Schinkai Karokhail ist Familienmutter und Abgeordnete aus der Provinz Kabul. Sie trägt einen dicken Wollmantel und sitzt an einem Kohle-ofen. Es gibt mal wieder keinen Strom an diesem Morgen in Kabul. "Wir Abgeordneten haben immer noch kein eigenes Büro im Parlament, keinen eigenen Mitarbeiterstab, keinen eigenen PC", beschreibt sie die Situation. Schinkai Karokhail nennt sich eine "Frauen-Aktivistin". Im pakistanischen Exil hat sie eine Organisation für die Rechte von Frauen gegründet. An diesem Nachmittag trommelt sie ihre Kolleginnen für ein Treffen bei Präsident Karsai zusammen. Die Frauen suchen Unterstützung von höchster Stelle, damit endlich eine Frau in das höchste Richtergremium des Landes gewählt wird.
"Beleidigungen durch männliche Kollegen im Parlament sind an der Tagesordnung", sagt Schinkai Karokhail. "Einige beschimpfen mich als Prostituierte, wenn sie mich nur reden hören." Jeder zweite Mann im Parlament, schätzt sie, ist unfähig, mit der neuen Situation umzugehen. "Am Schlimmsten ist es aber anzusehen, wie sich die Frauen im Parlament gegenseitig bekämpfen", klagt Schukria Barakzai. Als Ex-Chefredakteurin einer Frauenzeitschrift hat sie Afghanistans neue Verfassung nach dem Fall der Taliban mitentworfen. Jetzt sitzt sie im Parlament im Ausschuss für Menschenrechte. Dort sitzen nur Frauen. Im Verteidigungs- oder im Ausschuss zur Bekämpfung von Drogenkriminalität sitzen dagegen nur Männer.
"Eine Reihe weiblicher Abgeordneter wird instrumentalisiert und vor Abstimmungen mit Scheinargumenten unter Druck gesetzt." Sie lauten etwa, so Schinkai Karokhail: "Wie kannst du einer Tadschikin zustimmen wo, du doch Paschtunin bist?", oder "Wie kannst du dich unserer Stammes-Solidarität entziehen und deine Ehre einfach so aufgeben?" Nicht immer, meint eine westliche Diplomatin, die namentlich nicht genannt werden möchte, hätten die Frauen aus freien Stücken für das Parlament kandidiert, mitunter hätten Familien- oder Stammesangehörige sie aus taktischen Erwägungen mit in die Politik gedrängt. Und nicht alle Erwartungen des Auslands hätten sich erfüllt. "Die internationalen Akteure hatten zu Beginn die Illusion, dass die weiblichen Abgeordneten im Parlament eine Interessengemeinschaft gegen die Übermacht der Männer bilden würden", sagt die Diplomatin. "Da haben wir uns getäuscht. Stattdesssen gibt es Neid unter den Frauen, weil einige häufig ins Ausland fahren, viele Interviews geben, andere dagegen gar nicht."
Schwierig wird es, wenn Männer im Parlament Religion und bestehende Traditionen gegen die Frauen ins Feld führen. Zwangsheirat und häusliche Gewalt zum Beispiel. Nach konservativer Auffassung ist beides sozial wie rechtlich legitimiert. Schinkai Karokhail dagegen hat die Erfahrung gemacht, dass sich der Islam auch als Argument für die Frauen nutzen lässt. "Die Heinrich-Böll-Stiftung und andere haben uns mit Abgeordneten aus Ägypten und Malaysia zusammengebracht. Dort darf eine Frau ihr Kind im Fall eines Scheidungswunsches bis zum 15. Lebensjahr behalten. In Afghanistan muss sie schon ab dem siebten Lebensjahr fürchten, ihr Kind zu verlieren." Das Wissen um die Praxis in anderen islamischen Ländern mache ihren Kolleginnen Mut, findet sie.
Wer sind in diesem Kampf die Verbündeten der Frauen? "Verbündete?", lächelt Schukria Barakzai amüsiert. "Einige arme Intellektuelle und Demokraten im Parlament." Die großen Interessengruppen im Parlament bilden die Blöcke um Parlamentspräsident Younis Qanooni und um Ex-Mudschaheddinführer Abdul Rasul Sayyaf, einem eloquenten Erzkonservativen, den viele wegen seiner Kriegsvergangenheit lieber vor einem Tribunal sehen würden. Kann man sich der Warlords im Parlament entledigen? "Sie sind Teil des Sys-tems", sagt Schinkai Karokhail. "Die internationale Gemeinschaft sollte Präsident Karsai unterstützen. Nicht er, sondern die Koalitionskräfte unter Führung der USA sind verantwortlich dafür, dass diese Personen unverändert an der Macht sind."
Für die 68 weiblichen Abgeordneten gibt es hinter dem Parlamentsgebäude ein eigenes "Women's Trainings Center". Hier laufen Schulungen. Die meisten werden durch Unterorganisationen der Vereinten Nationen oder der US-Entwicklungshilfe angeboten. Englischkurse, Recherche im Internet, Grundwissen über das Funktionieren des Parlaments oder das Formulieren von Gesetzesinitiativen stehen auf dem Lehrplan. Mehrere Abgeordnete bemängeln allerdings, dass die internationalen Trainingsangebote nicht immer untereinander abgestimmt seien. Schinkai Kaorokhail: "Nicht alle Trainings sind hilfreich. Als Mitglied des Haushaltsausschusses habe ich bis heute keine fachliche Einführung in diese Arbeit erhalten." Deutschen Hilfsinitiativen wird von den Befragten dagegen überwiegend ein gutes Zeugnis ausgestellt.
Ende Januar tritt das Parlament wieder zusammen. "Wenn die Frauen dann mehr als drei Ausschussvorsitzende stellen würden, wäre das ein positives Signal", meint die westliche Diplomatin, die kritisch auf die Rolle der internationalen Gemeinschaft blickt: "Der Westen hat nur scheinbar verstanden, wie die afghanische Gesellschaft funktioniert. Viele haben gedacht: ,Wir exportieren einfach die Erfahrungen unserer eigenen Parlamente.' Aber das funktioniert so nicht. Das hat auch in Bosnien nicht funktioniert. Wichtig ist, dass man den Menschen den Eindruck vermittelt, sie führen das Neue auch selbst mit ein." Das würde Vertrauen schaffen und darauf komme es an. Die Parlamentarierinnen hätten es aber zweifach schwer, Vertrauen zu fassen - zu ihren männlichen Parlamentskollegen und zu den ausländischen Helfern.