Cap Anamur
Das Hilfsschiff rettete 37 Menschen aus Seenot. Ein Prozess ist die Folge.
Es vergeht kaum eine Woche ohne Nachrichten aus dem Mittelmeer oder von den Kanarischen Inseln: Neue Flüchtlinge angelandet, Flüchtlinge im Meer ertrunken, Flüchtlinge von Küstenwache zum Umkehren gezwungen, Flüchtlinge von Küstenwache gerettet. Seit Jahren versuchen sich immer mehr Afrikaner über das Mittelmeer und den Atlantik an die Grenzen Europas spülen zu lassen. Wie viele dabei den Tod finden, kann nur geschätzt werden. Offizielle Zählungen seitens italienischer Behörden geben einige hundert Tote pro Jahr an. Die deutsche Flüchtlingsorganisation Pro Asyl dagegen geht eher von mehreren Tausend aus, die das Meer auf ihrem Weg von West- oder Nordafrika nach Europa verschluckt.
Doch selten rückt dieses alltägliche Drama vor Europas Küsten so in den medialen Mittelpunkt wie im Sommer 2004, als die "Cap Anamur" 37 Bootsflüchtlinge etwa 100 Seemeilen (rund 180 Kilometer) vor der italienischen Insel Lampedusa aus dem Mittelmeer fischt und sie nach wochenlangem Tauziehen mit den Behörden in Sizilien an Land bringt. Seit November 2006 wird der Fall nun vor einem Gericht in der sizilianischen Hafenstadt Agrigent verhandelt. Die Anklage: Beihilfe zur illegalen Einwanderung in einem besonders schweren Fall, da die Cap Anamur-Mitarbeiter mehr als sechs Afrikaner verbotenerweise ins Land gebracht haben sollen. Angeklagt sind der ehemalige Leiter der Hilfsorganisation Cap Anamur, Elias Bierdel, Kapitän Stefan Schmidt und sein Erster Offizier Vladimir Daschkewitsch.
Bierdel - Kritiker in Deutschland werfen ihm vor, er habe die Rettungsaktion damals medienwirksam ausgeschlachtet- hat seine Version der Geschichte nun unter dem Titel "Ende einer Rettungsfahrt" als Buch publiziert. Tagebuchartig aufbereitet und mit bisher unveröffentlichten Bildern und Dokumenten illustriert, liest sich das Buch auch als Klageschrift gegen die Fallstricke und Absurditäten des europäischen Asylrechts.
Es wird vermutet, dass sich der Prozess über mehrere Jahre ziehen wird. Auch wenn Bierdel selbst den Vorwurf der Schlepperei für ebenso "absurd" hält wie den der "Medieninszenierung" und er zum Prozessauftakt einen "rauschenden Freispruch" erwartete, drohen ihm und seinen beiden Mitangeklagten vier bis zwölf Jahre Haft und eine Geldstrafe von bis zu 15.000 Euro für jeden "eingeschleusten" Flüchtling.
Die Chronik der Rettungsfahrt beginnt zunächst mit dem Ankauf und dem Umbau eines eigenen Schiffes für die von Rupert Neudeck gegründete renommierte Organisation und einem Hilfstransport an die westafrikanische Küste. Auf der Weiterfahrt ins Mittelmeer kommt es zu einem Maschinenschaden. Nach mehrtägiger Reperatur und einer anschließenden Probefahrt nimmt das seinen Lauf, was auf der Anklagebank in Agrigent endete: Die "Cap Anamur" nimmt die schiffbrüchigen Flüchtlinge an Bord. "Das Schlauchboot hatte Luft verloren, der Motor qualmte, es stand bereits Wasser im Boot", begründet Bierdel die Alternativlosigkeit einer Rettung. Und weiter: "Mir war klar, dass sich damit die Lage nicht nur für die Geretteten, sondern auch für uns schlagartig geändert hatte." Wie Recht er behalten sollte. In Sizilien werden Bierdel, Schmidt und Daschkewitsch vorübergehend verhaftet, die ersten der geretteten Afrikaner bereits nach wenigen Tagen in ihre Heimatländer abgeschoben.
Mit "Das Ende einer Rettungsfahrt" setzt Bierdel vorerst einen Schlusspunkt unter eine Rettungsaktion, deren Ende vor Gericht für die einen die Quittung für eine "medienwirksame Inszenierung" einer Tragödie und für die anderen schlichtweg ein "Skandal" in einer verfehlten europäischen Flüchtlingspolitik ist.
Ende einer Rettungsfahrt. Das Flüchtlings- drama der Cap Anamur.
Verlag Ralf Liebe, Weilerstwist 2006; 229 S., 19,80 ¤