INTERVIEW
Der Rechtsphilosoph Kay Waechter über das Spannungsverhältnis von Freiheit und Sicherheit
Was bedeutet der Kampf gegen den internationalen Terrorismus für den demokratischen Rechtsstaat und die Zivilgesellschaft in Deutschland?
Eine Zivilgesellschaft kann grundsätzlich -auch unter dem Eindruck von Anschlägen -eine Stärke gegenüber terroristischen Bedrohungen entwickeln. Diese Stärke kann den Staat entlasten, wenn sie darin besteht, Terroristen einerseits sozial auszugrenzen und andererseits auf erfolgreiche Anschläge gefasst zu reagieren. Demokratie und Rechtsstaat sind zur Abwehr des Terrorismus ebenso gut geeignet wie zum Kriegführen - was die Vergangenheit gezeigt hat. Der Staat darf sich aber nicht zu Überreaktionen hinreißen lassen.
In welchem Verhältnis stehen innere Sicherheit und Menschenrechte?
Mehr innere Sicherheit begünstigt die Menschenrechte derjenigen Menschen, die dadurch vor Straftaten geschützt werden und verkürzt die Menschenrechte der Personen, die Straftaten begehen. So weit, so einfach. Innere Sicherheit wird aber auch erzeugt, indem Maßnahmen gegenüber jedermann ergriffen werden, wie zum Beispiel bei der Videoüberwachung im öffentlichen Raum. Das führt zu Rechtseinbußen auch bei rechtstreuen Bürgern. Natürlich ist angesichts von Gefahren jeder zur Solidarität verpflichtet. Es muss für solche Solidarpflichten aber eine Grenze geben. Diese ist nach Meinung des Bundesverfassungsgerichts überschritten, wenn der Staat fordert, dass Unbeteiligte ihr Leben geben, um eine größere Zahl anderer Unbeteiligter zu retten - wie bei der Entscheidung zum Luftsicherheitsgesetz, das den möglichen Abschuss entführter Maschinen regeln sollte.
Wo hat es vor allem Verschiebungen zu mehr Law and Order gegeben?
Der Datenschutz wurde in den vergangenen Jahren reduziert, die Überwachung von Telefon und Internet ist stark ausgeweitet worden. Besonders in öffentlichen Räumen und auch beim Geldverkehr findet deutlich mehr Überwachung statt als früher.
Gäbe es nach einem Anschlag in Deutschland eine neue Runde noch schärferer Gesetze?
Da die deutsche Gesellschaft an terroristische Bedrohungen nicht gewöhnt ist, ist es wahrscheinlich, dass sie erst einmal überreagiert und damit die Politik zum Handeln zwingt, auch wenn dies sachlich nicht erforderlich ist. Der Erfolg des Anschlages scheint ja zu zeigen, dass die Vorkehrungen nicht ausgereicht haben. Die Ankündigung langfristiger Politikänderungen erscheint in der öffentlichen Meinung als Reaktion auf aktuelle Bedrohungen wenig überzeugend. Einfacher ist es zu sagen, die Gesetze hätten nicht ausgereicht. Diese Einschätzung ist kaum widerlegbar und im Regelfall schafft eine Gesetzesänderung auch mehr Publizität für die Politik als eine Einflussnahme auf die Verwaltung. Manchmal entstehen dabei symbolische Gesetze, die in der Praxis nicht angewandt werden.
Haben die Antiterrorgesetze in Deutschland das zivilgesellschaftliche Klima beeinflusst?
Einerseits hat heute in der deutschen Zivilgesellschaft wohl niemand echte Angst vor dem Staat. Den Menschen sind staatliche Eingriffsbefugnisse häufig egal, solange es einen nicht selbst trifft. Betroffen sind die Bürger derzeit vor allem im Datenschutz; aber der scheint ihnen gleichgültig zu sein. Andererseits hat niemand mehr das Vertrauen, dass für den Staat das Recht die unübersteigbare Grenze ist. Maßstab scheint häufig eher die Effektivität als das Recht zu sein.
Wie hat sich das Werteverständnis innerhalb der Politik verändert?
Die Bundesrepublik Deutschland hat sich lange Zeit als ein staatlicher "Gutmensch" und ein vorbildliches Land wahrgenommen. Die Grundwerte unserer Verfassung wurden nicht ernsthaften Fragen ausgesetzt. Leider erzwingt die terroristische Bedrohung jetzt eine solche Infragestellung. Beispiel: Luftsicherheitsgesetz. Sofort zeigt sich, dass in Wahrheit der Konsens über die Höchstwerte höchst brüchig ist, sobald es um konkrete Fragen geht. Vielleicht wäre das ein Wandel im Verfassungsverständnis: Eine größere Nüchternheit; weniger absolute Überzeugungen. Das klingt gut, aber Vorsicht: Die Staatsräson hat sich für ihre Grausamkeiten immer auf Nüchternheit berufen, die lange danach dazugekommenen Menschenrechte auf das Pathos von Würde, Freiheit und Gleichheit.
Sind Würde und Leben tatsächlich Gegenpole?
Das Grundgesetz ist davon ausgegangen, dass die Würde Vorrang vor dem Leben hat, obwohl ohne Leben keine Würde möglich ist. Mir scheint, auch hier zeigt sich eine Verschiebung. Ganz überzeugt ist niemand mehr, dass man ein ideelles Gut wie die Würde höher gewichten soll als das materielle Leben.
Diese Entwicklung spiegelt wohl die Profanisierung und Säkularisierung in Deutschland wieder. Folgen kann dieser Vorgang nicht nur im Sicherheitsrecht haben, sondern etwa auch bei der embryonenverbrauchenden Forschung.
Was wird die Zukunft im Spannungsverhältnis Sicherheit und Menschenrecht bringen?
Es werden künftig noch zusätzliche Gewichte auf die Waagschale der Sicherheit gelegt werden. Die geschilderten Entwicklungen werden sich noch verstärken. Wovor ich ein wenig Sorge habe: Die Zivilgesellschaft ruft wieder nach der starken Hand.
Das Gespräch führte Tobias Asmuth
Er arbeitet als freier Journalist in Berlin.