Der Aufstieg der Zeitgeschichte in Deutschland verbindet sich mit der historischen Rechenschaftslegung nach den beiden Diktaturen des vergangenen Jahrhunderts, und er ist verknüpft mit den Pathosformeln der Vergangenheitsbewältigung und der Vergangenheitsaufarbeitung. Die Rolle, die diese Leitbegriffe der Zeitgeschichte als Wissenschaft zuweisen, ist Gegenstand der folgenden Überlegungen, die durch eigene Erfahrungen des Autors im Spannungsfeld von Fachforschung und Gedenkpolitik angestoßen wurden.
Im Versuch, Geschichte und Vorgeschichte der nationalsozialistischen Herrschaft mit den Mitteln der Fachwissenschaft zu ergründen und dem "kommunikativen Beschweigen der Vergangenheit" (Hermann Lübbe) die Bereitschaft zur Bewältigung entgegenzusetzen, etablierte sich die Zeitgeschichte nach 1945 - zögernd und zunächst vorwiegend außerhalb der akademischen Lehre. Getragen vom gesellschaftlichen Bewusstsein, dass Vergangenheit nicht wieder gut, sondern lediglich bewusst gemacht und dem Vergessen entrissen werden kann, fand die Zeitgeschichte nach 1989 in der Hinterlassenschaft der kommunistischen Herrschaft ein neues und weites Feld. Bis dahin hatte die "DDR-Forschung" ein Spartendasein als vorwiegend außeruniversitäre Nebendisziplin geführt; nun fand sie sich durch den abrupten Zeitenwechsel ihres Forschungsgegenstandes von der Gegenwart zur Vergangenheit obendrein mehr oder minder diskreditiert. Zur raschen fachlichen Erschließung der zweiten deutschen Diktatur trugen viele Faktoren bei: zunächst der vereinigungsbedingte Elitenwechsel in Ostdeutschland, der den bis 1989 versperrten Zugang zur Innenwelt der kommunistischen Diktatur anders als in anderen postkommunistischen Gesellschaften unmittelbar und fast rückhaltlos öffnete; daneben die Neugier von Fach und Öffentlichkeit, Charakter und Funktionsweise des so überraschend zusammengebrochenen SED-Staates kennen zu lernen, sowie die in der Arbeit zweier Bundestags-Enquetekommissionen dokumentierte Bereitschaft des Gesetzgebers, keine zweite deutsche Vergangenheitsverdrängung zuzulassen; und schließlich die insgesamt in der westlichen Welt gewachsene Sensibilität für den Wert der Menschenrechte und die im westlichen Europa allenthalben, wiewohl ungleichmäßig voranschreitende Ablösung historischer Stolzkulturen und ihrer heroischen Narrative durch die gestiegene Aufmerksamkeit für historisches Leiden und historische Lasten.
Wie ertragreich die Bemühungen um Aufklärung über Staat und Gesellschaft der ostdeutschen Teilrepublik waren, lässt sich an den Publikationsbilanzen ihrer nunmehr über fünfzehn Jahre währenden Aufarbeitung ablesen. Zwar mögen noch viele Facetten der DDR-Geschichte unterbelichtet sein, und wie immer öffnen neue Forschungsleistungen zugleich auch den Horizont für neue Fragen, aber im Ganzen setzt sich die zweite deutsche Auseinandersetzung mit der eigenen Diktaturvergangenheit denkbar vorteilhaft von der ersten ab. In der jüngeren deutschen Zeitgeschichtsforschung überwog in den 1990er Jahren das Interesse an der DDR insgesamt deutlich jenes an der Bundesrepublik. In der Erinnerungskultur ist ein dichtes institutionelles Geflecht von Gedenkstätten und Lernorten entstanden, die sich mit der Geschichte der SED-Diktatur befassen. Sie haben zumindest im Berliner Raum mittlerweile eine ganz erhebliche und sogar geschichtstouristische Anziehungskraft erlangt, während die im Sommer 2006 ins Spiel gebrachte Idee eines West-Berliner Freiheitsmuseums mangels öffentlichen Interesses zumindest vorläufig sang- und klanglos wieder unterging.
