Angela Merkel zitiert gerne Ludwig Erhard. Doch eine Errungenschaft, die der Vater der sozialen Marktwirtschaft nach dem Zweiten Weltkrieg etablierte, unterschlägt Merkel dabei gern: Zu den Gesetzen, die der damalige CDU-Wirtschaftsminister Erhard im Jahr 1951 einführte, gehört auch der Kündigungsschutz.
In den Zeiten des Wirtschaftswunders mit dem Ziel eingeführt, den Menschen Sicherheit für ihre Lebensplanung zu geben, steht der Kündigungsschutz seit Anfang der 80er-Jahre in der Kritik. Für Arbeitgeberverbände, CDU und FDP sind die deutschen Regelungen im Arbeitsrecht dafür verantwortlich, dass es zu wenig Flexibilität auf dem Arbeitsmarkt gibt. Ihre These lautet: Werde der Kündigungsschutz nur ausreichend gelockert, so entstehe mehr Beschäftigung. Die Gewerkschaften dagegen fürchten bei jeder noch so kleinen Veränderung, dass der Willkür von Arbeitgebern Tür und Tor geöffnet wird.
Im Vergleich mit den europäischen Nachbarn ist der Kündigungsschutz in Deutschland recht streng. Nach der Probezeit kann ein Arbeitnehmer nicht mehr ohne Angabe von Gründen gekündigt werden. Die gesetzlichen Regelungen werden ergänzt durch ein umfangreiches Richterrecht, das sich in tausenden von Arbeitsgerichtsprozessen herausgebildet hat. In den letzten zehn Jahren sind einzelne Bestimmungen gelockert worden. So greift seit 2004 in Kleinbetrieben bis zu zehn Mitarbeitern das Kündigungsschutzgesetz nicht mehr. Arbeitgeber können außerdem Verträge ohne einen sachlichen Grund bis zu zwei Jahren befristen, Existenzgründer sogar vier Jahre lang.
Doch weniger Kündigungsschutz ist keine Garantie für mehr Arbeitsplätze, wie ein internationaler Vergleich der OECD aus dem Jahr 1999 zeigt. Danach haben Länder mit einem rigiden Kündigungsschutz keine höhere Arbeitslosigkeit als Länder mit geringerem Kündigungsschutz. "Es gibt nach dem wissenschaftlichen Kenntnisstand keinen nachweisbaren Zusammenhang zwischen Kündigungsschutz und der Beschäftigungsentwicklung", sagt der Arbeitsmarktforscher Karl Brenke vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). In Deutschland sei der Kündigungsschutz in den letzten Jahren gelockert worden - ohne Auswirkungen auf die Beschäftigungsentwicklung. Zu diesem Ergebnis kommt auch das Nürnberger Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), das die Lockerungen des Kündigungsschutzes 1996 zu Zeiten der schwarz-liberalen Regierung untersuchte und mit der erneuten Verschärfung unter Rot-Grün 1999 verglich. Während die Kohl-Regierung Kleinbetriebe mit bis zu zehn Mitarbeitern vom Kündigungsschutz freigestellt hatte, senkte Rot-Grün die Schwelle zumindest vorübergehend wieder auf fünf Beschäftigte. In einer repräsentativen Untersuchung von 50.000 Unternehmen mit 300.000 Beschäftigten kamen die IAB-Forscher zum Ergebnis, dass sich die Auswirkungen auf die Beschäftigung in Grenzen hielten.
Wenn arbeitsrechtliche Schutzvorschriften streng sind, kann sich das nach Ansicht von Wissenschaftlern aber durchaus auf die Bewegung am Arbeitsmarkt auswirken. Nach Vergleichen der OECD ist die Arbeitsmarktdynamik in Deutschland geringer als etwa in Großbritannien. Das heißt: Es wird zwar später gekündigt, dafür aber auch später eingestellt. "Berufseinsteiger, Berufsrückkehrer und Arbeitslose haben es auf regulierten Arbeitsmärkten wegen der geringeren Fluktuation schwerer", fasst IAB-Forscher Ulrich Walwei zusammen. Eine Gesellschaft muss deshalb nach Ansicht von Heide Pfarr, Geschäftsführerin der gewerkschaftlichen Hans-Böckler-Stiftung, die Frage beantworten, wie hoch sie diese Dynamik gewichtet: "Ist es besser, wenn fünf Menschen je ein Jahr arbeitslos sind, oder wenn ein Mensch fünf Jahre arbeitslos ist? Und wie sicher ist es, dass es jeder der fünf nur für ein Jahr ist?"
