Irren ist menschlich. Wie haben sie sich gefreut über ihren Coup, damals vor 500 Jahren in der Kleinstadt St. Dié mitten in den Vogesen: Der von der Universität im badischen Freiburg gekommene Kartograf Thomas Waldseemüller, der zuvor in Straßburg und Colmar tätige elsässische Philologe Mathias Ringmann sowie der Stiftsherr und Druckereibesitzer Vautrin Lud (Walter Lud) hofften, ihre Idee in dicke Gewinne beim seinerzeit florierenden Geschäft mit geografischen Karten und Büchern ummünzen zu können: Waren sie doch 1507 die ersten, die eine Weltkarte mit dem neu entdeckten Kontinent Amerika produzierten. Die in 1.000 Exemplaren hergestellte Globuskarte verkaufte sich in der Tat blendend, später beschwerte sich Waldseemüller sogar über die vielen Raubdrucke. Doch leider, leider war alles ein grandioses Versehen: Der Kartograf und Ringwald hielten fälschlicherweise Amerigo Vespucci für den Entdecker des neuen Erdteils, weswegen sie das Territorium auf den Vornamen des Italieners tauften.
Sind die Amerikaner, ist Amerika also ein Irrtum? Natürlich nicht, aber irgendwie schon, was man zwischen Alaska und Feuerland heutzutage indes mit großer Gelassenheit zu ertragen pflegt. Zum 500. Jubiläum rückt eine weithin vergessene bizarre Geschichte wieder ins Licht der Öffentlichkeit, wofür im Laufe dieses Jahres diverse Feierlichkeiten in St. Dié und Washington sorgen werden. Bereits jetzt läuft zu diesem Thema eine Ausstellung im badischen Offenburg.
Eigentlich müsste das Land jenseits des großen Teichs Kolumba oder Christopha oder so ähnlich heißen, hatte doch Christoph Kolumbus 1492 als erster seinen Fuß auf dessen Boden gesetzt. Doch es sollte anders kommen. Unter dem lothringischen Herzog René II, einem spendablen Mäzen, hatte sich um 1500 neben Straßburg, Schlettstadt, Freiburg und Basel auch St. Dié zu einem humanistischen Zentrum mit einer "Gymnasium" titulierten Gelehrtenschule im Umfeld des Stiftsherrn Lud entwickelt. Neben Ringmann und Waldseemüller gehörten zu diesem Zirkel mit einem gewissen elitären Touch noch andere Wissenschaftler. In jenen Jahren zirkulierten in Europa die von dem Florentiner Seefahrer Vespucci packend geschriebenen Geschichten über seine Abenteuer auf den Weltmeeren, einige dieser Texte sind in der Offenburger Exposition zu bestaunen. Die Reise von Kolumbus gen Westen hingegen war auf dem Kontinent wenig und in St. Dié gar nicht bekannt.
Waldseemüller gestaltete 1507 eine kolossale, drei Quadratmeter große Weltkarte mit zwölf Holzschnittblättern, auf der erstmals auch der neue Kontinent als zusammenhängender Erdteil dargestellt wurde - in bananenförmiger Form, die Konturen waren nicht sonderlich realitätsnah. Zu diesem voluminösen "Taufschein" Amerikas verfasste Ringmann das Begleitbuch "Cosmographiae Introductio", in dem jene berühmt gewordene Passage steht: "Ein viertes Teil ... ist von Americus Vespucci entdeckt worden, und ich meine, nichts hindert uns vernünftig, es mit dem Namen seines genialen Entdeckers zu benennen, das heißt Land von Americus, oder Amerika, da Europa und Asien Frauennamen gegeben wurden." Waldseemüllers Riesenwerk tauchte 1901 im Schloss Wolfegg in Württemberg wieder auf und befindet sich inzwischen im Besitz der Washingtoner Kongressbibliothek, die es dieses Jahr zum Jubiläum erstmals öffentlich präsentieren will. Eines der Originale der "Cosmographiae Introductio" bewahrt die Stadtbibliothek von St. Dié auf und überließ es den Offenburger Kollegen für deren Schau als Leihgabe.
Parallel zu den Holzschnittblättern schuf Waldseemüller 1507 überdies 1.000 so genannte Segmentkarten in A3-Format, die heute "unscheinbar und unspektakulär" anmuten, aber gleichwohl "einzigartig" sind, so Wolfgang Gall, Direktor des Offenburger Museums im Ritterhaus. Um eine Kugel gewickelt ergeben diese Segmentkarten einen Globus. Diese kleinen Zeichnungen waren es, die vor 500 Jahren den Namen Amerika in Europa verbreiteten. Von den 1.000 Exemplaren existieren noch vier Originale. Je eine Karte gehört der Münchner Staatsbibliothek und einer Bücherei im US-Staat Minnesota. Eine dieser Zeichnungen wurde von einer US-amerikanischen Privatperson 2005 bei Christie's in London anonym für satte 800.000 Euro ersteigert. Das vierte Original kam 1993 in der Offenburger Stadtbibliothek eher zufällig bei Inventararbeiten ans Tageslicht und lagerte seither im Tresor. Als "Starobjekt der Ausstellung" (Gall) ist diese Segmentkarte Waldseemüllers nun im Museum im Ritterhaus erstmals öffentlich zu bewundern. Die eigens angefertigte Sicherheitsvitrine kostete 10.000 Euro - ein Aufwand, der angesichts des Werts dieser Rarität nicht verwundert. Die von einem umfangreichen Bildungsprogramm begleitete Exposition "Neue Welt & Altes Wissen. Wie Amerika zu seinem Namen kam" präsentiert zu diesem Thema 80 Karten, Atlanten und Bücher aus der Ära des Humanismus.
Eines Tages bemerkte Waldseemüller, dessen Kollege Ringmann 1511 starb, den Irrtum, den er bei weiteren Auflagen seiner Weltkarte vergeblich zu korrigieren versuchte: Mal wählte er "Brasilia" oder "Papageienland" als Namen, mal schrieb er vorsichtshalber einfach von "terra incognita". Der 1470 nahe Freiburg geborene Kartograf fand um 1520 an unbekanntem Ort den Tod. Amerigo Vespucci segnete 1512 das Zeitliche: Der italienische Abenteurer sollte nie erfahren, dass die Neue Welt nach ihm benannt worden war.
Die Offenburger Ausstellung ist bis zum 1. April geöffnet: Museum im Ritterhaus, Ritterstr. 10. Dienstag bis Sonntag 10 bis 17 Uhr. Tel: 0781-822577