GLOBALE ROHSTOFFJAGD
Im Kampf gegen weltweite Handelsbarrieren hofft die Industrie auf politischen Beistand.
Deutschland ist ein rohstoffarmes Land. Nicht ganz. In der Lausitz träumt man seit kurzem von neuem Reichtum aus der Erde. Bei Spremberg warten rund 100 Millionen Tonnen Kupfererz auf die Förderung. Noch ist aber längst nicht ausgemacht, ob damit der Kohle der Rang als wichtigster heimischer Rohstoff abgelaufen werden kann. Auch wenn die Gewinnung des "Schwarzen Goldes" an Ruhr und Saar seit Jahren immer weiter gedrosselt wird. Ebenso wie bei Öl und Gas, Erzen und Legierungen ist Deutschland auf Kohleimporte angewiesen. "Die letzten Jahre haben uns gelehrt, dass Rohstoffsicherheit nicht nur eine Frage der sicheren Versorgung mit Öl und Gas ist", sagt Jürgen Thumann, der Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI).
Wegen der hohen Abhängigkeit von Importen sei der stetige Nachschub von metallischen Rohstoffen ebenso wesentlich. Um bei der längst eingeläuteten internationalen Jagd nach Rohstoffen nicht ins Hintertreffen zu geraten, forderte der BDI auf seinem zweiten Rohstoffkongress in Berlin von Bundesregierung und EU-Kommission eine "strategische Rohstoffpolitik".
Mehr als 6.000 Euro kostet derzeit eine Tonne Kupfer an der Metallbörse LME in London. Da reizt es nicht nur, Schrottplätze nach dem roten Metall abzusuchen, sondern auch, längst vergessene Pläne aus den Schubladen zu holen. Bei Spremberg im südlichen Brandenburg reichen die unter ganz Nordeuropa verborgenen Kupfervorräte so weit an die Oberfläche, dass sie gewonnen werden können. Aus einer Tiefe zwischen 800 und 1.600 Metern sind rund 1,5 Millionen Tonnen Kupfer zu gewinnen. Um an das Metall zu kommen, müssten bei einem Kupfergehalt von ein bis zwei Prozent knapp 100 Millionen Tonnen Erz aus der Tiefe geholt werden.
Siegfried Strasser wusste sogar, wie teuer die Kupfergewinnung in der Lausitz wäre: Knapp 5 Milliarden Mark errechnete der heute pensionierte Bergbau-Ingenieur in den 70er-Jahren für die DDR-Regierung. Damals fehlte schlicht das Geld, und das Kupfer blieb im Boden. Jetzt hat eine Tochter des Rohstoffkonzern Anglo American beim Bergamt in Cottbus um die Erlaubnis für weitere Probebohrungen nachgesucht. Die Rohstoffsucher aus London schätzen den aktuellen Marktwert des Lausitzer Kupfervorkommens auf 9 bis 10 Milliarden Euro. Ein Zehntel würde den Ländern Sachsen und Brandenburg als Förderzins zustehen. Klaus Freytag, Chef der Cottbusser Bergbehörde, bestätigt, dass drei weitere Bergbaukonzerne ihr Interesse an der Lagerstätte bekundet haben.
Werner Marnette, Vorstandsvorsitzender der Norddeutschen Affinerie (NA) in Hamburg, winkt ab. "Die Investitionen, eine solche Lagerstätte zu erschließen, sind immens", sagt der Chef von Europas größtem Kupferproduzenten. "Die wichtigste eigene deutsche Rohstoffquelle ist das Kupferrecycling. Wir brauchen in Deutschland pro Jahr rund 1,2 Millionen Tonnen." Marnette schlägt vor, sich an der Erschließung großer Kupfervorkommen im Kongo oder in Sambia zu beteiligen. Seine Forderung: politische Unterstützung. Die Bundesregierung hört dieses Ansinnen nicht zum ersten Mal.
Kanzlerin Angela Merkel hat sich eigens für den BDI-Rohstoffkongress ein umfängliches Gutachten zur Rohstoffversorgung des Landes anfertigen lassen. Ergebnis: "Fast alle Industrierohstoffe sind, gemessen an den globalen Reserven, in ausreichender Menge verfügbar". Die hohen Rohstoffpreise seien Resultat einer großen Nachfrage und nicht einer Angebotsverknappung. Zu diesem Schluss kommen das Rheinisch-Westfälische Institut für Wirtschaftsforschung in Essen, das Fraunhofer-Institut für Systemforschung und die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe in Hannover in ihrer Faktensammlung. Die Forscher empfehlen der Bundesregierung allerdings, die Frage der Rohstoffversorgung stärker in die Wirtschafts-, Außen- und Entwicklungspolitik einzubeziehen. Auch sollte sich die Regierung dafür einsetzen, dass internationale Rohstoffmärkte besser funktionieren.
Auch wenn es global gesehen also keinen wirklichen Mangel an Rohstoffreserven gibt, arbeiten viele Produzenten schon lange an der Kapazitätsgrenze. Und eine kurzfristige Aufstockung ihrer Lieferungen ist nicht in Sicht. Zum Streit zwischen Politik und der deutschen Wirtschaft könnte es bei der Frage kommen, ob die Unternehmen sich wieder stärker direkt an der Rohstoffgewinnung beteiligen sollten. In den 80er-Jahren hatten deutsche Konzerne dieses Feld weitgehend den internationalen Rohstoffkonzernen überlassen, die das Geschäft mit Kohle und Erzen stark konzentriert haben.
Für Ulrich Grillo ist Rohstoffpolitik eine gemeinsame Aufgabe von Staat und Politik. Als Vorsitzender der BDI-Präsidialgruppe Internationale Rohstofffragen fordert der Unternehmer aus dem Rheinland, die Versorgungssicherheit nicht nur geologisch anzugehen. "Wir brauchen kraftvolle bilaterale Verhandlungen mit China, Russland, Indien, der Ukraine und anderen Ländern", sagt Grillo. Der Handel mit Rohstoffen dürfe nicht durch Schutzzölle und Steuervergünstigungen verzerrt werden. "Notfalls", so der Unternehmer, "müssen wir uns wehren, zum Beispiel durch ein Ausfuhrverbot von Schrotten."