Im Büro von Lukrezia Jochimsen trifft Udo Lindenberg auf Abgeordnete der Weimarer Republik. An der Wand hinter Jochimsens Schreibtisch hängt eine große Schwarz-Weiß-Fotografie einer Berliner Straße, ein Panzer versperrt Passanten den Weg. Auf seinem Bild hat Lindenberg lächelnde, Comic-artige Männchen, die auf Häusern sitzen, gemalt. An der Wand gegenüber: Bleistiftzeichnungen auf leicht vergilbtem Papier, präzise Darstellungen einer Sitzung des Parlamentes aus den Anfängen der Weimarer Republik. Mittendrin sitzt die kulturpolitische Sprecherin der Linkspartei und energische Fürsprecherin des Denkmalschutzes.
"Das ist ein großartiges Bild der Ironisierung der Berliner Verhältnisse", sagt Jochimsen über das Lindenberg-Bild. Militär gegen friedliebendes Volk auf der einen Seite ihres Büros, gegenüber "das sprechende Personal" der Republik, eine Ergänzung zum einfachen Volk, aus Zeiten einer jungen Demokratie: Sinnbilder für die kämpferische Antimilitaristin und Antifaschistin.
Mit ruhiger, fester Stimme erzählt die Frau mit den wild nach oben stehenden Haaren von ihrem Leben, begleitet ihre Worte mit energischen Handbewegungen. Erst nach ihrer Pensionierung ließ sie sich 2002 für die Bundestagswahl von der PDS als Kandidatin in Hessen aufstellen. 2005 zog sie über die Landesliste Thüringen in den Bundestag ein. Doch Politik hat ihr Leben immer beeinflusst. Geboren 1936 in Nürnberg, sei sie durch die Diktatur der Nazis geprägt. "Eins haben mir meine Eltern und meine Lehrer ganz früh vermittelt: dass man sich um Politik kümmern muss." Ihr Elternhaus sei "stark antifaschistisch" gewesen. Deshalb habe ihr Berufswunsch ganz früh festgestanden: Journalistin. "Meine Mutter erzählt, dass ich schon mit vier Jahren meinen Vater nachahmte, indem ich die Zeitung hochgehalten und so getan habe, als ob ich Geschichten daraus vorlese." Aufklären wollte sie: "Wenn Menschen informiert werden, kann sich so etwas wie das Dritte Reich nie wiederholen." Zehn Jahre arbeitete sie beim ARD-Magazin "Panorama", bevor sie 1985 als Korrespondentin nach London ging. Von 1991 bis 1993 leitete sie dort das ARD-Fernsehstudio, wurde danach Fernseh-Chefredakteurin des Hessischen Rundfunks.
Als die PDS ihr vor der Bundestagswahl 2002 eine Kandidatur als unabhängige Kandidatin angeboten habe, "habe ich mir das lange überlegt". Zwar habe sie als Journalistin immer feste politische Positionen vertreten. "Aber ich habe mich nie von einer Partei vereinnahmen lassen." Doch sie habe den Wechsel inte-ressant gefunden. Als die Partei nicht über die Fünf-Prozent-Hürde gekommen sei, habe sie den Kontakt aufrechterhalten. Beigetreten sei sie erst 2005, weil nicht zu viele parteilose Kandidaten für die PDS antreten sollten. Jetzt ist sie anderthalb Jahre im Amt und "immer noch am Lernen". Sie sei sich gar nicht sicher, ob sie wirklich die Seiten gewechselt habe. "Das Achten auf Wirkung spielt für Politiker eine große Rolle, die denken immer darüber nach, wie das nach außen wirkt." Wie sehr Politik und Medien zusammenhingen, habe sie erst hier im vollen Ausmaß begriffen.
Kultur ist ihr Steckenpferd. Sie ist Obfrau der Linken in der Enquetekommission "Kultur in Deutschland", im Unterausschuss Auswärtige Kulturpolitik und im Kunstbeirat des Bundestages. "Kultur ist das, was uns vor der Barbarei rettet", sagt Jochimsen. Ohne Malerei, Musik, aber auch ohne den Erhalt von alten Gebäuden gäbe es keinen Fortschritt. Denkmäler seien ein schützenswertes Erbe. Die zwei Städte, in denen sie ihre Wahlkreisbüros habe - Erfurt und Weimar - seien unter anderem deswegen so attraktiv, weil sie ihre Gebäude pflegten. "Die Leute suchen dort das authentische Erbe, den Atem des Vergangenen." Ihre Gelassenheit ist für einen kurzen Moment dahin, als die Sprache auf die Dresdener Waldschlösschenbrücke kommt. Ein "Mons-trum" sei das, betont sie und ihre Stimme wird lauter. Das Urteil des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts müsse sie akzeptieren. Jetzt will sie eine Wiederholung an anderen Orten verhindern, die Glaubwürdigkeit deutscher Kandidaten bei der Unesco sichern. Aufgeben, das kann sie nicht.