Das Bündnis zwischen Wissenschaft und Aufarbeitung hilft der DDR-bezogenen Zeitgeschichtsforschung, ihre heutige öffentliche Relevanz sichern. An den Universitäten ist sie, wie jüngere Erhebungen zeigen, in Lehre und Forschung nur ungleichgewichtig und insgesamt eher schwach repräsentiert, und auf dem jüngsten Deutschen Historikertag in Konstanz spielte die DDR kaum eine Rolle. Umso kräftiger entfaltet die DDR-Forschung sich außerhalb der Alma Mater: Eine vergangenheitspolitische Einrichtung wie die Behörde der Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen unterhält eine eigene Abteilung "Bildung und Forschung" und arbeitet auf der Grundlage eines Gesetzes, das in seiner jüngsten Novellierung die wissenschaftliche Aufarbeitung der DDR über das MfS hinaus zu einem seiner wesentlichen Zwecke erhebt. Analog zur jüngeren Entwicklung der größeren deutschen NS-Gedenkstätten betreiben auch DDR-Geschichtsorte in zunehmendem Maße eigene Forschungen, und sie werden dabei gestützt von einer 1998 auf Beschluss des Deutschen Bundestags eingerichteten Stiftung, die das projektbezogene Zusammenwirkung von Wissenschaft, Bildung und gesellschaftlicher Aufarbeitung institutionalisiert hat. Fachhistoriker begleiten die Entstehung von Publikumsfilmen wie 2006 Florian Henckel von Donnersmarcks "Das Leben der Anderen"; Gedenkstättenpraktiker, Zeithistoriker und Akteure der ehemaligen Bürgerbewegung wirken wie im Fall der von der Bundesregierung berufenen Expertenkommission zur Zukunft der DDR-Aufarbeitung oder des Berliner Mauer-Konzeptes erfolgreich auf einen dauerhaften Schulterschluss von Milieugedächtnis, Geschichtspolitik und wissenschaftlichem DDR-Bild hin.
Doch die Aufarbeitungskoalition von Geschichte und Gedächtnis wirft nicht nur Gewinn ab; sie verursacht auch Kosten. Zunächst vertieft sie offenkundig die Spaltung zwischen unterschiedlichen Milieugedächtnissen, wie am Beispiel der DDR-Geschichte die härter werdende Konkurrenz zwischen dem geschichtspolitisch dominanten "Revolutionsgedächtnis" der ehemaligen Bürgerbewegung und dem zuletzt auch öffentlich hervorgetretenen "Anschlussgedächtnis" ehemaliger DDR-Eliten lehrt, das sich etwa im März 2006 in einem von jedem Unrechtsbewusstsein freien Skandalauftritt ehemaliger MfS-Offiziere bei einer Diskussionsveranstaltung in der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen manifestierte.
Das auf Delegitimierung der DDR gerichtete Erinnerungsnarrativ hebt auf die politische Gegnerschaft zum SED-Regime und die friedliche Revolution des Herbstes 1989 ab und prägt den gedenkpolitischen Umgang mit der SED-Diktatur in der Öffentlichkeit. Die relegitimierende Gegenerzählung hingegen, die das Scheitern des sozialistischen Experiments infolge politischen Anschlusses und soziokultureller Kolonialisierung beschwört, unterstützt die weltanschauliche Verfestigung einer in der Bundesrepublik nicht angekommenen Erinnerungsgemeinschaft, deren dauerhafte Distanz zu den historisch-politischen Grundwerten der Bundesrepublik weitgehend hinter der politischen Koalitionsfähigkeit der PDS verborgen bleibt und nur gelegentlich, etwa im Streit um die historische Bewertung der Vereinigung von KPD und SPD 1946, zu Tage tritt. Noch problematischer ist, dass die vermutlich größte Akzeptanz in der ostdeutschen Bevölkerung eine dritte Geschichtserzählung genießt, die die lebensgeschichtliche Selbstbehauptung unter nicht selbst gewählten Umständen und wenig beeinflussbaren Veränderungen in den Mittelpunkt stellt.
