Wer heute in der deutschen Biotech-Branche nach Glanz und Gloria sucht, der schaut zurück bis in die Ära vor dem Platzen der Börsenblase zu Beginn dieses Jahrhunderts. Doch die schlimmste Zeit scheint vorüber. Zwar sank im vergangenen Jahr noch immer die Zahl der Unternehmen, von 380 auf 375, und auch die Menge der Beschäftigten in der deutschen Biotech-Industrie ging von 9675 auf 9534 zurück - aber das sind nur mehr geringfügige Veränderungen.
Die Branche macht nach wie vor Verlust, insgesamt 568 Millionen Euro, doch die Umsätze steigen. Zuletzt betrugen sie 832 Millionen Euro. Immer mehr der höchstens mittelgroßen Firmen schreiben schwarze Zahlen, die Zahl der Börsengänge steigt. Gründe genug, wieder nach vorn zu schauen. "Nach Jahren der Konsolidierung", sagt Albrecht Müller, Vorstand bei der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Ernst & Young und Initiator des Deutschen Biotechnologie-Reports, habe "die Industrie zurückgefunden auf den Weg, der ihr von Anfang an vorgezeichnet war: Biotechnologie als innovative Schlüsseltechnologie des 21. Jahrhunderts". Die technische Nutzung biologischer Prozesse, teils durch Veränderung des Erbmaterials von Mikro-Lebewesen, hat erst begonnen.
Am weitesten vorne liegt - wie überall auf der Welt - auch hierzulande die "rote" Biotechnologie. Die heißt so, weil sie sich mit medizinischen Anwendungen befasst, die ins Blut injiziert werden - in der Regel sind dies Arzneimittel auf Proteinbasis. In den kleinen, zum Teil jedoch börsennotierten Unternehmen der roten Biotech herrscht weitgehend gute Stimmung, obwohl noch keine deutsche Firma ein eigenes Medikament auf den Markt bringen konnte. Bei Medigene steht immerhin die Zulassung des ersten selbst entwickelten Präparats in den nächsten Monaten bevor, es ist eine Creme gegen Genitalwarzen. Bei GPC träumt man sogar davon, mit dem Krebs-Mittel Satraplatin einen so genannten Blockbuster zu landen: eine Arznei, die mehr als eine Milliarde Euro Jahresumsatz schafft.
Pharma-Multis wie Novartis, Roche, Bayer und so weiter kooperieren gerne mit den deutschen Biotech-Zwergen oder sie beteiligen sich an den Unternehmen. Gleichwohl hält die rote Biotech-Branche in Deutschland keinem Vergleich mit ihrer großen amerikanischen Schwester stand. Dort machen Konzerne wie Amgen, Biogen/Idec oder Genentech jeweils Milliarden-Umsätze. Immerhin hat der Darmstädter Pharma-Riese Merck vor einigen Wochen den schweizer Serono-Konzern gekauft, den Weltmarktführer für biotechnisch hergestellte Wachstums- und Sexualhormone.
Anders sind die Verhältnisse in der "weißen" Biotech - so benannt, weil ihre Produkte etwa als Zusätze zu Waschmitteln oder zu Lebensmitteln dienen und deshalb meist weiß sein müssen. Hier haben Chemiekonzerne wie Henkel, BASF oder die RAG-Tochter Degussa weltweit die Nase vorn. Die BASF will in den Jahren bis 2008 insgesamt 150 Millionen Euro in Forschung und Entwicklung weißer Biotechnologien investieren, die Degussa 50 Millionen.
In der weißen Biotech erwarten Branchenkenner die größten Zuwachsraten. Schließlich sind hier die Märkte nicht so reguliert wie im Pharma-Sektor. Und wer ein Waschmittel anbieten kann, das dank biotechnisch hergestellter Wirkstoffe schon in der Handwäsche zuverlässig alle Flecken aus der Wäsche holt und hinterher nicht die Kläranlage belastet, der darf sich auf Milliarden-Umsätze freuen.
