. Übrigens hat der Visa-Untersuchungsausschuss eine Spur des Schreckens in den Konsulaten hinterlassen…
Fuchs: Berechtigt.
Berninger: ...weil in den Konsulaten das Gefühl "um Gottes Willen nichts riskieren" aufkam. Es würde mich freuen, wenn die Große Koalition hier eine Änderung vornimmt. Erfinder von "Kinder statt Inder" war schließlich Herr Rüttgers.
Fuchs: Die Heuschrecken-Debatte hat aber auch eine Menge ausländisches Kapital abgeschreckt. Wir brauchen gerade für kleine Hightech-Unternehmen diese Venture Capitals, sonst können die nicht in den Markt hineinkommen. Da gibt's jetzt ja wenigstens einen kleinen Umkehrtrend.
Berninger: Wenn man das Ziel hat, dass die Wirtschaft im Bereich Forschung und Entwicklung mehr Geld ausgibt, dann braucht man mehr Wagnis-Kapital in Deutschland. Ausländische Direktinvestitionen in Deutschland sind viel geringer als in den europäischen Nachbarländern. Die Heuschreckendebatte, wie sie Müntefering geführt hat, war in der Tat verheerend. Dabei war er als Bauminister der Erste, der den Heuschrecken die Tür geöffnet hat. Das ist verlogen.
Das Parlament: Wie halten Sie es mit der Unternehmensbesteuerung?
Fuchs: Wir arbeiten intensiv an einer Unternehmenssteuerreform. Es ist Konsens in der Großen Koalition, dass ein Steuersatz über 30 Prozent kontraproduktiv ist. Wir werden zum 1.1.2008 eine Unternehmenssteuerreform machen und die Sätze senken. Wir sind uns in der Koalition einig, dass Deutschland auf diesem Gebiet nicht wettbewerbsfähig ist und wir Veränderungen schaffen müssen.
Das Parlament: Eine OECD-Studie besagt, dass wir hohe Steuern und trotzdem hohe Gewinne haben. So schlecht kann der Standort doch nicht sein?
Berninger: Wir haben hohe Steuersätze, aber eine Struktur, die es Unternehmen möglich macht, real weniger Steuern zu zahlen. Zum Beispiel schafft es IKEA, über das Thema Fremdfinanzierung und Zinsen die Steuerbelastung massiv zu drücken.
Fuchs: Wir bauen gerade eine Zinsschranke ein, damit diese Auslandsfinanzierungen so nicht mehr laufen. Das hätten Sie ja auch machen können, Sie hatten ja sieben Jahre Zeit.
Berninger: Tempi pasati. Entscheidend ist, dass wir bei der Unternehmenssteuerreform nicht auf das Steuerniveau schauen dürfen, sondern auf die Bestandteile des Steuerrechts. Wenn die Reform Unternehmen benachteiligt, die in Forschung und Entwicklung investieren, bringen die niedrigen Steuersätze nichts. Wir werden die Unternehmenssteuerreform daran messen, dass nicht die kleinen Unternehmen die Entlastungen für die großen Unternehmen bezahlen müssen.
Das Parlament: Das Gefühl, dass die Kleinen für die Großen zahlen, hat man oft - zum Beispiel bei der Mehrwertsteuer.
Fuchs: Es gibt keine gerechtere Steuer als die Mehrwertsteuer. Bei der Mehrwertsteuer muss jeder zahlen. Wer viel Geld ausgibt, zahlt viel Mehrwertsteuer - wer wenig ausgibt, zahlt wenig.
Berninger: Wenn eine Person sein gesamtes Einkommen verkonsumieren muss, zahlt sie auf sehr viele Dinge einen erhöhten Mehrwertsteuersatz - während eine Person mit einem höheren Einkommen, die viel sparen kann, die Mehrwertsteuererhöhung nicht in gleicher Weise fürchten muss. Ein reales Problem der Verteilung von Mehrwertsteuer ist schon, dass im Bereich der kleineren und mittleren Einkommen das verfügbare Geld im Monat zurückgeht. Das schwächt die Binnenkonjunktur.
Fuchs: Deswegen senken wir gleichzeitig die Lohnzusatzkosten.
Berninger Aber viel, viel geringer…
Fuchs: Warten Sie mal ab. Gehen Sie davon aus, dass die Zusatzkosten um mindestens zwei Prozent, vielleicht auch noch um ein bisschen mehr, gesenkt werden. Die Senkung des Arbeitslosenversicherungsbeitrags um 2,3 Prozent gibt Arbeitgebern und Arbeitnehmern rund 18 Milliarden Euro ihrer Beitragsleistung zurück. Das ist ja eine Nettoerhöhung der Löhne um mehr als ein Prozent, das wollen wir mal festhalten.