Das sich vom Revolutions- und Anschlussgedächtnis gleichermaßen abhebende Wendegedächtnis der Bevölkerungsmehrheit findet sich öffentlich wenig repräsentiert und flüchtetsich in die Sehnsucht nach lebensnahen Erinnerungsorten, wie sie die allenthalben entstehenden DDR-Alltagsmuseen und eine ostdeutsche Produktnostalgie bis hin zum sozialistischen Diktaturkitsch repräsentieren. Gegenüber dieser Rivalität konkurrierender Erinnerungen ist die Zeithistorie in einer schwierigen Lage: Als wissenschaftliche Beobachterin hat sie nicht Partei zu nehmen, sondern ist ihrem Selbstverständnis nach bei allem Wissen um ihre historische Bedingtheit und politische Beeinflussbarkeit allein der Wahrheit verpflichtet. Sie hat die geschichtsrevisionistische Engführung der deutschen Einigung von 1989 mit dem österreichischen Anschluss von 1938 ebenso zurückzuweisen wie die Heroisierung der im ostmitteleuropäischen Vergleich überaus schwachen DDR-Opposition zur revolutionären Gegenmacht des SED-Regimes oder die Nivellierung des Übergangs von der Unfreiheit zur Freiheit zu einer bloßen Richtungswende. Als Partnerin der Aufarbeitung ist die Zeithistorie zugleich Akteurin, die geschichtspolitische Entscheidungen nicht nur analysiert, sondern vorbereitet. Sie ist bei der Novellierung des Stasi-Unterlagengesetzes ebenso gefragt wie bei der Schaffung und Ausrichtung von Gedenkorten und der Zukunft des städtebaulichen Diktaturerbes. Ihr Beitrag zum öffentlichen Erinnerungsdiskurs findet seine tiefste Fundierung in den Werten des freiheitlichen Rechtsstaates, dessen Kern der Schutz vor diktatorischer Willkür und die Empathie mit ihren Opfern ist.
Ein zweiter aufarbeitungsbedingter Kostenfaktor liegt in der Gefahr einer Verinselung der DDR-Forschung und ihrer Abkoppelung von der internationalen Fachentwicklung. Der Zusammenbruch der DDR und das Ende der Teilung hat die DDR-Forschung zu kritischer Selbstbefragung und inhaltlicher Neuausrichtung geführt, aber ihre thematische Konturierung weitgehend unberührt gelassen: Vor und nach 1989 konzentrierte sie sich auf die Erforschung der DDR und gab deren Einbettung in eine Gesamtgeschichte der deutschen und europäischen Nachkriegszeit wenig Raum. Nun lassen sich gute Gründe für die anfängliche Dominanz einer stärker isolierenden Erforschung der kaum aus der Gegenwart in die Vergangenheit getretenen DDR anführen. Nach 1989 galt es zunächst, die vielen Geheimnisse zu lüften, in die die Diktatur ihre Geschichte gehüllt hatte. Es dauerte, bis die Fülle von Quellenmaterial einigermaßen bewältigt und die DDR nach den Standards des Faches angemessen erschlossen war. Auch legte der Diktaturcharakter zunächst vor allem Vergleichsperspektiven nahe, die einerseits auf die ostdeutsche Ausprägung des sowjetischen Zwangsvorbilds, andererseits auf die Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen den beiden großen Diktatursystemen des 20. Jahrhunderts zielten und dabei auf totalitarismustheoretische Deutungsmodelle im Gefolge von Hannah Arendt und Carl Joachim Friedrich wie auf das Konzept der modernen Diktatur zurückgriffen. Heute zählt die DDR ungeachtet vieler offener Einzelfragen zu den besterforschten, tendenziell sogar eher überforschten Provinzen der Zeithistorie, und das öffentliche Relevanz sichernde Aufarbeitungsbündnis droht zu einer Sackgasse für die wissenschaftliche Aufarbeitung zu werden.
