Das Parlament: Wie unterscheidet sich ein Manager eines Klosterbetriebs von einem Manager eines anderen mittelständischen Unternehmens?
Anselm Grün: Zunächst haben wir nicht das Ziel der Gewinnmaximierung. Wir haben das Ziel der Nachhaltigkeit, um die Existenz des Klosters zu sichern. Damit sichern wir gute Arbeitsplätze, können die Gebäude erhalten und Menschen helfen. Uns geht es nicht darum, möglichst viel zu verdienen, sondern den Betrieb in sich solide zu führen.
Das Parlament: Gibt es eine "ethische" Unternehmensführung?
Anselm Grün: Zu einer guten Führung gehört erst einmal, dass der, der führt, an sich selber gearbeitet hat. Alle ethischen Forderungen nutzen überhaupt nichts, wenn der Mensch nicht im Einklang ist mit sich selber. Dann moralisiert er nur und drängt dem anderen die Werte auf und selber lebt er sie nicht. Der erste Aspekt der Ethik ist, dass der Mensch im Einklang ist mit sich selber und mit seinen Ursprüngen. Ethik heißt ja, dem Wesen des Menschen gerecht zu werden. Und dann geht es darum, ethische Werte des Unternehmens zu kultivieren.
Das Parlament: Welche?
Anselm Grün: Da gibt es in der Tradition die vier Kardinaltugenden: Gerechtigkeit, Tapferkeit, Maß und Klugheit und die christlichen Tugenden Glaube, Hoffnung, Liebe. Das sind Werte, die durchaus ein Unternehmen auch wertvoll machen. Manche meinen ja, Werte sind Luxus, den man sich leisten kann, wenn man genug Geld verdient. Ich sage genau umgekehrt: Ein Unternehmen, das auf Dauer keine Werte schätzt, wird nicht nur moralisch wertlos, sondern wird letztlich auch finanziell wertlos werden.
Das Parlament: Zahlen Sie bessere Löhne als andere?
Anselm Grün: Wir zahlen nach Tarif. Wir zahlen nicht einfach bessere Löhne, sondern gerechte Löhne. Was bei uns anders ist als in manchen anderen Betrieben, ist das Betriebsklima. Ich glaube, dass wir ein Betriebsklima haben, das den Menschen gut tut.
Das Parlament: Haben Sie schon Mitarbeiter entlassen?
Anselm Grün: Ja. In 30 Jahren habe ich vier Mitarbeiter entlassen müssen, weil es in einzelnen Betrieben nicht gut lief. Normalerweise, wenn man Mitarbeiter gut aussucht und einsetzt, dann muss man sie nicht entlassen.
Das Parlament: Würden Sie in Ihrer Druckerei eine Broschüre drucken, mit deren Inhalt Sie nicht einverstanden wären?
Anselm Grün: Nur um Geld zu verdienen, würden wir so etwas nicht tun.
Das Parlament: Kann ein "profaner" Unternehmer Ihre Art des Wirtschaftens übernehmen? Oder funktioniert das nur mit Mönchen?
Anselm Grün: Natürlich hat ein Kloster eine andere Atmosphäre. Die Mönche beispielsweise sind unkündbar. Aber viele Grundsätze kann jeder Unternehmer umsetzen. Wenn ich Kurse für Führungskräfte gebe, dann sage ich: Sie sollen nicht das Kloster kopieren. Doch die Werte, die Benedikt vermittelt, die er dem Cellerar, dem wirtschaftlichen Leiter des Klosters, ins Stammbuch schreibt, die kann auch ein Unternehmer draußen erfüllen.
Das Parlament: Sie bemühen sich um einen "spirituellen Umgang mit Geld". Gibt es den?