Berninger: Das Investitionsprogramm der Bundesregierung umfasst 25 Milliarden Euro. Gleichzeitig verursacht die Mehrwertsteuererhöhung einen Kaufkraftentzug in der Größenordnung von 75 Milliarden. Dieses Problem ist eines, das alle Beteiligten eingestehen. Die Frage ist: Wird die Mehrwertsteuererhöhung die Binnenkonjunktur so zum Erlahmen bringen, dass am Ende eine höhere Arbeitslosigkeit entsteht? Ich prophezeie: Gerät die Binnenkonjunktur ins Stocken, ist die große Koalition relativ schnell fällig. Passiert das nicht, werden immer noch einige wenige Menschen einen Großteil der Reform für andere bezahlen.
Fuchs: Machen wir uns doch nichts vor: Kein Mensch hatte Lust, die Mehrwertsteuer in der Weise zu erhöhen, wie wir sie erhöhen müssen. Aber es kann doch nicht sein, dass wir jedes Jahr die Verfassung und die Maastricht-Kriterien verletzen. Damit bin ich nicht mehr einverstanden. Und ich bin noch mit einem anderen Punkt nicht einverstanden: Wir machen im großen Stil eine Politik nach dem Motto "Kinder haften für ihre Eltern". Irgendeiner darf ja freundlicherweise die ganzen Schulden wieder zurückzahlen. Es hat mich immer gewundert, dass gerade die Grünen, die ja auf den Punkt der Nachhaltigkeit viel Wert legen, das nicht stärker thematisiert haben. Wir haben mittlerweile allein auf der Bundesebene rund 900 Milliarden Euro Schulden, alle Gebietskörperschaften zusammen sind wir bei 1,5 Billionen. Das ist so irre viel, dass es wahrscheinlich gar keine Hoffnung gibt, das jemals zurückzahlen zu können. Das können wir nicht weiter nach oben ausufern lassen. Es muss Ziel sein, so schnell wie möglich wieder zu einem ausgeglichenen Haushalt zu kommen. Ich bin heilfroh, dass wir das Bundesverfassungsgerichtsurteil zu Berlin bekommen haben. Es wäre doch eine Katastrophe gewesen, wenn da ein Weg aufgemacht worden wäre, damit sich Berlin zu Lasten aller anderen irgendwelche Luxusdinge leisten kann. Wir Politiker haben verdammt noch mal die Verpflichtung, dafür zu sorgen, dass nicht alle zukünftigen Generationen ständig weiter belastet werden.
Berninger: Da haben Sie Recht, es ist ein gutes Urteil. Unser Föderalismus hat bisher das Phänomen hervorgebracht, dass die Länder immer alles allein regeln wollten und dann wieder zum Bund mussten, wenn sie nicht mehr genug Geld hatten. Das konnte man auch bei der Mehrwertsteuererhöhung sehen. Die Länder wollten nur unter der Bedingung, dass auch sie ein Prozent für ihre Haushalte bekommen, zustimmen. Insofern waren die Verfassungsrichter in ihrem Urteil sehr weise. Gleichzeitig gilt: Wir brauchen eine nachhaltige Finanzpolitik.
Fuchs: Sie haben sieben Jahre lang regiert und da war nichts mit nachhaltiger Finanzpolitik.
Berninger: Das stimmt so nicht. In den ersten Jahren unter Hans Eichel, der später ja ihr Prügelknabe war, ist die Nettoneuverschuldung zurückgegangen. Ab 2001 ist das Ganze gekippt. Der Staat ist die entscheidenden Reformen nicht angegangen, weil es infolge der bereits erfolgten sozialen Einschnitte eine Kaufzurückhaltung gab. Diese Schieflage schätze ich genau so negativ ein wie Sie.
Fuchs: Ich war jedenfalls erfreut, dass die Wirtschaftsinstitute erfreuliche Daten für das nächste Jahr vorausgesagt haben, die höher sind als dies bei Rot-Grün der Fall war.
Berninger: Prognosen sind immer schwierig, wenn sie sich auf die Zukunft beziehen.
Das Parlament: Lassen Sie uns hier einen kleinen Bruch machen: Was tun sie als Abgeordnete für den Wirtschaftsstandort Deutschland?
