Matthias Wolfschmidt
Der stellvertretende Geschäftsführer von »foodwatch« will, dass die Menschen wissen, was sie essen
Ob Umweltschützer, Forscher, Bauern oder Politiker: Fast jeder spricht zurzeit von Gentechnik. Wann kommt der Verbraucher damit eigentlich in Berührung?
Lebensmittel müssen erst ab einem Gentechnik-Anteil von 0,9 Prozent gekennzeichnet werden. Der Gesetzgeber mutet den Bürgern also eine schleichende Verunreinigung der Lebensmittel zu. Bislang ist die Europäische Union aber fast noch eine gentechnikfreie Zone. Außer einigen tausend Hektar Mais werden hier keine gentechnisch veränderten Pflanzen kommerziell angebaut. Gentechnisch verändertes Obst und Gemüse gibt es gar nicht.
Der Bürger kann beruhigt sein, dass er nicht unbewusst gentechnisch veränderte Produkte isst?
Leider nicht. Es gibt eine gravierende Kennzeichnungslücke bei Milch, Eiern, Butter und Fleisch. Kein Endverbraucher erfährt, ob die Milchkuh Gen-Soja gefressen hat oder nicht. Dabei werden über 80 Prozent aller gentechnisch veränderten Pflanzen in Europa als Futtermittel eingesetzt.
Ist das denn überhaupt gesundheitsgefährdend?
Zurzeit gibt es keine überzeugenden Studien, die das Genfutter in der Milch nachweisen. Zu den Risiken wird aber nur wenig geforscht - und wenn, dann sind die Studien meist von Gentechnik-Konzernen ge- sponsert.
Wenn man bislang keine Gesundheitsgefahren kennt, wo ist dann das Problem?
Bei den Gentechnik-Kennzeichnungsvorschriften geht es nicht um Gesundheitsgefahren, sondern ausdrücklich um Transparenz und Wahlfreiheit für die Bürger. Offensichtlich ist die Futterwirtschaft derzeit der Hauptabnehmer für gentechnisch veränderte Organismen. Also müssen tierische Produkte entsprechend gekennzeichnet sein. Erst so kann der Bürger als Schiedsrichter im Wettbewerb zwischen einer Ernährungswirtschaft mit und einer ohne Agrargentechnik agieren.
Bundesverbraucherschutzminister Horst Seehofer (CSU) hat Ende Februar eine Novelle des Gentechnik-Gesetzes angekündigt. Wird es die Kennzeichnungslü-cke schließen?
Nein, der Entwurf ignoriert solche Probleme. Dort werden eher technische Fragen geregelt, die den Anbau von Genpflanzen und Haftungspflichten betreffen.
Reicht der vorgesehene Mindestabstand von 150 Metern zwischen Feldern mit gentechnisch veränderten Pflanzen und gentechnikfreiem Anbau?
Nein. Bemerkenswert ist doch, dass Länder wie Portugal und Luxemburg bis zu 800 Meter vorschreiben und Ungarn und Österreich sogar grundsätzliche Anbauverbote verhängt haben. Gerade, wenn die Ackerfelder so kleinteilig sind wie in Süddeutschland, können Wind und Insekten die gentechnisch veränderten Pollen leicht auf Nachbarfelder übertragen. Die Frage ist also, ob es so gentechnikfreie Landwirtschaft in 20 oder 50 Jahren überhaupt noch geben kann. Meiner Ansicht nach ist Koexistenz hier illusorisch.
Das Gesetz sieht auch neue Haftungsregelungen vor. Was bedeutet das?
Hier geht es vor allem um Schadenersatzforderungen. Wer zahlt an den Biobauern, der gentechnikfreie Ware garantieren muss, dessen Felder aber durch Genpollen vom Nachbarn verunreinigt wurden? Die Versicherungswirtschaft lehnt es ab, Haftpflichtpolicen für Genbauern anzubieten. Foodwatch fordert, dass derjenige für den Schaden gerade stehen muss, der ihn verursacht. Und zwar ohne Einschränkungen. Die von der Bundesregierung vorgesehenen Haftungsregeln höhlen dieses Prinzip zu Ungunsten der herkömmlichen Landwirtschaft aus.
Gentechnik-Befürworter warnen, dass das aktuelle Standortregister militante Umweltschützer anlockt, um Felder mit Genpflanzen zu zerstören.
