Klare Standpunkte
Warum die Diskussion um »Rabenmütter« niemandem hilft
In der Natur liegen für den Menschen wahrnehmbar nur Sekunden zwischen Blitz und Donner. Auf dem Buchmarkt gelten jedoch andere Gesetze. Folglich dauerte es eine Weile, bis auf die publizistischen Blitze, die Eva Herman im vergangenen Jahr durch den weiblichen Kosmos schoss, das Donnergrollen folgte. Gibt es ihn etwa doch, diesen kleinen Unterschied zwischen den Vorgängen der Natur und denen des sozialen Lebens?
Herman jedenfalls, eine als Autorin getarnte Nachrichtensprecherin, fühlte sich nach ihrem erfolgreichen Karriereweg plötzlich berufen, andere Frauen von der Berufstätigkeit abzuhalten, eben weil sie diesen Unterschied nicht sah. Die von der Biologie vorgegebene Sphäre der weiblichen Entfaltung ende am heimischen Gartenzaun, fand sie. Jeder Versuch, darüber hinaus Terrain zu besetzen, führe letztlich zum Selbstbetrug. So weit so, so simpel. Und Herman war nicht die einzige, die die Pflicht der Frauen zur Arterhaltung wiederentdeckte.
Spät aber dafür um so gewaltiger donnert es nun an der Front der Unterschieds-Verfechterinnen: Gleich drei prominente Frauen erteilen den Apologeten des Biologismus eine wütende Absage. Die Fernsehjournalistin und ehemalige "Mona-Lisa"-Moderatorin Maria von Welser fordert im Dialog mit Familienministerin Ursula von der Leyen: "Wir alle müssen wieder politischer werden, sonst setzen wir Erreichtes aufs Spiel, gefährden die Zukunft unserer Töchter. Eine nur männliche Welt? Das wollen wir wirklich nicht mehr." Die liberale Europaparlamentarierin Silvana Koch-Mehrin stellt in ihrem Buch "Schwestern. Streitschrift für einen neuen Feminismus" fest: "Ein Retro-Trend in den Geschlechterverhältnissen ist seit geraumer Zeit auf dem Vormarsch, den ich bis vor kurzem noch für undenkbar gehalten hätte." Und die Literaturkriterin Iris Radisch fragt in "Die Schule der Frauen. Wie wir die Familie neu erfinden": "Warum halten uns Väter, die ihre Kinder verlassen haben, Elogen auf die Überlebenskraft der Familie? Warum erklären uns Mütter, die ihre Tage in Fernsehstudios verbringen, plötzlich die Herstellung des Familiensegens zur allein selig machenden Frauensache?"
Keine der Autorinnen gibt vor, den einen gültigen Weg aus der kinderlosen Gesellschaft zu kennen. Und keine der Autorinnen maßt sich an, anderen Frauen vorzuschreiben, wie sie leben sollen. Sie verteidigen einfach das Recht, ein selbstbestimmtes Leben zu führen, ob als Frau oder Mann, als Lesbe, ob als Hausfrau, ob mit oder ohne Kind - Errungenschaften, hinter die sich eine aufgeklärte Gesellschaft nicht zurückbewegen sollte. "Es geht heute nicht mehr um rechtliche Freiheit, es geht um gelebte Freiheit", schreibt Koch-Mehrin.
In letzterer sehen alle drei Autorinnen erhebliche Defizite: Wenn berufstätige Mütter sich als Rabenmütter beschimpfen lassen müssen, hat Freiheit ihre Grenzen. Die Autorinnen eint, als Mütter im Beruf gestanden zu haben oder noch zu stehen, die Zerrissenheit zwischen beiden Bereichen zu kennen und davon glaubwürdig berichten zu können. Sie eint auch der Gedanke, diesem Dilemma nicht mit einem mütterlichen Berufsverbot entkommen zu können. Ihre Bücher sind Verteidigungsschriften für die berufstätige Mutter.
Im Interview erzählt Ursula von der Leyen von einer doppelten Diskriminierung, die nicht nur die Qualitäten als Mutter bezweifelt, sondern auch jene als berufstätige junge Ärztin: "Die meisten Oberärzte signalisierten von dem Moment an, wo klar war, dass ich ein Kind erwarte, dass ich damit für die Wissenschaft gestorben sei. Ich war für sie irgendwie ausrangiert." Damit wird ein wichtiger Punkt angesprochen, der in der Debatte um unsere kinderlose Gesellschaft oft vergessen wird: Die Forderung nach mehr Kindern ist nicht gleichbedeutend mit der Reaktion auf Kinder, wenn sie denn geboren sind. In einer Gesellschaft, die Kinder als Hindernis einer beruflichen Tätigkeit -auch Männer, die Elternzeit nehmen, sind davon betroffen - betrachtet, als Hindernis, der sonntäglichen Morgenruhe in einem Mehrfamilienhaus: Heißt eine solche Gesellschaft Kinder wirklich willkommen?