Die DDR-Aufarbeitung setzt den Historisierungsanspruch der Fachwissenschaft in einen Dauerkonflikt mit dem Delegitimierungsanspruch der Erinnerungspolitik, aus dem es kein Entrinnen gibt, wenn die Zeitgeschichte sich ihrer öffentlichen Inanspruchnahme nicht grundsätzlich verweigern will. Wohl aber bieten sich Wege an, das Dilemma der zeitgeschichtlichen DDR-Aufarbeitung erträglich zu machen. An oberster Stelle steht dabei die Aufgabe der Fachwissenschaft, in der Sphäre der Gedenkpolitik und der Erinnerungskultur kompromisslos auf die Einhaltung fachlicher Standards zu dringen. Gleichviel, ob es um die wissenschaftliche Abteilung der Gauck-Birthler-Behörde, die Einrichtung von DDR-Museen oder die projektgebundene Forschungsfinanzierung an Gedenkstätten und Lernorten geht, stets und überall bedarf es der Beratung und Begutachtung durch die Fachwissenschaft, um darauf hinzuwirken, dass das öffentlich vermittelte DDR-Bild dem zeitgeschichtlichen Erkenntnisstand ebenso wie den didaktischen Maximen von Kontroversität und Nicht-Überwältigung entspricht. Wie unentbehrlich und zugleich umstritten die Wahrnehmung eines damit beanspruchten Wächteramtes sein kann, lehrte die öffentliche Debatte um die Rolle des Diktaturalltags in der künftigen DDR-Aufarbeitung, die sich bekanntlich an der Empfehlung der ministeriell beauftragten Expertenkommission entzündete, einer diagnostizierten Schieflage der institutionalisierten DDR-Auseinandersetzung mit der stärkeren Würdigung des gesellschaftlichen Zusammenspiels von Herrschaft, Akzeptanz und Widerstand zu begegnen. 1
Genauso kommt es im Fachdiskurs aber auch darauf an, einer drohenden Verinselung des Forschungsgegenstandes DDR entgegenzuwirken. Die Aufgabe der Zeitgeschichte ist die Historisierung der DDR und ihre Einbettung in die system- und epochenübergreifenden Bezüge des 20. Jahrhunderts. In den ersten Jahren nach dem Untergang des europäischen Kommunismus stand im Zentrum der komparatistischen Forschung der Diktaturenvergleich. Zu Unrecht wurde er besonders in seiner diachronen Ausprägung gern als bloße Vollstreckung eines geschichtspolitischen Delegitimierungsauftrags angesehen, der den gescheiterten Sozialismus in die Nachbarschaft des nationalsozialistischen Zivilisationsbruchs rücken wolle. Wie jede transfer- oder vergleichsgeschichtliche Untersuchung kann auch der historische Diktaturenvergleich durch die kontrastive Herausarbeitung der jeweiligen Spezifika wie durch die parallelisierende Ermittlung von Übereinstimmungen dazu beitragen, Distanz zum Untersuchungsgegenstand DDR zu gewinnen und seinen Eigencharakter als Spielart totalitärer Herrschaft zu bestimmen. Gleichwohl scheint sich zumindest der Vergleich von Stalinismus bzw. Kommunismus mit Nationalsozialismus und Faschismus - anders als der ostmitteleuropäische Diktaturenvergleich - weitgehend erschöpft zu haben. Tatsächlich ist er ungeachtet zahlreicher Bemühungen um eine Revitalisierung der Totalitarismustheorie und des Deutungskonzepts der politischen Religion nicht weit über die nüchterne Differenzierung zwischen der analytischen Unfruchtbarkeit integraler Vergleiche einerseits und den begrenzten Möglichkeiten sektoraler Vergleiche andererseits hinausgekommen, und auch das konkurrierende Konzept der modernen Diktatur hat seine erhofften Erkenntnispotenziale nur in Ansätzen entfaltet. 2
