Wirtschaft
Wie Konzerne versuchen, mit einem moralisch korrekten Image ihrer Produkte auf der Erfolgsspur zu bleiben
Manchmal lässt sich die Frage nach den Menschenrechten durch einen Blick in den Kleiderschrank oder aufs eigene Konto beantworten. Woher kommen die T-Shirts und Hosen dort? Und wie ist das Geld im Spardepot angelegt, welche Aktien und Fonds sollen den Wert des Depots mehren?
Zuletzt erwischte es die Modemarke Esprit: Das Magazin "Stern" berichtete im Juni nicht nur, unter welchen Bedingungen der Konzern Kinder 14 Stunden am Tag Sommertops nähen und verzieren lasse, sondern auch, wie die indischen Jungen offenbar von Menschenhändlern in die Slums von Neu-Delhi gebracht würden. Dort müssten sie in Hinterhof-Klitschen jeweils 200 winzige Perlen auf Baumwollstretch nähen, damit diese später das Dekolleté westeuropäischer Käuferinnen schmückten - für 25,95 Euro Ladenpreis.
Problematische Zustände für die Beschäftigten deckten Menschenrechts-Aktivisten nach eigenen Angaben in der Vergangenheit auch bei Zulieferern für den Otto-Konzern, Tchibo, Puma, Wal-Mart oder Adidas auf. Menschenunwürdige Bedingungen für Fabrikarbeiterinnen oder Malocher auf Plantagen lassen sich immer wieder finden, nicht nur bei den Produkten von Billiganbietern und Discount-Supermärkten. Auch Luxushandtaschen oder Seidenkleider können zum Hungerlohn fabriziert werden. Selbst Edelstein-Händler wie DeBeers nahmen jahrelang billigend in Kauf, dass "Blutdiamanten" für gut gefüllte Kriegskassen in manchem Bürgerkrieg sorgten. Erst nachdem ein Boykott der betuchten Klientel zur ernsten Gefahr wurde, lenkte die Branche ein und verlangt nun von ihren Lieferanten bei dem Abbau der Klunker zumindest halbwegs menschenwürdige Umstände.
Obwohl die Globalisierung es schwer macht zu überblicken, wer wo unter welchen Bedingungen näht, schmirgelt oder erntet, sind gerade durch die weltweite Verflechtung die Chancen gewachsen, dass jede und jeder als Verbraucher Druck ausüben kann. Konzerne fürchten nicht nur Umsatzschwund bei zwiespältigen Produkten, sondern noch schlimmer, dass ihr Image leidet, sobald ein Fall bekannt wird, der menschenrechtsbewusste Verbraucher schreckt. Und das Internet befördert schnell Nachrichten um den Erdball, über Fabrikarbeiter, die Giften ausgesetzt sind, oder Arbeiterinnen, die trotz Schwangerschaft doppelte Schichten ohne Pause leisten müssen.
Dies erleichtert Organisationen wie Oxfam oder Human Rights Watch die Arbeit. Jede Internet-Suche mit Google nach dem Sportartikelhersteller "Nike" auf den englischsprachigen Seiten etwa bringt immer noch relativ prominent "Boycott Nike"-Netzseiten zum Vorschein -- auch wenn der Konzern nach jahrelangen Kampagnen gegen seine Produktionsbedingungen nun der Konkurrenz wohl bei Sozialstandards und Mitarbeiterschutz ein wenig voraus ist.
Die Macht des Einkaufswagens ist groß, wenn es darum geht, sich für die Einhaltung von Menschenrechten, für angemessene Arbeitszeiten, den Schutz der Gesundheit oder das Recht auf eine Mitgliedschaft in Gewerkschaften einzusetzen. Nimmt man die Macht des Bankdepots hinzu, verdoppeln sich die Möglichkeiten. Die meisten internationalen Textilhändler oder Nahrungsmittelkonzerne sind an der Börse notiert. Deshalb ist für ihren wirtschaftlichen Erfolg wichtig, dass nichts am Image kratzt und große Investoren nicht abspringen. Die riesigen US-Pensionsfonds oder finanzstarke angelsächsische Privatuniversitäten setzen als Kapitalgeber verstärkt darauf, ihr Geld nur in ethisch unbedenkliche Firmen fließen zu lassen. Solche Großinvestoren können sogar Druck auf Regierungen ausüben - etwa die Regierung des Sudan wegen des Mordens in der Region Darfur.
Die Gruppe der bewussten Verbraucher wächst. Deshalb boomt die Ökobranche, deshalb wird aber auch fairer Handel wichtiger. Es sind nicht mehr nur die dogmatischen Weltverbesserer von früher, die auf die Herkunft von Badelatschen, Bananen oder BHs achten. Seit Filmstars wie Brad Pitt oder George Clooney immer mal wieder über Menschenrechte und Fairness plaudern, wollen auf einmal viele so sein. Diese Konsumenten verstehen sich nicht mehr als Opfer von Marktmechanismen, sondern als treibende Kraft.
Doch was kann der moralische Markt wirklich? Während sich die Staats- und Regierungschefs der G8-Staaten zuletzt wieder eher hilflos über gerechten Handel oder Klimaschutz ausgetauscht haben, scheint die Wirtschaft der Politik erneut um ein paar Schritte voraus. Die weltweit agierenden Konzerne stellen sich darauf ein - nicht weil auch sie vom Geist des Guten beseelt wären, sondern weil sich schlicht die Erkenntnis durchsetzt, dass sich mit vermeintlich guten Taten sehr gutes Geld verdienen lässt.
Das schnell wachsende Modelabel "American Apparel" nutzt dies geschickt. Prominent auf seiner Netzseite wirbt die kalifornische Firma mit einer überschaubaren und politisch korrekten Lieferkette.