Maria von Welser lässt Biografien sprechen, um die Probleme zu skizzieren, vor denen Frauen und Männer stehen. Es kommen unbekannte berufstätige Mütter zu Wort, die darüber reden, wie schwierig es ist, den Vorsatz einer gleichen Aufgabenverteilung zwischen den Ehepartnern durchzuhalten, sobald das erste Kind geboren ist. Es kommen Politikerinnen zu Wort, die sich schon vor Jahrzehnten für Frauen stark gemacht haben.
Aber letztlich publiziert Maria von Welser Werbung für Ursula von der Leyen, die viel Raum hat, ihre Politik zu erläutern: Elterngeld und Ausbau der Kinderbetreuung geben die Koordinaten vor, um die sich die Diskussion auch in diesem Buch dreht. Von der Kinderfreundlichkeit der Kommunen als Standortfaktor ist ebenso die Rede wie vom Ende des Ehegattensplittings. Es ist ein Ratgeber für berufstätige Mütter mit dem Plädoyer, sich nicht unterkriegen zu lassen. Das ist der Verdienst des Buches.
Nicht ganz so politisch korrekt, obwohl in ihren Forderungen mit Welser auf einer Linie, rechnet Silvana Koch-Mehrin mit dem Rabenmutter-Image ab. Sie beschreibt aus Erfahrung, dass Männer die gleiche Fürsorge für Kinder aufbringen können, wenn man sie lässt, sie regt sich über Mütter auf, die das Stillen der Kinder zum Kult erheben. Man merkt, sie ist - zu Recht - richtig sauer auf die zu oft erlebte Unterstellung, keine gute Mutter sein zu können. Oft durchaus witzig polemisiert sie dagegen und gegen die "Retro-Apostel". Nach einer Weile langweilt die Lektüre jedoch, weil sie über Polemik nicht hinausgeht. Irgendwann versprechen die unzähligen "Eine Freundin erzählte mir, dass"-Satzanfänge keine Neuigkeiten mehr.
Das interessanteste Buch hat Iris Radisch geschrieben, da es einen ganz anderen Ansatz verfolgt. Er geht über Forderungen nach mehr Betreuungsplätzen hinaus, indem er die Kernfrage stellt: Wollen wir so leben, wie wir leben?
Sollen wir die Familie nach den Gesetzen der Ökonomie, also nach Effizienz, Schnelligkeit, Flexibilität durchtakten? "Wollen wir das Ein-Stunden-Familienleben, wenn wir voll arbeiten, oder wollen wir etwas Drittes?" "Die allseits bereite Dienstleistungsfamilie funktioniert irgendwann Tag und Nacht zum Nutzen der Leistungsgesellschaft", resümiert Radisch. Von dieser Logik des Marktes möchte sie die Familie befreien. Mehr Betreuungsmöglichkeiten dienen nur den Arbeitgebern, die ihre Mitarbeiter damit zu noch größerer Effizienz anheizen können, so die Autorin. Man darf sie nicht falsch verstehen, ihr Plädyoer für die Familie ist nicht das von Frank Schirrmacher. Ihre Familie ist eine, in der auch Väter eine aktive Rolle spielen und das nicht nur als Ernährer, denn das sind selbstverständlich auch die Frauen.
Radisch ruft die vom Taxi ins Flugzeug, von dort zum Meeting, von dort wieder zum Taxi hetzenden Menschen zur Ruhe. Sie stellt die Sinnfrage, forderte eine andere Orientierung als an den Werten der Ökonomie. Ist es gut so zu leben, wie wir heute in einer technisch überformten, von natürlichen Lebensprozessen abgekoppelten Welt leben? Selbst Geburten werden heute per Kaiserschnitt in die Terminkalender gepresst. Aber: Man kann den Fortschritt nicht aufhalten. Vor allem kann man ihn nicht nur teilweise aufhalten wollen, nämlich innerhalb der Familie und dort so tun, als bliebe die Zeit stehen.
Radisch fordert deshalb eine Familienzeit: "geschenkte Zeit, die in keiner Kalkulation wieder nutzbringend zu Buche schlägt". "Egal auf welchen Namen die Familienzeit hört: Lebensarbeitszeitkonten, gleitende Arbeitszeit, Job-Sharing, Zweidrittelstelle für beide Eltern, alles selbstverständlich bei vollem Rentenausgleich und voller Anerkennung der Sozialversicherungen." Davon profitiere nur die Familie. "Ihre Währung ist nichts als der gelebte Augenblick."
Wir müssen unser Land für die Frauen verändern.
C. Bertelsmann, München 2007; 224 S., 16 ¤
Silvana Koch-Mehrin: Schwestern. Streitschrift für einen neuen Feminismus.
Econ Verlag, Berlin 2007; 219 S., 18 ¤
Die Schule der Frauen.
Wie wir die Familie neu erfinden.
Deutsche Verlags- Anstalt, München 2007;
187 S., 14,95 ¤