Anselm Grün: Ja. Erstens, wenn das Geld dem Menschen dient, und nicht der Mensch dem Geld. Ich brauche Geld, um den Menschen helfen, um Löhne zahlen zu können, um Projekte in der Schule und in der Mission finanzieren zu können. Zweitens heißt für mich spiritueller Umgang mit Geld, dass ich kreativ damit umgehe, dass ich nicht so ängstlich bin, dass ich frei bin und die Gesetze der Welt auch nutze.
Das Parlament: Und das tun Sie auch?
Anselm Grün: Natürlich mit kritischen Maßstäben. Ich werde da oft angegriffen von Menschen, die sagen, das ganze Zinssystem sei schlecht. Die Frage ist: Wandern wir aus der Welt aus? Oder nutzen wir die Werkzeuge, um Geld zu verdienen für gute Zwecke.
Das Parlament: Inwiefern ist der Umgang mit Geld heute anders als früher?
Anselm Grün: Es gibt heute eine Verabsolutierung des Geldes. Alles wird finanziell berechnet. Ob das das Krankenhaus ist oder das Altenheim. Jede Leistung, jedes Gespräch wird in finanzielle Einheiten eingeteilt, und das ist für mich auch der Tod des Arbeitens im sozialen Bereich. Da ist die Verabsolutierung des Geldes vom Staat her, von der Gesellschaft her, von der Kirche her... Die lassen sich vom Geld beherrschen. Dagegen setze ich den spirituellen Umgang mit Geld.
Das Parlament: In Deutschland sind die Kirchen ja durch die Kirchensteuer davon entlastet, ans Geldverdienen denken zu müssen. Sie als Klostermanager verdienen hingegen Ihr Geld selber. Macht Sie das kapitalistischer? Raubt Ihnen das etwas von Ihrer Spiritualität?
Anselm Grün: Nein, sein Geld selber zu verdienen, macht ja auch frei. Die Kirchensteuer ist sicherlich ein gutes System. Das Problem ist, dass die Kirchen derzeit nicht kreativ mit ihrem Geld umgehen und dann depressiv werden, nur der Not gehorchen. Das Geld ist dann wie so ein drohendes Schwert, das alles abschneidet.
Das Parlament: Können Kirchen von weltlichen Managern etwas lernen?
Anselm Grün: Sicher. Sie können lernen, kreativer mit Geld umzugehen. Einige Kirchen haben ja Unternehmensberater geholt. Aber meine Erfahrung ist, dass sie falsch damit umgehen. Sie schieben dann alles auf die Unternehmensberatung und drücken sich um ihre eigenen Entscheidungen. Damit werden sie handlungsunfähig.
Das Parlament: Wenn Sie ein gutes Geschäft riechen, greifen Sie dann zu? Macht Ihnen das Spaß?
Anselm Grün: Natürlich greife ich da zu. Ich weiß, dass das zur Gier werden kann, aber deswegen braucht es eben den spirituellen Umgang. Maß halten, nicht alles tun, was ich kann, das bewahrt mich vor Gier. Wer nur das ganz schnelle Geld will, wie bei der Börsenblase 1999, der scheitert natürlich auch sehr schnell.
Das Parlament: Pater Anselm, der Berater - Sie treffen bei Seminaren auf Führungskräfte der deutschen Wirtschaft. Mit welchen Fragen kommen die zu Ihnen?
Anselm Grün: Es gibt drei Richtungen: Die einen fragen sich persönlich: Wie werde ich mit dem Stress und Druck fertig? Wie komme ich mit mir selber zurecht? Da schaue ich, wie wir an die inneren Quellen näher herankommen. Mit welcher Einstellung lebe ich? Aus eigenen Quellen? Oder aus Ehrgeiz? Erschöpfung hat immer damit zu tun, dass ich aus trüben Quellen gespeist bin. Das Zweite ist: Wie gehe ich um mit dem Druck, der in Unternehmen herrscht? Die Manager stehen ja selber unter einem hohen Druck von Aktionären. Wie gehe ich damit um, ohne mich zu verbiegen? Und das Dritte ist: Kann ich ethisch wirtschaften? Soll ich einen Auftrag ablehnen, wenn es dabei nicht ganz mit rechten Dingen zugeht? Aber was mache ich dann, wenn ich Mitarbeiter entlassen muss? Da ist eine Spannung. Da ermutige ich sie, dass auf Dauer die Werte das Unternehmen wertvoll machen.
