ITALIEN
Eine Initiative will ein neues Wahlrecht durchsetzen
Der italienische Verfassungsrechtler Giovanni Guzzetta verabschiedete sich vergangene Woche zufrieden in die Ferien: Er fährt in der Gewissheit ans Meer, der italienischen Politik Hausaufgaben hinterlassen zu haben, an denen Regierung und Parlament schwer zu arbeiten haben werden. Der 41-jährige römische Professor ist Kopf einer Bürgerinitiative, die durchsetzen will, was die Politik seit langem verspricht: Ende Juli übergab er weit mehr als 500.000 Unterschriften für ein Referendum gegen das geltende Wahlrecht und für eine grundlegende Reform.
Das reicht dicke, um das Volksbegehren durchzusetzen, das nun im kommenden Jahr abgehalten werden soll. "Chi non firma non li ferma", lautete das Motto: Wer nicht unterschreibt, hält sie nicht auf, die Parlamentarier. Die Italiener heizen der Politik ein: Sie fordern ein Wahlrecht, das dem Land politische Stabilität bringen soll - Sehnsucht seit Jahrzehnten. 83 Prozent der Italiener befürworten ein neues Wahlgesetz.
Die Italiener haben ein Händchen für Kosenamen, die freundlich klingen und dabei messerscharf sind. "Porcellum" tauften Zeitungen das geltende Wahlrecht, das Ex-Premierminister Silvio Berlusconi eingeführt hatte, wenige Monate vor der Wahl im vergangenen Jahr. Porcellum steht für eine in Gesetzesform gegossene Schweinerei. Die rechtskonservative Regierung Berlusconi hatte an verschiedenen Stellschrauben gedreht. Das brachte ihr den Vorwurf ein, das Wahlrecht nur zum eigenen Nutzen geändert zu haben: Berlusconi habe es "für die eigenen Interessen maßgeschneidert", sagte etwa der linksdemokratische Parteichef Piero Fassino vor der Parlamentswahl im April 2006.
Berlusconis Mehrheit in beiden Kammern hatte etwa eine Siegprämie für dasjenige Parteienbündnis eingeführt, das die relative Mehrheit der Stimmen erringt - mit der Prämie wird daraus die absolute Mehrheit der Sitze in der Abgeordnetenkammer. Außerdem kehrte Italien mit Berlusconis Wahlgesetz zum reinen Verhältniswahlrecht zurück, das schon einmal per Volksentscheid abgeschafft worden war. Die Mitte-Links-Mehrheit im Parlament hatte eine sofortige Änderung des Wahlrechts versprochen. Seither diskutierte man in Rom die Vorzüge des spanischen und französischen Wahlrechts, dann schienen sich Streiter für ein Wahlgesetz nach deutschem Vorbild gefunden zu haben. Passiert ist seither nichts.
Es war schließlich Romano Prodi, der im vergangenen Jahr die Siegprämie nach Hause trug. Er regiert seither mit einer bunten Koalition aus neun Parteien und einer Reihe einzelner, unabhängiger Abgeordneter. Stabil ist auch seine Regierung nicht; einmal stolperte sie bereits über eine Abstimmung zur Außenpolitik. Das Wahlrecht sei mitverantwortlich dafür, sagt Guzzetta. So kommt die größte Einzelpartei in Prodis Bündnis, die linksdemokratische, auf nur 17 Prozent der Stimmen, die kleinste auf rund zwei Prozent. Die reichen einer Partei für den Einzug ins Parlament, wenn sie in einer Listenverbindung antritt. So vereinigten die Grünen 2,05 Prozent der landesweiten Stimmen für die Abgeordnetenkammer auf sich, die Italienischen Kommunisten 2,31 Prozent, die Partei "Italien der Werte" 2,29 Prozent. Fast jede Gruppierung schafft es ins Parlament, wenn sie sich nur ausreichend verbündet.
Die Vorschläge der Referendumsbewegung sehen vor, die Eintrittshürden mehr als zu verdoppeln. Vier Prozent sollen es für den Einzug in die Abgeordnetenkammer sein, acht Prozent gar für den Senat. Ein Gewinnerzuschlag soll nicht mehr an das stärkere Bündnis, sondern an die stärkste Partei gehen. Im Kern würde das eine Stärkung für die großen Fraktionen bedeuten - und das wahrscheinliche Aus für die Splitterparteien. Die Vorschläge finden einflussreiche Anhänger, unabhängig vom Parteibuch: Der Parteichef der geläuterten ex-faschistischen Alleanza Nazionale, Gianfranco Fini, unterstützt das Volksbegehren.
"Italien droht unterzugehen wie die Weimarer Republik", befürchtet der ehemalige Außenminister. Walter Veltroni, Bürgermeister von Rom, der sich um den Vorsitz der im Herbst zu gründenden linksliberalen Demokratischen Partei bewirbt, wirbt für das Referendum. Und unterschrieben hat auch Luca Cordero di Montezemolo, Präsident des einflussreichen Arbeitgeberverbands Confindustria.
Linksdemokrat Fassino ist kein Freund des Referendums. Geht es nach ihm, soll das Parlament der erfolgreichen Initiative Guzzettas zuvorkommen - ohne Eile allerdings. "Nach den Ferien müssen wir versuchen, ein neues Wahlrecht auf die Beine zu stellen", sagte er. Staatspräsident Giorgio Napolitano kleidete seine Mahnung, endlich für ein Stabilität versprechendes Wahlgesetz zu sorgen, vornehm in eine Feststellung: Allererste Fortschritte gebe es ja bereits. Auch Parlamentspräsident Franco Marini sagte, es wäre richtig, wenn das Parlament selbst das Wahlrecht ändere. Sein Wunsch verhallte bislang ungehört. Die mutmaßlichen Opfer eines neuen Wahlrechts, die Splitterparteien, sitzen an den Hebeln der Macht. Und stemmen sich mit aller Kraft gegen ihre Entmachtung.