Ein Konferenzraum in einem Fünfsterne-Hotel, das Licht ist gedimmt. Draußen, vor dem Panaromafenster, ist im Regen die aufragende Skyline der chinesischen Boommetropole Schanghai zu sehen, Nebelwolken wehen zwischen den futuristischen Wolkenkratzern. Auf engen Stuhlreihen mit seltsamen weißen Schonbezügen sitzt ein aufmerksames Publikum, vorwiegend Männer in dunklen Anzügen. Vorne an der Wand hängen zwei Fahnen, rechts die chinesische, links die deutsche, auf der Leinwand dazwischen läuft ein Film. Bilder aus einer Autofabrik sind zu sehen, die Fußgängerzone einer Kleinstadt, ein ICE. Heile Welt.
Dann wird das Licht wieder angeschaltet. "Wenn Sie 15 Jahre nicht mehr in Nordrhein-Westfalen waren, würden Sie über die Veränderungen sehr überrascht sein", sagt ein Mann, ein Deutscher, der den Film vom Rednerpult aus betrachtet hat. Er meint das positiv. Auf der Leinwand leuchtet ein Slogan auf: "Go abroad, come to North Rhine-Westphalia." Der Applaus klingt eher höflich als begeistert.
Immer mehr deutsche Städte, Bundesländer und Regionalverbände haben in den letzten Jahren Büros in den Wirtschaftszentren in China eröffnet. Hamburg, Frankfurt, Bremen, Nordrhein-Westfalen und Bayern gehören dazu. Sie halten Seminare, organisieren Vorträge und Messeauftritte, stellen Kontakte her - alles mit dem Ziel, Chinas aufstrebende Firmen für den Standort Deutschland zu interessieren. China ist die Wirtschaftsmacht der Zukunft. Irgendwann, so die Idee, wird es sich auszahlen, schon früh Kontakte zu den künftigen Weltkonzernen geknüpft zu haben.
Tatsächlich ist der Heimatmarkt vielen chinesischen Firmen schon jetzt zu klein geworden. Noch vor wenigen Jahren war beispielsweise der Pekinger Computerhersteller Lenovo international nahezu unbekannt. Dann kaufte die Firma im Dezember 2004 für einen Milliardenbetrag das verlustreiche Notebookgeschäft des amerikanischen IBM-Konzerns. Der südchinesische Konzern TCL kaufte den insolventen deutschen Fernsehhersteller Schneider. Und um die Rohstoffversorgung des Landes auch in Zukunft zu sichern, planen chinesische Staatsunternehmen aufsehenerregende Großinvestitionen.
Im Vergleich zu den großen westlichen Industrienationen ist die Summe der chinesischen Auslandsinves-titionen sehr klein. Doch seit dem Beitritt des Landes zur Welthandelsorganisation WTO im Jahr 2001 steigt die Zahl in großen Sprüngen. Im Jahr 2004 kletterten die Auslandsinvestitionen um 93 Prozent, im vergangenen Jahr um 26 Prozent. Im ersten Quartal des laufenden Jahres stiegen die Überseeinvestitionen nach Angaben des Pekinger Handelsministeriums sogar um 280 Prozent. Es geht nicht bloß ums Image, es geht ums ganz große Geld, wenn die Deutschen in Schanghai für den Standort Deutschland zu werben.
Chinas Regierung unterstützt die Auslandsexpansion - teils aus Stolz über die gewachsene eigene Bedeutung, teils weil die Gewinnmargen im Westen oft höher liegen als im hart umkämpften chinesischen Heimatmarkt. Der Netzwerkausrüster Huawei etwa verdient mit seinen hundert Auslandsniederlassungen heute mehr Geld als in China.
"China ist Teil des Weltmarktes geworden. Es gibt heute keine heimischen und ausländischen Märkte mehr", sagt Zhang Ruimin, Chef des Haushaltsgeräteherstellers Haier. Der Konzern suche weltweit nach Übernahmekandidaten, es sei "zu zeitaufwändig", bei der Erschließung neuer Märkte erst mühsam den eigenen Firmennamen bekannt zu machen. Neben dem Designzentrum in Italien will Haier bald auch eine eigene Kühlschrankfabrik in Osteuropa eröffnen. Zhang weiß, dass es sich bezahlt macht, nahe am Kunden zu sein und auf neue Anforderungen und Trends schnell reagieren zu können.
In den vergangenen Jahren haben vor allem die politisch geförderten chinesischen Großkonzerne den Schritt ins Ausland gewagt. "Ein neuer Trend ist, dass jetzt der junge chinesische Mittelstand dazukommt", sagt Lars Anke, Leiter der Hamburger Repräsentanz in Schanghai. Bereits vor 20 Jahren eröffnete die Hansestadt ihre Vertretung in der Partnerstadt Schanghai. "Damals war die Internationalisierung chinesischer Firmen noch kein Thema", sagt Anke. Doch seit wenigen Jahren eröffnet fast jede Woche ein neues Unternehmen aus China eine Zweigstelle in Hamburg. Mit über 400 Niederlassungen ist Hamburg inzwischen sogar der wichtigste Standort chinesischer Firmen in Europa. Der Hauptgrund dürfte der Hamburger Hafen sein, der in Europa einen Großteil des Handels mit der Volksrepublik abwickelt. Auch die osteuropäischen Märkte sind von Hamburg nicht mehr weit entfernt -der ideale Standort, um den europäischen Markt zu bedienen. "Außerdem zieht es Chinesen immer dahin, wo schon andere Chinesen sind", sagt Anke. Insofern könnte sich das frühe Werben der Hanseaten gelohnt haben. Nicht alle Städte haben diese Standortvorteile. Wang Yi, Vertreterin der Bremer Investitions-Gesellschaft BIG, wird von ihren Gesprächspartnern oft zuerst gefragt, ob Bremen die Heimatstadt des Fußballvereins Werder Bremen sei. Mehr wissen nur die wenigsten Chinesen. Trotzdem sitzen auch in Bremen inzwischen über hundert Unternehmen aus China, "Restaurants nicht mitgerechnet", sagt Wang. 20 neue Firmen kommen jedes Jahr hinzu.
Alle sind sich sicher: Der Trend wird in Zukunft weiter zunehmen. Ein chinesisches Arbeitsplatzwunder wird es in Deutschland trotzdem nicht geben. "Chinesen werden nicht die Retter der deutschen Arbeitsplätze werden", sagt Ivo Naumann, Vizepräsident in der Schanghaier Niederlassung der Unternehmensberatung Roland Berger. Seit Jahren analysiert die Münchner Firma die Auslandsstrategien chinesischer Firmen. Drei Hauptmotive hat Naumann ausgemacht: Der Erwerb eines Markennamens, der Kauf neuer Technologien und die Erschließung des europäischen Absatzmarktes. Den meisten Firmen reicht daher ein kleines Repräsentanzbüro mit zwei bis drei Mitarbeitern. Chinesische Fabriken in Bonn oder Bielefeld werden also eine Ausnahme bleiben.
Der Autor ist freier Journalist in Schanghai.