Berninger: Nehmen wir das Thema Bürokratieabbau. Ich glaube, dass der Ansatz der Großen Koalition, mit einem Kontrollrat das ganze systematischer vorzunehmen, in die richtige Richtung weist. Das Parlament sollte sich insgesamt mehr darauf besinnen, dass wir Gesetzgeber und nicht nur Gesetzentgegennehmer sind. Wir sollten als Parlament gemeinsam über Parteigrenzen hinweg mehr Kraft haben, bürokratische Hürden abzubauen. Ich glaube, dass wir da gemeinsam im Wirtschaftsausschuss mehr erreichen könnten.
Fuchs: Der zweite Punkt ist eine vernünftige Unternehmenssteuerreform, von der auch der Mittelstand profitiert, weil Personengesellschaften erstmals so behandelt werden wie Konzerne. Die allseits zustimmend begrüßten Eckpunkte liegen jetzt auf dem Tisch. Nun beginnt die Feinarbeit. Für den Mittelstand ist die erbschaftsteuerliche Erleichterung beim Betriebsübergang ebenfalls sehr wichtig. Das Kabinett hat bereits einen Gesetzentwurf beschlossen.
Das Parlament: Gibt es aus Ihrer Sicht auch eine Verantwortung der Unternehmer, der Manager in diesem Lande?
Berninger: Schauen Sie sich Ackermann oder Kleinfeld an: Die werden ihrerseits nicht aus inniger Verantwortung heraus für die Politik handeln, sondern sind nur ihren eigenen Renditen verpflichtet. Anders als mein früherer Koalitionspartner glaube ich nicht, dass die großen Unternehmen der Ort sind, wo neue Arbeitsplätze entstehen. Jobs entstehen bei kleinen und mittleren Unternehmen. Familienunternehmer tun sich zudem viel schwerer damit, Leute zu entlassen, als die Kleinfelds dieser Welt.
Fuchs: Ich kann mich dem nur anschließen. Man kann darüber jammern oder nicht. Aber wir leben in einer globalisierten Welt und diese globalisierte Welt zwingt Manager zu einem verschärften Shareholder-Value-Denken und zu Entscheidungen an den Börsen der Welt - die müssen einfach anders handeln als der normale Mittelständler.
Das Parlament: Es gibt also keine moralische Verpflichtung der Unternehmen eines Landes mehr?
Fuchs: Die sind doch gar nicht mehr deutsch, sondern international. Die ganz großen Unternehmen in Deutschland machen nur noch ein Drittel oder weniger ihres Umsatzes hier in Deutschland. Wo verdient die Deutsche Bank denn ihr Geld? Doch nicht in Deutschland, die verdient das in London. Wo sitzen die ganz Großen, wer ist noch überwiegend am Standort Deutschland? Mit dem gleichen moralischen Anspruch könnten diese Firmen sagen, sie müssten umgehend Arbeitsplätze in China herstellen oder in anderen Ländern, wo diesoziale Situation das unter Umständen noch wesentlich mehr verlangen würde als bei uns.
Berninger: Am Abend der letzten Bundestagswahl wollte Herr von Pierer gemeinsam mit Frau Merkel feiern und im Windschatten der Wahl kündigte Siemens die Entlassung tausender Mitarbeiter an. Moralische Verpflichtungen sind doch längst frommer Kinderglaube.
Das Parlament: Nehmen wir an, zum Abschluss haben Sie noch drei Wünsche an eine gute Fee frei: Was wünschen Sie sich für den Wirtschaftsstandort Deutschland?
Fuchs: Wie bereits gesagt, eine rechtsformneutrale Unternehmenssteuerreform, die den Steuerstandort Deutschland wieder wettbewerbsfähig macht. Als Zweites spürbaren Bürokratieabbau und als Drittes, dass wir Tabellenletzter bei der höchsten Arbeitskostenbelastung werden.
Berninger: Das Mindeststammkapital von 25.000 Euro als Eintrittskarte in das Unternehmertum sollte auf einen symbolischen Euro abgesenkt werden. Wir können erheblich stärker wachsen, wenn der Anteil von Frauen in Führungspositionen von Wirtschaft und Wissenschaft auf das Niveau unserer Wettbewerber wächst. Und: Das bürokratische System der sozialen Sicherung sollte durch eine Grundsicherung abgelöst werden, bei der sich der Hinzuverdienst wirklich lohnt.
Das Interview führten Jonas Viering und Susanne Kailitz.
Jonas Viering ist freier Journalist in Berlin. Susanne Kailitz ist Redakteurin bei "Das Parlament".