Die Vor- und Nachteile der Regelungen zum Kündigungsschutz halten sich für den einzelnen Betrieb die Waage. Beschäftigungssicherheit fördert die Bereitschaft von Arbeitgebern und Arbeitnehmern, in firmenspezifisches Know-how zu investieren. "Die Beschäftigten identifizieren sich stärker mit ihrem Arbeitgeber, als wenn Heuern und Feuern herrscht", sagt Brenke vom DIW. Die Arbeitsverhältnisse in Deutschland sind daher auch relativ stabil. Auf der anderen Seite ist der Kündigungsschutz für die Betriebe mit Kosten verbunden: Will ein Arbeitgeber sich von einem Mitarbeiter trennen, muss er unter Umständen eine Abfindung zahlen, einen Gerichtsprozess finanzieren - oder am Ende den Betroffenen sogar weiterbeschäftigen.
Nach aktuellen Schätzungen gibt es in Deutschland zwischen einer und zwei Millionen Kündigungen durch den Arbeitgeber im Jahr - jedes dritte Arbeitsverhältnis wird so beendet. Davon landen zwischen elf und 15 Prozent vor Gericht. Während Arbeitgeberfunktionäre die Rechtsunsicherheit beklagen, hält Heide Pfarr die Beschwerden, dass die Arbeitgeber in Arbeitsgerichtsprozessen erstickten, für übertrieben. Nach Erhebungen der Universität Halle sind 70 Prozent der Verfahren innerhalb von drei Monaten abgeschlossen. Doch wenn ein Arbeitnehmer vor Gericht ziehe, bekomme er dort meistens Recht, klagen die Arbeitgeber. "Viele Arbeitsrichter begreifen das Arbeitsrecht nur als Arbeitnehmerschutzrecht", sagt Roland Wolf, Leiter der zuständigen Abteilung bei der Bundesvereinigung Deutscher Arbeitgeberverbände. Laut der Arbeitrechtsexpertin Pfarr ziehen die Arbeitgeber jedoch nicht automatisch den Kürzeren. "Die Prozesse gehen 50 zu 50 aus", sagt Pfarr. Viele Verfahren würden über einen Vergleich beendet.
Die Arbeitgeber beklagen, dass vor allem kleine Betriebe leiden. Weil der Ausgang einer gerichtlichen Entscheidung nicht vorhersehbar ist, wählen größere Unternehmen eher den einfachen, aber teuren Weg und zahlen eine Abfindung. Nach Erhebungen des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts der gewerkschaftlichen Hans-Böckler-Stiftung erhalten in Betrieben mit mehr als 500 Mitarbeitern 70 Prozent der Beschäftigten mit einem Aufhebungsvertrag eine Abfindung.
Was die Personalchefs deutscher Unternehmen denken, ist unklar: Sahen laut eine Befragung des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft vor einigen Jahren die Personaler den Kündigungsschutz als wichtiges Einstellungshemmnis, so waren es bei einer aktuellen Studie der Universität Hamburg nicht mal zehn Prozent, ihm bei Neueinstellungen eine erhebliche Rolle zuwiesen. Genauso umstritten wie unter den Personalchefs ist der Kündigungsschutz auch im Kabinett. Alle paar Wochen schlägt Wirtschaftsminister Michael Glos Lockerungen vor, die von Vizekanzler Franz Müntefering prompt zurückgewiesen werden. Änderungen sind nicht in Sicht.
Die Autorin ist Wirtschafts-Redakteurin beim "Tagesspiegel".