Das Parlament: Kann das funktionieren? Und: Kennen Sie jemanden, bei dem es das tut?
Anselm Grün: Mir hat ein Software-Unternehmer bestätigt, dass selbst absolute Ehrlichkeit was bringt. Er hat eine große Firma und viel Konkurrenz. Anfangs war er als Ehrlicher im Hintertreffen, aber jetzt verdient er auch, weil er der Ehrliche ist. Er macht jetzt mehr Geschäft, als die, die unsauber gewirtschaftet haben. Natürlich kannst du mal die schnelle Mark verdienen, aber Lügen haben auf Dauer eben doch kurze Beine.
Das Parlament: Vieles geht mit Ethik - scheinbar - eben doch nicht. Ist sie auf Dauer vielleicht geschäftsschädigend?
Anselm Grün: Ich denke, auf Dauer macht Ethik das Geschäft stabiler. Die Mitarbeiter werden motiviert. In Unternehmen mit falschen Werten fühlen sie sich ausgetrickst. Die Firma Jenoptik erzählt, dass es für sie ganz wichtig ist, dass sie keine Schmiergelder zahlt. Dadurch hätte sie viele Aufträge nicht bekommen, aber auf Dauer würde es dem Unternehmen nutzen. Herr Kleinfeld von Siemens hätte es heute sicherlich leichter, wenn alle seine Mitarbeiter ehrlich gewesen wären.
Das Parlament: Sind Unternehmer nach Ihrer Erfahrung brutaler oder unmenschlicher als beispielsweise einfache Mitarbeiter oder Gewerkschaftsmitglieder?
Anselm Grün: Nein, das stelle ich nicht fest. Natürlich kommen die Brutalen nicht zu mir. Es kommen die, die menschlich sind und eine Stütze suchen. Da sind sehr viele sehr menschlich. Wenn das zwei oder drei im Unternehmen sind, dann wirkt das wie ein Sauerteig.
Das Parlament: Wo sitzen denn dann die Bösen? Sind es die Aktionäre?
Anselm Grün: Die Aktionäre allein sind nicht die Bösen. Aber wenn sich die Spitzenmanager nur an den Aktionären orientieren, dann wird es schwierig. Mir hat ein Mitarbeiter von DaimlerChrysler gesagt: Früher konnte ich die Mitarbeiter motivieren, wenn ich gesagt habe: Daimler baut gute Autos. Damit, dass der Shareholder Value ständig steigen muss, kann ich die Mitarbeiter nicht motivieren. Diese Außenbestimmung, wenn sich eine Firma total von den Aktionären abhängig macht, sich alles vorschreiben lässt, die tut nicht gut.
Das Parlament: Viele ökonomische Verhaltensweisen - Kündigungsschutz, angemessener Lohn, feste Arbeitszeiten -, die lange als "anständig" angesehen wurden, werden heute mit dem Hinweis auf die Globalisierung der Wirtschaft weggewischt. Richtet die Globalisierung die Ethik langfristig zu Grunde?
Anselm Grün: Die Globalisierung ist eine große Herausforderung, aber man kann sie nicht nur verteufeln. Sie bringt auch die Chance mit sich, dass die Welt zusammenwächst. Leider gibt es manche Firmen, die benutzen die Globalisierung als Ausrede, um brutale Methoden einzuführen. Dass wir beweglicher werden müssen, glaube ich schon. Manche Firmen nutzen diese Beweglichkeit gut aus. Andere missbrauchen Beweglichkeit auch. Deswegen braucht es auf der anderen Seite auch Gewerkschaften, die die Interessen der Arbeitnehmer vertreten. Aber es braucht auf beiden Seiten Beweglichkeit und Achtung. Nehme ich den Druck als sportliche Herausforderung? Dann kann er meine Kreativität fördern. Oder nehme ich ihn als Last, die mich erdrückt? Dann werden alle immer mehr ausgepresst. Das tut den Menschen nicht gut.