Das öffentliche Register hat nicht zu Feldzerstörungen geführt. Natürlich muss man abwägen zwischen den Eigentumsrechten der Bauern und dem Informationsrecht der Öffentlichkeit. Aber durch Geheimhaltung wird man die überwiegend skeptische Bevölkerung vermutlich nicht für Agrargentechnik begeistern können.
Wie sehen Deutschlands Äcker momentan aus? Wo bauen Bauern Genpflanzen an?
Bislang ist in der Europäischen Union für den kommerziellen Anbau nur gentechnisch veränderter Mais zugelassen. In Deutschland wird er auf knapp 947 Hektar angebaut, 99 Prozent liegen in Ostdeutschland. Zugleich gibt es dort auch die größten Bioanbaugebiete. Welche Landwirtschaft sich durchsetzt, hängt davon ab, ob es faire Wettbewerbsbedingungen gibt.
Wer macht das Geschäft mit der Gentechnik?
Im Wesentlichen einige international tätige Konzerne. Neben Monsanto aus den USA, die vor kurzem eine Kooperation mit BASF bekannt gaben, sind Bayer CropScience und die Kleinwanzlebener Saatgut AG auf dem deutschen Markt aktiv. Im Prinzip erwirtschaften diese Firmen ihre Erlöse mit Pflanzen, denen artfremde Gene eingebaut wurden, um sie gegen Schädlinge oder Chemikalien resistent zu machen. Sie werden als Erfindung patentiert, sind nicht vermehrungsfähig und müssen im Paket mit passenden Pflanzenschutzmitteln jedes Jahr neu gekauft werden.
Was kritisieren Sie genau daran?
Monsanto und andere Unternehmen wollen das Geschäftsmodell weltweit durchsetzen, mit Hilfe von aggressiv ausgetragenen Lizenzstreitigkeiten und massivem Lobbying. Wenn Politik am Gemeinwohl interessiert ist, kann es nicht sein, dass sie das Thema Gentechnologie auf das Geschäftsmodell von Monsanto verkürzt.
Welche alternativen Geschäftsmodelle gibt es dann?
Längst haben Erfolge mit so genanntem "smart breeding" gezeigt, wie sich Gentechnik intelligent und zum Nutzen aller einsetzen lässt. Dabei wird gentechnologisches Know-how etwa für die Züchtung widerstandsfähiger Sorten genutzt. Der Unterschied ist: Den Pflanzen werden keine fremden Gene eingebaut. Außerdem müssen die Bauern keine Lizenzgebühren zahlen.
Wie funktioniert "smart breeding"?
Die Gensequenzen zum Beispiel verschiedener Reissorten werden entschlüsselt. Um eine Reissorte zu erhalten, die besonders stabil bei Überschwemmungen ist, werden die dafür verantwortlichen Genom-Abschnitte vervielfältigt und wieder eingebaut. Mit Hilfe von so genannten "Gen-Markern" lässt sich ihre Weitergabe im Züchtungsprozess verfolgen. Die so gewonnenen Reiskörner sollen Überschwemmungen besser überstehen können.
Und das ist besser als die bislang bekannte "grüne Gentechnik"?
Nach heutigem Wissensstand sind keine Gefahren für Mensch und Umwelt bekannt, weil keine artfremden Gene einbaut werden. Allerdings muss man fragen, ob man im Forschungslabor mehr über Pflanzen lernt oder nicht doch draußen auf dem Acker. Dort kann man Züchtungen ausprobieren und sie an verschiedene Klima- und Bodenbedingungen anpassen. Die Komplexität eines Ökosystems im Labor zu simulieren, ist äußerst schwierig.
Seit rund zehn Jahren wird Gentechnik im kommerziellen Stil betrieben. Hat sie ihre Versprechen erfüllt?
Ihre Befürworter wollten die Welt vom Hunger befreien, in dem sie strapazierfähige und schädlingsresistente Pflanzen auf den Markt bringen. Diese sollten hohe Erträge einfahren und nur wenig Dünger und Pestizide benötigen. Doch bislang ist die Indus-trie jeden Beweis für ihren Erfolg schuldig geblieben. Bis heute ist zudem keine Genpflanze auf dem Markt, die irgendeinen Nutzen für die Verbraucher hat. Das Geschäftsmodell von Monsanto führt in eine Sackgasse. Es ist höchste Zeit, politisch umzusteuern.
Das Interview führte Marlies Uken.