MedienMAcht
Der Journalist Gerhard Hofmann über die letzten Tage von Rot-Grün
Gut zwei Jahre nach ihrem Ende liegt eine minutiöse Schilderung der letzten Tage der rot-grünen Bundesregierung vor. Die Lektüre dieser tagebuchartigen Aufzeichnungen eines Journalisten ist stellenweise fesselnd, denn viele der damals dramatisch erscheinenden Szenen eines einzigartigen und sonderbaren Wahlkampfs sind vergessen. Andererseits sind die Notizen phasenweise langatmig und aus heutiger Sicht eigentlich nur für Beteiligte und deren Beobachter von Belang.
Am 22. Mai 2005 verloren die Sozialdemokraten die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen. Um 18.25 Uhr erklärte der damalige SPD-Vorsitzende Franz Müntefering: "Der Bundeskanzler und ich wollen (...) vorschlagen, dass wir (...) für den Herbst dieses Jahres Bundestagswahlen anstreben." Damit begann ein sechs Monate dauerndes Spektakel, das am 22. November mit der Wahl der CDU-Kandidatin Angela Merkel zur Bundeskanzlerin endete.
Über diese Zeitspanne hat Gerhard Hofmann, Chefkorrespondent von RTL und n-tv in Berlin, 460 Seiten geschrieben. Der Verlag verspricht in seiner Werbung "ein politisches Tagebuch mit Thrillerformat" und lässt die These verbreiten: "Zum ersten Mal in der deutschen Geschichte haben Journalisten eine Regierung weggeschrieben oder zumindest einen Kanzler." Das Buch sei "eine schonungslos-kritische Bestandsaufnahme der so genannten vierten Gewalt".
Schon an dem Schimpfwort "Journaille", das etwa die Bedeutung von "Medien-Mafia" hat, ist ablesbar, was Hofmann anprangert. Er folgt Gerhard Schröder, der das Gefühl hatte, sich gegen "Meinungsmacht und Medienmanipulation" behaupten zu müssen. Hofmann macht sich diese Wortwahl allerdings nicht zu eigen, weil er weiß, dass nicht unlautere Machenschaften die rot-grüne Koalition zu Fall gebracht haben, sondern dass - trotz nachweislicher anhaltender Erfolge dieses Bündnisses - häufig das Chaos regierte und dass ein egozentrischer Kanzler mit einem hinter ihm her schlingernden Partei- und Fraktionschef Müntefering die Neuwahl durchpaukten.
Aber Hofmann wittert doch eine Medienverschwörung gegen Rot-Grün. Tatsächlich war unübersehbar und unüberhörbar, wie sich im Jahr 2005 eine Reihe tonangebender Journalisten auf Merkels Seite schlug. Und zwar nicht nur "Bild", "Die Welt" und "Focus" mit ihren Kampagnen, sondern auch Spitzenkommentatoren. Hofmann nennt Namen: Sigmund Gottlieb (ARD), Peter Hahne (ZDF), Stefan Aust (Spiegel), Hans-Ulrich Jörges (Stern) und vermutet ein "Kartell der Meinungsmacher und -forscher", zu dem sich auch Frank Schirrmacher (FAZ), Bernd Ulrich (Die Zeit) und Gabor Steingart (Spiegel) gesellten. Der schlimmste aller "Merkel-Jubler" sei Jörges gewesen, den Hofmann mit giftigen Vokabeln überschüttet.
Über drei Viertel seines Buchs bleibt Hofmann schlüssige und überzeugende Belege schuldig. Erst im Schlusskapitel lässt er sichtbar werden, was er mit "Medienverschwörung" meint, wenn er seine Berufskollegen ("Fake statt Fakt") niedermäht: "Sie schrieben und sendeten in die gleiche Richtung." Es sei eine "Allianz" von Medienmachern und Journalisten gewesen, die aus verschiedenen Beweggründen Schwarz-Gelb herbeisehnten. Seine eigene Vorliebe für Rot-Grün verhehlt Hofmann nicht.
Obwohl es zäh zu lesen ist, enthält dieses Buch eine Fülle tagesaktueller Fakten und Eindrücke einer politisch spannenden Phase. Eines Tages wird dieser Zusammenschnitt von hohem Wert sein für Zeithistoriker und für Politologen, wenn sie die Geschehnisse jener Monate unter einem weiteren Blickwinkel auswerten und be- schreiben. Doch sie werden wegen der offen eingestandenen Subjektivität des Autors und der zahlreichen Ungenauigkeiten - abgesehen von massenhaften Druck-, Rechtschreib- und Grammatikfehlern - sorgsam mit anderen Quellen und Dokumenten vergleichen und mit Distanz zitieren müssen.
Die Verschwörung der Journaille zu Berlin. Ein Politisches Tagebuch samt Schlussfolgerungen.
Bouvier Verlag, Bonn 2007; 470 S., 29 ¤