Ihre Hände fliegen rasch über das Papier. Jedes Zeichen hat seine Bedeutung. Aber nur wenige können das entziffern. Bärbel Heising ist Revisorin im Stenografischen Dienst des Deutschen Bundestages und damit eine von circa hundert Menschen in Deutschland, die die Kür der Stenografie beherrschen: Sie kann siebenmal schneller stenografieren, als Menschen üblicherweise schreiben, und ist damit immer noch doppelt so schnell wie ein Redner. "Schließlich müssen wir auch noch die Zwischenrufe und Beifälle der Abgeordneten mitbekommen", sagt die 45-Jährige, und ihr Blick ist so wach, als säße sie gerade vorn im Plenum, im direktem Blickkontakt mit den Abgeordneten.
Die Stenografie wurde vom bayerischen Ministerialbeamten Franz Xaver Gabelsberger zu Beginn des 19. Jahrhunderts erfunden. Für die damals sich entwickelnde Debattenkultur wollte man endlich ein Instrument haben, mit dem die Sitzungen zu protokollieren und nachzuvollziehen waren.
Acht Revisoren beschäftigt der Bundestag. Während sich die insgesamt 16 Stenografen in einer laufenden Debatte alle fünf Minuten abwechseln, bleiben die Revisoren 30 Minuten am Stenografentisch sitzen, bekommen dann das bereits maschinenschriftliche und ausformulierte Protokoll der sechs Stenografen "ihrer" Sitzungszeit vorgelegt, gleichen es mit ihrer Mitschrift ab, recherchieren Namen und Daten und - immer häufiger - Begriffe, die manchmal kaum einer kennt. "Die Sprache wird immer internationaler", sagt die promovierte Germanistin und Anglistin. Kürzlich rätselten sie und ihre Kollegen, darunter ein Diplom-Physiker, ein Islamwissenschaftler, eine Romanistin und ein im Vatikan ausgebildeter Theologe, was wohl das Wort "Woopies" bedeuten könnte. Mit irgendwelchen Fastfood-Ketten, das ahnten die Spezialisten, hatte es wohl kaum zu tun: "Woopies" steht als neue Abkürzung für den englischen Begriff "Well-off older people" (wohlhabende ältere Menschen).
Nach weiteren Kontrollen, auch durch die Redner selbst, muss das Protokoll am Folgetag um 12 Uhr mittags in allgemein lesbarer, gebundener Form vorliegen - auch wenn die Debatte bis drei Uhr in der Nacht andauerte. Die Reden der Kernzeitdebatten vom Donnerstagvormittag sind sogar bereits nachmittags im Internet nachzulesen.
Für die Germanistin ist die Stenografie die direkte und inhaltliche Beschäftigung mit Politik. Sie muss ständig auf dem Laufenden sein, jedes aktuelle Thema beherrschen - egal ob Gesundheitsreform oder Krippenplätze. "Mein Beruf ist wie Schach. Logisch und kreativ zugleich", sagt sie und erzählt dann, wie sie als 13-Jährige in Bochum einem Stenografenverein beitrat, weil sie das Mysterium lockte: Stenografie als Geheimschrift. Und um zu unterstreichen, dass diese Vorstellung nicht nur ein schöne naive Idee aus Jugendzeiten ist, führt die agile Stenografin vor, auf wie viele unterschiedliche Arten man Bundeskanzlerin Angela Merkel schreiben kann. "Das kann man mit den Kollegen so vereinbaren, dass es ein referatsfremder Stenograf gar nicht lesen kann", sagt sie verschmitzt. Nur bei ihrem eigenen Ehemann, einem Wirtschaftsingenieur, ist sie gnädig. Obwohl sie sonst alles in Steno notiert, schreibt sie den Einkaufszettel lieber aus. "Ansonsten müsste ich ja immer selbst los", lacht sie.
Das Tempo in ihrem Job ist hoch. Dies gilt über Plenardebatten hinaus auch für Sachverständigenanhörungen und Untersuchungsausschüsse. Aber vor allem ist das Redetempo der Politiker höher geworden als in der Vergangenheit. Woran das liegt? Früher gab es lediglich drei Fraktionen im Parlament. Heute müssen sich fünf Fraktionen die Redezeit teilen. "Da müssen sich die Politiker schon sputen, wenn sie die Gesundheitsreform in drei Minuten erklären, verteidigen oder kritisieren wollen", nennt sie ein Beispiel aus der jüngsten Zeit.
Aber Bärbel Heising nimmt die Herausforderung sportlich. Viel wichtiger ist ihr eine andere Entwicklung. Seitdem es das Internet gibt, stehen die Bundestagsprotokolle für jeden Bürger abrufbar im Netz. "Dadurch wird Demokratie transparent."