Stattdessen beginnt sich der Blick auf die deutsch-deutsche Beziehungsdimension zu schärfen, der bereits vor 1989, und zwar in Gestalt eines dem Anspruch nach äquidistanten Systemvergleichs, eine prominente Rolle gespielt hatte, um nach dem Untergang des einen Vergleichspartners zunächst als gründlich diskreditiert zu gelten. 2005 legte eine interdisziplinäre Arbeitsgruppe von Zeithistorikern und Fachdidaktikern die Ergebnisse ihrer zweijährigen Bemühungen vor, die beiden gegensätzlichen Gesellschaftsordnungen der deutschen Nachkriegsgeschichte aus einer integralen Perspektive zu erfassen, ohne ihre strukturelle Unterschiedlichkeit zu negieren. 3 Aus ganz anderer, nämlich gezielt gleichsetzender Perspektive versuchte ein 2006 erschienenes Lexikon "Deutsche Zeitgeschichte von 1945 - 2000" schon mit dem gewählten Vergleichsansatz die gewünschte Gleichgewichtigkeit und in vielem auch strukturelle Gleichartigkeit der beiden Nachkriegsgesellschaften auf deutschem Boden mit den Mitteln der zeitgeschichtlichen Analyse zu untermauern. 4
Die Konjunktur gemeinsamer Fragen an die geteilte deutsche Geschichte zwischen 1945 und 1990 kommt also nicht unerwartet und wird nicht zuletzt vom wachsenden zeitlichen Abstand gespeist: Je länger die Zeit der wieder gewonnenen Einheit währt, desto stärker wächst der Impuls, die allmählich zur Episode schrumpfende Teilungsepoche 5 in das überwölbende Narrativ der gemeinsamen Nationalgeschichte einzupassen.
Die analytischen Chancen einer Zusammenschau der deutschen Doppelgeschichte liegen auf der Hand: Sie arbeitet die gemeinsamen Ausgangslagen und Entwicklungsbedingungen in Ost- und Westdeutschland heraus. Sie verdeutlicht die vielen Parallelen der deutsch-deutschen Entwicklung etwa in der jeweiligen Blockintegration und Blockemanzipation, im Umgang mit dem lastenden Erbe der NS-Zeit, in den systemübergreifenden Konjunkturen von Fortschrittsoptimismus und Planungseuphorie, im gemeinsamen Festhalten an einem industriegesellschaftlichen Arbeitsparadigma, im Umgang mit gemeinsamen Herausforderungen der Rohstoffversorgung, der Ressourcenknappheit und der Umweltbelastung. Der Blick auf die gemeinsame Geschichte in der Zeit der Teilung macht die innerdeutschen Abhängigkeiten und Einflüsse fassbar, die die Entwicklung des östlichen und des westlichen Teilstaats prägten: Auf sozialpolitischem Gebiet trug die östliche Alternative zur Ausbildung des westdeutschen Sozialstaatsmodells bei und trieb der Erfolg der sozialen Marktwirtschaft die sozialistische Planwirtschaft in eine ihre Leistungskraft überfordernde Systemkonkurrenz, an deren Ende der ökonomische Kollaps der DDR stand. Politisch-kulturell nutzten beide Systeme die Abgrenzung vom Gegner zur Integration ihrer Bevölkerungen und wiesen ungeachtet ihrer ideologischen Entgegensetzung zahlreiche Parallelen etwa in der zeitweiligen Ausbildung eines paternalistischen Herrschaftsstils oder im Umgang mit der NS-Vergangenheit auf. Nicht selten verhinderte - wie im Fall der politischen Belastung von Nachkriegseliten oder der Verstrickung der historischen Disziplin in die nationalsozialistische Vertreibungspolitik im Osten - die innerdeutsche Legitimationskonkurrenz sogar eine konsequentere Auseinandersetzung mit der eigenen Belastung.
