Geisteswissenschaften
Plädoyer für eine unterschätzte Zunft
Passend zum "Jahr der Geisteswissenschaften" haben sich 37 Wissenschaftler und Fachjournalisten gefunden, um die Lage der Zunft nicht nur zu analysieren, sondern auch zu verbessern - ein ehrgeiziges Ziel.
Wer ein Buch "Das Ende der Bescheidenheit" betitelt, darf auch sonst nicht zimperlich sein - und so steht schon in der Einleitung, die "Geistes- und Kulturwissenschaftler [hätten] sich schon seit längerem in ein akademisches und gesellschaftliches Abseits manövriert". Aus dieser Situation gelte es, einen Ausweg zu finden. Dazu wollen die Texte der Autoren und Autorinnen beitragen, indem sie "frische Ideen" beisteuern. Deren akutes Fehlen bemängeln die Herausgeber Ludger Heidbrink und Harald Welzer vom Kulturwissenschaftlichen Institut Essen. Derzeit sei die Lage so: "Wer nichts zu sagen hat, dem hört halt keiner mehr zu."
Gesucht wird nach nichts geringerem als dem "dritten Weg", jenseits von Ignoranz, bloßem Pochen auf alte Privilegien und Anbiederungen wie sie in Projekttiteln wie "Hightech und Hegel" zum Ausdruck komme. In drei nahezu gleich großen Teilen - Bestandsaufnahmen, Programmatiken, und Perspektiven überschrieben - nähern sich die Autoren dem angestrebten Ziel. Deren Auswahl ist insofern bemerkenswert, als neben zahlreichen Wissenschaftlern und Journalisten auch Wirtschaftsberater zu Wort kommen. Grundlage für den Band sind auf einer Tagung in Essen gehaltene Vorträge.
Wie bei einem Sammelband nicht anders zu erwarten, steht und fällt die Qualität der Beiträge mit den Fähigkeiten der einzelnen Autoren. Hier hat der Band Einiges zu bieten - wie schon die im Anhang aufgeführten Kurzbiografien der Autoren erkennen lassen. An prominenten Namen seien genannt: Lars Heitmüller, Michael Jeismann, Walter Reese-Schäfer, Richard Rottenburg, Thomas E. Schmidt, Elisabeth von Thadden und Barbara Vinken.
Die Autoren machen zwei Ursachenkomplexe für die Misere der Geistes- und Kulturwissenschaften aus. Zum Einen würden diese von Wissenschaftspolitikern und anderen Verantwortlichen strukturell und finanziell benachteiligt. Auch würden an sie Bewertungsmaßstäbe herangetragen, die den Disziplinen nicht gerecht würden. Zum Andern aber sei sie auch hausgemacht: Man habe es lange nicht für nötig gehalten, die eigenen Stärken und Fähigkeiten außerhalb der eigenen Zunft bekannt zu machen. Und wenn es doch einmal jemand versuche, dann häufig in unverständlichem Fachjargon beziehungsweise zu Lasten des eigenen wissenschaftlichen Ansehens. Denn noch immer verzeihen es die Kollegen kaum, wenn sich einer der ihren im Feuilleton versuche.
Die Lösungsvorschläge nehmen auf beide Ebenen Bezug: Verantwortliche werden aufgefordert, notwendige Reformen einzuleiten und Gelder besser zu verteilen, sowie auf quantitative Kriterien zur Beurteilung geisteswissenschaftlicher Forschung zu verzichten. An die Forscher geht der Appell, sich unentbehrlicher zu machen, sich beispielsweise in die Diskussion um ethische und politische Folgen technologischer Neuerungen einzumischen.
Fast alle Beiträge sind für sich genommen anregend. Allerdings lässt das Interesse nach etwa der Hälfte des Bandes nach, weil sich die Analysen und Argumente wiederholen. Auch erschließt sich die Gliederung in die benannten Hauptteile nicht: In allen drei Teilen werden ähnliche Missstände benannt und Vorschläge geäußert, ohne dass Schwerpunkte, wie sie die äußere Aufmachung nahe legt, auszumachen wären.
Letztlich bleibt dreierlei haften: Eine klarere Struktur wäre den Autoren zu wünschen gewesen - so wären ihre Texte besser zur Geltung gekommen. Tatsächliche "Rezepte" zur Rettung der Geistes- und Kulturwissenschaften können auch die zahlreichen Autoren nicht geben. Aber: Immerhin können sich Interessierte einen Überblick über mögliche Auswege aus dem Dilemma verschaffen.
Ludger Heidbrink, Harald Welzer (Hg.): Das Ende der Bescheidenheit.
Verlag C.H. Beck, München 2007, 383 S., 11,90 ¤