Mit zahlreichen Veranstaltungen wird am 27. Januar in ganz Deutschland des 62. Jahrestages der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz gedacht. Höhepunkt ist die Gedenkstunde im Deutschen Bundestag am 29. Januar. Während die deutsche Öffentlichkeit den Gedenktag auch zum Anlass nimmt, weitere Initiativen gegen rechte Ideologie und neonazistische Gewalttaten ins Leben zu rufen, ist vielleicht ein Blick auf die "antifaschistische" Gedenkkultur in der ehemaligen DDR interessant, in der das Wort Holocaust eine geringe Rolle spielte.
Der Umgang mit der "antifaschistischen Geschichte" in der DDR war streng hierarchisiert. An führender Stelle des Erinnerungsprogramms standen die kommunistischen Widerstandskämpfer, die allerdings auch die konsequentesten Gegner der Nazis gewesen waren und die gewissermaßen den Gründungsmythos des deutschen Arbeiter-und-Bauern-Staates bildeten.
Diesem Gedenkanspruch hatten sich andere Opfergruppen unterzuordnen, der kirchliche Widerstand, die bürgerliche Opposition und vor allem die jüdischen Verfolgten. Deren Leiden und Sterben wurde zwar in keiner Weise bestritten, aber auch nicht besonders herausgehoben. So gab es kein spezielles Gedenken an den Holocaust, ein Begriff, der in der DDR nicht verwendet wurde. Dabei saß mit dem Außenpolitiker Hermann Axen sogar ein ehemaliger Auschwitzhäftling bis November 1989 im Politbüro der SED. Er wie das Politbüromitglied Albert Norden, Sohn eines Hamburger Rabbiners, und viele andere aus dem Exil in die DDR zurückgekehrte deutsche Juden verstanden sich als Schicksals-, aber nicht als Glaubensgenossen. Der Historiker Werner Maser führt diese Haltung darauf zurück, dass "sie sich nicht mehr als Juden verstanden oder in ihrer jüdischen Identität von der DDR-Zensur unkenntlich gemacht wurden". Sie galten in ihrer gesellschaftlichen Stellung als "nicht-jüdische Juden".
Anfang der 50er-Jahre hatte die SED den sozialistisch orientierten Mitstreitern jüdischer Herkunft mehr oder weniger direkt empfohlen, ihre Gemeinden zu verlassen. Hermann Simon, dessen Mutter den Naziterror als Untergetauchte in Berlin überlebte, sagte dazu in einem Interview: "Das ist ein merkwürdiges Kapitel der DDR-Geschichte. Es gab zwei Kreise, die nichts miteinander zu tun hatten. Eine Gruppe stand zu ihrer jüdischen Identität. Sie waren Mitglieder der Jüdischen Gemeinde in Berlin, und die anderen, die Juden waren, aber dies nicht mehr sein wollten beziehungsweise ihr Judentum nicht mehr manifest gemacht hatten. Mitte der 80er-Jahre wandelte sich die Einstellung. Als das ein bisschen schicker wurde in der DDR, waren plötzlich alle Juden." Simon, heute Direktor des Centrum Judaicum in Berlin, hat erst kurz vor dem Tod seiner Mutter Einzelheiten über deren Leben in der Illegalität erfahren. Sie hatte über diese Zeit geschwiegen und sich bewusst einem biographischen Neuanfang gestellt. Sie hatte etwas gegen den Begriff der Illegalität. "Illegal war der größte technische Massenmord in der Menschheitsgeschichte, leben zu dürfen wird man ja wohl noch jedem gestatten müssen. Illegal waren die Nazis, nicht ich", zitiert Hermann Simon seine Mutter.
Das Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus war in der DDR weitgehend ritualisiert. Schulen trugen die Namen antifaschistischer Widerstandskämpfer, Besuche der Konzentrationslager Buchenwald, Sachsenhausen und Ravensbrück waren für Jugendliche Pflicht, aber der Erkenntnisgewinn derartiger Übungen war wohl eher gering. "Oral his-tory", die Spurensuche nach Schicksalen aus der Nazizeit auf eigene Faust, war nicht so sehr erwünscht. Als der emeritierte Altphilologe Rudolf Schottlaender, der die braunen Jahre als Jude in einer so genannten privilegierten Mischehe überlebte, sein Buch "Verfolgte Wissenschaft" über das Schicksal jüdischer Professoren und Dozenten der Berliner Friedrich-Wilhelm-Universität geschrieben hatte, durfte es in der DDR nicht gedruckt werden.
In der Provinz gab es dagegen manchmal bessere Möglichkeiten für derartige Spurensuche. Die Pastorenwitwe Gisela Bunge aus der Altmark verfasste eine Dokumentation über "Schicksale jüdischer Familien aus Gardelegen". In der Einleitung schrieb sie: "Im Sommer 1985 besuchten Joachim Behrens und seine Schwester Lotte, überlebende Gardelegener, ihre Heimatstadt. Bedrückt reisten sie wieder ab. Die Grabsteine ihrer Großeltern und Freunde waren in der wuchernden Hecke verschwunden. Nirgendwo fand sich ein Zeichen dafür, dass in dieser Stadt unschuldige Menschen, Menschen wie du und ich, gedemütigt, beraubt, verfolgt und getötet worden waren."
Bei ihren Recherchen erhielt die Pfarrersfrau bereitwillige Information, aber auch Ablehnung. Das Misstrauen staatlicher Stellen war ihr gewiss. Sie stand in Kontakt mit vertriebenen Gardelegenern in den USA, Großbritannien und Australien. Wie man sieht, war die Auseinandersetzung mit der Nazizeit in der DDR nicht so schlecht, wie es heute gern dargestellt wird, aber leider auch nicht so gut, um eine kritische Aufarbeitung zu gewährleisten.