Allerdings hat die weiße Biotechnologie ein Akzeptanzproblem bei den Verbrauchern - das keineswegs nur auf den Vorurteilen hysterischer Müslimanen beruht. Die neuen Enzyme und Nahrungsmittelzusätze sind Eiweißstoffe. Die wenigsten werden - wie es bei Arzneimitteln obligatorisch ist - auf ihr allergisches Potenzial beim Menschen getestet. Es könnte möglicherweise zu schweren, gar zu lebensgefährlichen Reaktionen bei empfindlichen Anwendern kommen. Kritiker von Gen-Food wie etwa die Organisation Foodwatch sind deshalb dagegen, dass beispielsweise Joghurts oder Fertiggerichte neuartige Eiweißstoffe enthalten dürfen, die von genmanipulierten Bakterien oder Pilzen stammen.
Schwebt die weiße Biotechnologie noch im Unentschieden zwischen Hoffen und Bangen, so scheint für die "grüne" Biotechnologie der Zug in Deutschland völlig abgefahren. Dieser Zweig heißt nicht etwa so, weil ihn Greenpeace oder die Partei von Jürgen Trittin wertschätzten. Im Gegenteil: Die grüne Biotech gehört zu den Lieblings-Feindbildern aller Ökos. Sie befasst sich vornehmlich mit landwirtschaftlichen Nutzpflanzen, etwa mit Sojabohnen, Mais und Reis, und macht diese durch Gen-Manipulation unempfindlich gegen Schädlinge oder gegen Schädlings-Bekämpfungsmittel, außerdem erhöht ihre Erträge.
Dieser Ansatz ist in Deutschland gesellschaftlich so wenig akzeptiert wie etwa die "Schneller-Brüter-Technik" für Atomkraftwerke. Die Kritiker befürchten, dass die Freisetzung genetisch veränderter Lebewesen in der Natur unvorhersehbare Folgen haben könnte. Wurden im Jahr 2006 gentechnisch veränderten Ertragspflanzen weltweit auf 384 Millionen Hektar angebaut, so waren es in Deutschland nur 1002 Hektar - das sind ganze 0,00025 Prozent der weltweiten Nutzfläche. Angemeldet waren 1895 Hektar. Doch offenbar hat knapp die Hälfte der Bauern hierzulande gleich aufs Aussäen verzichtet. Immer wieder verwüsten radikale Umweltschützer die Äcker, auf denen sie Gen-Food-Anpflanzungen vermuten.
Um so mehr erstaunt, dass im Biotech-Report von Ernst & Young sechs Prozent der deutschen Firmen angaben, sie seien im Bereich der grünen Gentechnik tätig. Das wären über 20 Unternehmen. Den Markt für ihre Technologien und Produkte für Gentechnik bei Nutzpflanzen müssen diese Firmen im Ausland suchen. Etwa in China, Brasilien oder anderen Schwellenländern, wo Nutzen und Risiken neuer Technologien anders bewertet werden als in Deutschland.
Im internationalen Wettbewerb hat die gesamte deutsche Biotech-Branche aufgeholt. Die Medikamenten-Entwickler könnten in den nöchsten Jahren Nischen erobern in Märkten, die bislang von den amerikanischen Pionieren beherrscht wurden. Die weiße Biotechnik aus Deutschland könnte Weltmarktführer werden, sofern keine Risiken ihrer Produkte übersehen werden. Abgehängt ist nur die grüne Gentechnik. Dies aber aus ideologischen Gründen, und nicht etwa, weil den deutschen Anbietern hier der Mut zu vielversprechenden Innovationen fehlt.
Der Autor ist Redakteur für Forschung und Technologien beim "Manager Magazin". Im Frühjahr 2007 erscheint sein Buch "Wirtschaftsfaktor Wissen".