Im Namen der Ehre - unter diesem Siegel bekommen muslimische Frauen in Deutschland Tritte und Schläge, werden mit Drohungen und Beschimpfungen traktiert, psychisch drangsaliert. Manchmal werden sie auch ermordet, so wie die Deutschtürkin Hatun Sürücü vor gut einem Jahr. Sie starb, weil sie ein selbstbestimmtes Leben führen wollte. Sie wurde in Berlin auf offener Straße von ihrem Bruder hingerichtet. Erst nach der grausamen Tat begann die deutsche Öffentlichkeit zu begreifen, dass der Ehrenmord sich nicht nur im fernen Anatolien ereignet, sondern mitten unter uns.
Um die Öffentlichkeit aufzurütteln, haben kürzlich der nordrhein-westfälische Integrationsminister Armin Laschet (CDU) und die deutschtürkische Rechtsanwältin Seyran Ates zusammen mit anderen prominenten Persönlichkeiten wie der Emma-Chefredakteurin Alice Schwarzer und der Moderatorin Sabine Christiansen eine Kampagne ins Leben gerufen, mit der ein gesellschaftlicher Dialog angestoßen werden soll.
Die Aktion mit zunächst 250.000 Postkarten soll die Frage nach der "Ehre" aufgreifen, die unter Jugendlichen mit Migrationshintergrund immer mehr an Bedeutung gewinnt. "Deine Schwester ist ein korrektes Mädchen mit einer eigenen Meinung. Akzeptier' das!", sagt der junge Mann mit dem stolzen Blick. Seine Mahnung hat Erfolg: "Ich will, dass meiner Schwester nichts passiert. Aber mein Freund hat Recht. Auf sie aufpassen heißt nicht, sie einzusperren." Dialoge unter Freunden, zwei Postkarten - auf beiden steht in großen roten Lettern: "Ihre Freiheit, seine Ehre." Es ist ein schlichter Slogan, aber er soll Denkweisen vom Kopf auf die Füße stellen.
Für NRW-Minister Laschet ist Ehre ein Begriff, "der besonders unter Jugendlichen mit Zuwanderungsgeschichte zur Rechtfertigung von Gewalt benutzt wird". Um dies künftig zu verhindern, dürfe nicht mehr länger weggesehen werden. Der Christdemokrat will jungen Frauen helfen, die durch "Druck, Repressalien oder sogar körperliche Gewalt zu einer bestimmten Lebensführung gezwungen werden". Die vier Motive sollen ein Zeichen "gegen die Entmündigung junger Frauen im Namen eines fragwürdigen Ehrverständnisses" setzen. Wie viele Ehrenmorde gibt es in Deutschland? Das nordrhein-westfälische Integrationsministerium nennt 55 Fälle in denen von 1996 bis 2005 in Deutschland "Blut für die Ehre" geflossen ist.
Aber es geht nicht nur um Ehrenmorde. Es geht auch um die fast alltägliche Gewalt, die Zwangsverheiratungen, die unter dem Druck der Familie arrangiert werden und die jährlich etwa 10.000 junge Männer und Frauen in Deutschland binden. Die Dunkelziffer ist hoch, genaue Zahlen gibt es nicht. Die Übergänge von einer arrangierten Ehe zu einer Zwangsverheiratung sind fließend. Wenn junge Menschen, vor allem Frauen, zu einer Eheschließung gezwungen werden, müsse man auch von Gewalt reden, sagt Armin Laschet. Deshalb begrüßt er auch die geplante Heraufsetzung des Nachzugsalters von Ehepartnern auf 18 Jahre als ein "wirksames Mittel zur Vermeidung von Zwangsheiraten".
Nach Einschätzung der deutschtürkischen Publizistin und Sozilogin Necla Kelek, die mit dem Buch "Die fremde Braut" einen Bestseller landete, kommen jedes Jahr etwa 20.000 junge Frauen aus der Türkei nach Deutschland, um hier verheiratet zu werden. Damit sei jede zweite Mutter der vergangenen 20 Jahre eine "importierte Braut", die vom Land stamme und kaum deutsch sprechen könne. Die Söhne könnten ebenso wenig ein selbstbestimmtes Leben führen wie die Töchter, sagte Kelek kürzlich in einem Interview. Sie würden "verhätschelt und bedient" und als Wächter der weiblichen Familienmitglieder erzogen. "Diese Kinder werden nie ein ,Ich'".
Im Juni 2001 hat die UN-Arbeitsgruppe zu "Zeitgenössischen Formen der Sklaverei" Zwangsverheiratung als eine der modernen Formen von Sklaverei gebrandmarkt, von der meist Frauen betroffen sind. Union und SPD haben in ihrem Koalitionsvertrag festgelegt, dass in ihrer Regierungszeit Zwangsverheiratung als eigener Straftatbestand in das Strafgesetzbuch aufgenommen werden soll.