INTERNATIONALER STRAFGERICHTSHOF
Die weltweite Ahndung von Menschenrechtsverletzungen hat Fortschritte gemacht. Doch der Weg war lang.
Seit einem Jahr sitzt der ehemalige Rebellenführer aus dem Kongo, Thomas Lubanga, im niederländischen Scheveningen in Haft. Demnächst beginnt vor dem Internationalen Strafgerichtshof (IStGh) in Den Haag das Hauptverfahren gegen ihn. Lubanga ist der erste Kriegsverbrecher, der vor dem neuen Gerichtshof angeklagt wird. Ebenfalls in Den Haag, allerdings vor dem Sondergericht für Sierra Leone, muss sich derzeit Charles Taylor verantworten. Der Ex-Präsident von Liberia ist angeklagt, Rebellengruppen im Bürgerkrieg des Nachbarlandes Sierra Leone mit Geld und Waffen versorgt zu haben. Damit soll er mitverantwortlich sein für den Einsatz von Kindersoldaten und Massakern an der Zivilbevölkerung. Beide Verfahren zeigen, dass die internationale Verfolgung von Menschenrechtsverletzungen im vergangenen Jahrzehnt einen bedeutenden Schritt nach vorne getan hat. Doch der Weg bis hierher war lang.
Die Idee einer internationalen Strafverfolgung von (damals noch ausschließlich) Kriegsverbrechern gibt es seit dem Ende des 19. Jahrhunderts, doch erst mit den Kriegsverbrechertribunalen von Nürnberg und Tokio nach dem Zweiten Weltkrieg schien eine Realisierung in greifbarere Nähe zu rücken. Der Kalte Krieg verhinderte zunächst entsprechende Bemühungen. Nach dem Zusammenbruch des Ostblocks intensivierte die Vereinten Nationen (UN) ihre diesbezüglichen Aktivitäten wieder - mit Erfolg. 1998 wurde als Grundlage das Römische Statut erarbeitet, 2002 folgte die Gründung des IStGh. Erstmals können hier Personen zur Verantwortung gezogen werden -nicht mehr nur Staaten. Verfolgt werden können nun Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen - sofern sie nach dem 1. Juli 2002 begangen wurden, und die nationalen Regierungen, in denen die Verbrechen verübt wurden, "nicht willens oder nicht in der Lage" (so der Wortlaut des Statuts) sind, ein Verbrechen ernsthaft zu verfolgen. Betroffen sind allerdings nur die Staaten, die das Römische Statut unterzeichnet haben. Das sind bislang 104 Länder - China, Russland, Israel und die USA halten sich noch immer fern. Die USA befürchten vor allem, dass Bürger ihres Landes an den Gerichtshof ausgeliefert werden könnten. Um das zu verhindern, haben sie zahlreiche entsprechende Abkommen mit anderen Ländern geschlossen. Weitere Institutionen der Internationen Strafverfolgung sind die Kriegsverbrechertribunale für Ex-Jugoslawien und Ruanda, die zeitlich und räumlich begrenzt agieren und wichtige Erfahrungen für den internationalen Strafgerichtshof lieferten. Zudem wurden so genannte internationalisierte Gerichte, an denen nationale und internationale Richter gemeinsam urteilen, für Osttimor, Kambodscha und Sierra Leone eingerichtet.
Aber auch ein Land, das weder Tatort noch Herkunftsland des Verdächtigen oder der Opfer ist, kann schwere Menschenrechtsverletzungen verfolgen. Dahinter steht die Idee des Weltrechtsprinzips, das sich im IStGh ebenfalls abbildet: Bestimmte Verbrechen gegen die Menschlichkeit können unabhängig von Tatort und Staatsangehörigkeit des Täters oder der Opfer weltweit geahndet werden. Ein Beispiel dafür ist der Fall Pinochet. Wegen zahlreicher Folter-Vorwürfe hatte die spanische Justiz ein Verfahren gegen den chilenischen Ex-General eingeleitet und von Großbritannien, wo der Diktator sich ärztlich behandeln ließ, die Auslieferung verlangt. Letztendlich durfte Pinochet zwar aufgrund eines zweifelhaften medizinischen Gutachtens, das ihm Verhandlungsunfähigkeit bescheinigte, nach Chile ausreisen, wo er schließlich im Dezember 2006 starb. Doch selbst wenn Pinochet nicht verurteilt wurde, macht der Fall deutlich, dass auch ein ehemaliger Staatschef bei Foltervorwürfen nicht auf Immunität pochen kann. Spanien hatte ein Exempel statuiert: Mit den richtigen Staatsanwälten können mutmaßliche Täter schwerer Menschenrechtsverletzungen in jedem Land der Welt angeklagt werden.
Als ein Instrument der Friedenssicherung hat die internationale Strafverfolgung von schweren Menschenrechtsverletzungen eine hohe Bedeutung. Allerdings ist der Internationale Strafgerichtshof noch nicht so weit, dass er als eine universelle und von politischen Interessen unbeeinflusste Einrichtung angesehen wird. Die konsequente Verfolgung als Prinzip ist nicht garantiert und es fehlt die klassische Gewaltenteilung. Um den "Kampf gegen Straflosigkeit" zu globaler Akzeptanz zu führen, muss die internationale Strafjustiz in Zukunft also Garantien gegen das "Recht des Stärkeren" schaffen. Eine große Hilfe wäre auch, wenn mächtige Staaten, wie die USA, Russland und China das Römische Statut unterzeichnen würden.
Die Autorin arbeitet als freie Journalistin in Esslingen.