Das Parlament: Geben Sie Führungskräften Tipps, wie sie bessere Geschäfte machen können?
Anselm Grün: Nein. Ich gebe ihnen Tipps, wie sie besser mit sich umgehen können. Und mit den Mitarbeitern. Und das tut auf Dauer auch dem Betrieb gut.
Das Parlament: Eine Ethik der Gewinnmaximierung gibt es also nicht?
Anselm Grün: Gut, die Betriebe müssen Gewinn machen, aber Maximierung...? Der betriebswirtschaftliche Grundsatz "Mit den kleinsten Dingen die größtmögliche Wirkung erzielen", der gilt natürlich nach wie vor, der gilt auch für meine Arbeit. Deswegen haben ich es überhaupt nicht mit Bürokratie, weil das Mittel sind, mit denen keine Wirkung erzielt wird, sondern nur Kosten.
Das Parlament: Werden Ihre Vorschläge ernstgenommen von den Managern? Oder ist das die spirituelle Beruhigung nach einem harten Arbeitsalltag?
Anselm Grün: Das frage ich mich selber, ob ich da Alibiveranstaltungen mache. Aber ich erlebe viele suchende Menschen. Und viele Menschen sagen, dass sie danach auch wirklich etwas verändert haben und anders mit ihren Geschäften umgehen.
Das Parlament: Pater Anselm der Mönch, der spirituelle Autor, der Bücher über Engel schreibt: Fehlt uns Moral in der Gesellschaft?
Anselm Grün: Das Wort Moral nehme ich nicht so gerne in den Mund, weil das den Aspekt des Moralisierens hat. Sicherlich haben moralische Werte oft nicht mehr den Wert wie früher. Es gibt aber die Sehnsucht nach Moral und Ethik, und es ist vielfach ein Gespür dafür da. Manche haben natürlich die moralischen Maßstäbe verloren. Früher hat ein Handwerker Geschäfte auf Treu und Glauben per Handschlag besiegelt. Das geht heute nicht mehr. Da macht man 30-seitige Verträge. Aber damit wird es nicht sicherer als mit Handschlag. Da merkt man auch, wie Werte das Wirtschaften sicherer und einfacher machen.
Das Parlament: Wo haben wir zuviel davon?
Anselm Grün: Immer dann, wenn man andere mit Moral angreift und perfekte Maßstäbe anlegt. Das ist eine Scheinmoral. Amerika ist ein typisches Beispiel, und das kommt jetzt immer mehr auch zu uns: Die moralische Entrüstung. Ich bekomme auch Briefe, wogegen ich mich alles entrüsten müsste. Aber ich habe keine Lust, eine Entrüstungsmoral aufzubauen. Ich führe mein Leben. Ich habe keine Lust, dauernd jemanden anzugreifen.
Das Parlament: Was fehlt den Menschen Ihrer Ansicht nach heute vorrangig? Allen fehlt es an Geld - so zumindest lautet der allgemeine Tenor.
Anselm Grün: Ich würde sagen, es fehlt ihnen an Sinn, an der Fähigkeit, das Leben in einer guten Weise zu gestalten, über sich hinauszuwachsen. Viele jammern und kreisen nur um sich. Sie meinen, sie seien immer Opfer und Schuld sind immer die anderen. Das fehlt heute vielfach: Das eigene Leben selber in die Hand zu nehmen und Verantwortung zu übernehmen.
Das Interview führte Joachim Rogosch.