Allerdings verlangt die Einbettung der DDR in eine gemeinsame Nachkriegsgeschichte eine Reihe methodischer Vorüberlegungen. Bei weitem nicht jeder Aspekt der DDR-Geschichte erschließt sich aus diesem Blickwinkel. Die fortschreitende politische und wirtschaftliche, in Ansätzen auch kulturelle Integration der DDR in den sowjetischen Machtblock verlangt nach anderen als nationalgeschichtlichen Deutungsmustern, und die gegensätzliche Bedeutung von "1968" als generationeller Ausdruck einer durchgreifenden Liberalisierung der Bundesrepublik und endgültiger Abbruch der reformsozialistischen Hoffnungen in der DDR unterstreicht die begrenzte Reichweite eines gemeinsamen Blicks. In jedem Fall waren die Beziehungen zwischen den beiden Staaten in hohem Maße asymmetrisch. Während das SED-Regime auch in der radikalen Abgrenzung auf das Bonner Gegenüber fixiert blieb, trat die DDR für die Bundesrepublik mit den Jahren immer weiter in den Hintergrund. Zur Erfassung dieser komplexen Relation hat Christoph Kleßmann schon vor Jahren mit dem Begriff der "asymmetrisch verflochtenen Parallel- und Kontrastgeschichte" ein bis heute gültiges Interpretationskonzept vorgegeben 6 und jüngst zusammen mit Konrad Jarausch in einem Phasenmodell umgesetzt. 7
Anders als die immer auch politisch-kulturelle Absichten verfolgende Aufarbeitung ist das Konzept einer integrierten deutschen Nachkriegsgeschichte nicht darauf angewiesen, der Zusammenschau von ost- und westdeutscher Entwicklung den normativen Unterschied von Diktatur und Demokratie zugrunde zu legen, wie dies jüngst insbesondere von Günther Heydemann und Horst Möller gefordert wurde. Wenn sich Zeitgeschichte nicht zur bloßen Siegergeschichte machen, sondern an das Neutralitätspostulat der Werturteilsfreiheit halten will, tut sie gut daran, ihr Blickfeld nicht durch eine vorgängige Parteinahme trüben zu lassen. Natürlich kam es für die historische Entwicklung in beiden deutschen Staaten entscheidend darauf an, ob Entscheidungen unter den Bedingungen politischer Freiheit und individueller Autonomie getroffen wurden oder nicht. Aber generationelle Umbrüche, weltwirtschaftliche Konjunktureinbrüche, massenmediale Entwicklungsschübe und Aufstieg bzw. Niedergang von Planungseuphorie und Fortschrittsoptimismus vollzogen sich quer zu den Scheidelinien von freiheitlicher und unfreiheitlicher Gesellschaft. Wer aus normativer Perspektive das Pendant des bundesdeutschen Rechtsstaats allein als ostdeutschen Unrechtsstaat zu erfassen versucht, versperrt sich den Weg zum Verständnis für die Binnenlegitimation der zweiten deutschen Diktatur und für die Handlungsmotive ihrer Träger, die die Unterordnung des formalen Rechtes unter eine politisch definierte Gerechtigkeit als Ausdruck einer überlegenen Rechtsordnung verstanden haben mochten. Nicht als normative Erkenntnisgrundlage trägt die Unterscheidung von Demokratie und Diktatur für die Wissenschaft von der Zeitgeschichte ihren Nutzen, sondern als historische Leitfrage nach der Herausbildung der beiden gegensätzlichen politischen Ordnungen, die in der Zeit von 1949 bis 1989 hüben wie drüben zahlreiche Wandlungen durchliefen.
Im gegenwärtigen Aufarbeitungsbündnis von Geschichte und Gedächtnis kommt der Fachwissenschaft schließlich in besonderem Maße die Aufgabe der metahistorischen Reflexion zu. Sie ist im Verbund mit anderen Geistes- und Sozialwissenschaften dafür zuständig, die Entwicklung der Vergangenheitsvergegenwärtigung nach 1945 von der Verdrängung über die Bewältigung zur Aufarbeitung nachzuzeichnen und die Bedingungen und Modi zu beschreiben, unter denen das Heute sich auf das Gestern bezieht. Der Wille zur Aufarbeitung, der die Auseinandersetzung mit der Diktaturvergangenheit nach 1989 von der nach 1945 unterscheidet, ist nicht zu denken ohne die Etablierung einer Erinnerungskultur, welche Zukunftsbindung in starkem Maße durch Vergangenheitsbindung ersetzt hat und zugleich eklatant an politischer Distinktionskraft eingebüßt hat.
Der zeitgeschichtliche Aufarbeitungskonsens ist längst parteiübergreifend geworden, und gerade darum benötigt er das Korrektiv einer Zeitgeschichtsforschung, die in die gemeinsame Aufarbeitung der Vergangenheit das Eigengewicht einer auf reflexive Distanzierung bedachten Disziplin einzubringen vermag und den legitimen Ambitionen staatlicher Gedenkpolitik und öffentlicher Moralisierung ihren eigenen Anspruch entgegenhält: den einer nüchternen Historisierung der DDR und der deutschen Zweistaatlichkeit, die sich ihrer eigenen Geltungsgrenzen bewusst ist. 8 Nur dort, wo sich in der Aufarbeitung einer unbequemen Vergangenheit die Eigenlogik der zeithistorischen Wissenschaft gleichberechtigt neben der der politisch-moralischen Aufklärung entfalten kann, wird sich das politische Bekenntnis zu den Werten einer freiheitlichen Gesellschaft dauerhaft mit der historischen Erkenntnis über das Wesen ihrer diktatorischen Herausforderung in der Moderne des 20. Jahrhunderts verbinden können.
1 Vgl. zur
Auseinandersetzung um die Rolle des Alltags für die
Diktaturaufarbeitung neben den im Deutschland Archiv, (2006) 4, 5
und 6, und in den Vierteljahrsheften für Zeitgeschichte,
(2006) 3 und 4, publizierten Stellungnahmen von Michael Schwartz,
Hermann Wentker und mir die in Kürze erscheinende
Dokumentation: Wohin treibt die DDR-Erinnerung? Dokumentation einer
Debatte, hrsg. von Martin Sabrow u.a., Göttingen 2007.
2 Hierzu zuletzt Gerhard Besier unter
Mitarbeit von Katarzyna Stokłosa, Das Europa der Diktaturen.
Eine neue Geschichte des 20. Jahrhunderts, München 2006, S.
673ff.
3 Vgl. Christoph Kleßmann/Peter
Lautzas (Hrsg.), Teilung und Integration. Die doppelte deutsche
Nachkriegsgeschichte, Bonn 2005.
4 Vgl. Clemens Burrichter/Detlef
Nakath/Gerd-Rüdiger Stephan (Hrsg.), Deutsche Zeitgeschichte
von 1945 bis 2000. Gesellschaft - Staat - Politik. Ein Handbuch,
Berlin 2006.
5 So der Titel eines Versuches von Peter
Bender, schon Mitte der 1990er Jahre die beiden deutschen Staaten
und ihre Gesellschaften unter dem Blickwinkel ihrer Gemeinsamkeiten
zu betrachten: Episode oder Epoche? Zur Geschichte des geteilten
Deutschland, München 1996.
6 Vgl. Christoph Kleßmann/Hans
Misselwitz/Günter Wichert (Hrsg.), Deutsche Vergangenheiten -
eine gemeinsame Herausforderung. Der schwierige Umgang mit der
doppelten Nachkriegsgeschichte, Berlin 1999.
7 Vgl. Konrad H. Jarausch, "Die Teile
als Ganzes erkennen". Zur Integration der beiden deutschen
Nachkriegsgeschichten, in: Zeithistorische Forschungen/Studies in
Contemporary History, Online-Ausgabe, 1 (2004) 1,
www.zeithistorische-forschungen.de/16126 041-Jarausch-1 - 2004
(12.12. 2006).
8 Vgl. zur Auslotung dieser
Geltungsgrenzen in Bezug auf die ungleich schwerere Last des
nationalsozialistischen Zivilisationsbruchs die berühmte
Kontroverse: Martin Broszat/Saul Friedländer, Um die
"Historisierung des Nationalsozialismus". Ein Briefwechsel, in:
Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, 36 (1988) 2, S. 339 -
372.