Heute prägen nicht mehr Ökos oder stramme Globalisierungsgegner das Bild. Fairer Handel und die Frage nach den Menschenrechten in der Wirtschaft sind zum Maß der normalen Mittelschicht geworden. Deshalb hat die Bewegung nun die Macht der Zahl auf ihrer Seite. Deshalb wird auch das korrekte Image einer Marke zur wichtigsten Zutat für erfolgreiches Wirtschaften. Der Kulturwissenschaftler Nico Stehr sagt sogar in einem Interview bereits voraus: "Durch die Moralisierung der Märkte ergibt sich eine Veränderung der Machtbalance am Markt. Die Bedeutung der Konsumenten im Vergleich zu den Produzenten wird größer."
Doch hier offenbart sich bereits die Schwäche dieser moralischen Massenbewegung, bei der das gute Gewissen Teil des ganz persönlichen Hedonismus ist. Obwohl es durchs Internet und weltweite Aufmerksamkeit für die Globalisierung leichter geworden ist, den Weg des Diamantrings oder der Jeanshose zu verfolgen, ist der Eifer der Verbraucher oft recht schnell erschöpft. In einem Interview sagte der Diamantengroßhändler Ulrich Freiesleben jüngst, die Herkunft eines Edelsteins einigermaßen zu ergründen: "Das ist ähnlich schwierig, wie ein Schnitzel oder ein Steak zu kaufen." Allerdings lässt die Hartnäckigkeit der Käufer auch schnell nach, den Namen der Kuh zu erfahren, deren Rumpsteak auf dem Teller liegt, je weiter der letzte Skandal sich entfernt und in der Erinnerung verblasst.
Dann tritt zudem eine Wohlfühl-PR der Firmen an die Stelle von Aufklärung und für manche hedonistische Weltverbesserer ist das Thema für den Moment wieder abgehakt. Werbefirmen verschafften so den Bananen der Marke "Chiquita" bei aufgeschlossenen aber informationsmüden Deutschen wieder Ansehen, indem sie gefällige "Informations"-Häppchen verbreiteten. Wie der "Spiegel" berichtete, halfen hier auch Journalisten mit, die Geschichte des Konzerns "Vom Ausbeuter zum Vorbild" umzuschreiben.
Große PR-Firmen helfen mit teuren Kampagnen beim "Greenwashing" und "Bluewashing": Beim "Grünwaschen" stellen sie mit hochglänzenden und mundgerecht aufbereiteten "Informationsmaterialien" das Engagement eines Konzerns für Regenwald, Menschen und Tiere heraus und hoffen, dass der Rest, der weniger glänzt, dann nicht mehr wahrgenommen wird. Beim "Blauwaschen" geht es darum, mit Hilfe von Public Relations Verbesserungen bei Sozialstandards und Menschenrechten im eigenen Betrieb herauszustellen - auch wenn vieles noch im Argen liegt.
Doch ein schlechter Ruf lässt sich nicht so schnell wieder abschütteln. Das verschafft den oft wenig finanzstarken Nichtregierungsorganisationen und kritischen Journalisten die Möglichkeit dagegenzuhalten. Für sie beginnt dann allerdings das mühsame Abwägen. Sind die verbesserten Arbeitsbedingungen in der Sportschuhfabrik nun entscheidender als die immer noch schlechte Bezahlung und das Verbot von Gewerkschaften? In dieser Auseinandersetzung gibt es nicht nur Weiß oder Schwarz, sondern viele Nuancen dazwischen.
Das macht es aber auf Dauer schwierig, die Aufmerksamkeit des geneigten Konsum-Publikums zu halten, in dessen Köpfen sich Gut und Böse leichter festsetzen als der Hinweis, dass Sommerkleidchen von Bekleidungsriesen wie etwa Hennes & Mauritz womöglich immer noch unter Bedingungen entstehen, die keine Kundin auch nur einen Tag lang selbst erdulden will. Übertreiben die Profis der Gegen-PR aber, um die Aufmerksamkeit etwas länger abzubekommen, wandert irgendwann auch das geneigte moralische Publikum ab. Schließlich ist Glaubwürdigkeit das größte Kapital der Menschenrechtler.
Großinvestoren lassen sich zwar von Berichten der Aktivisten aufschrecken, für ihre Entscheidungen bedienen sie aber eher der Expertise von spezialisierten Rating-Agenturen, die versuchen, an den Menschenrechten und dem Umweltschutz orientiertes Verhalten großer Firmen zu messen. Analysten solcher Bewertungs-Agenturen allerdings haben eine schwere Aufgabe und nicht immer legen sie offen, wie sie vorgehen. Haben sie genügend Mitarbeiter, um selbst zu recherchieren oder sind sie allein auf Medienberichte angewiesen, wenn es um die Menschenrechts-Maßstäbe eines Konzerns geht? Wann senkt sich der Daumen über einem Unternehmen: Wenn es zum Beispiel in einer Kriegsregion des Kongo Geld verdient oder erst wenn klar ist, dass mit dieser Aktivität der Bevölkerung dort nicht geholfen ist? Ist Kinderarbeit in Pakistan ein K.O.-Kriterium für Investment oder ist auch entscheidend, ob das verdiente Geld für die Kinder vielleicht der einzige Weg ist, ihr Schulgeld aufzubringen?
Die Grauzone zwischen einem guten Gewissen und einer guten Tat kann manchmal größer sein als vielen Konsumenten bewusst ist. Französische Nonnen des Notre-Dame-Ordens prüfen die Aktien für die von ihnen verwalteten Fonds deshalb selbst. Nach ihrem Katalog mit 20 transparenten Kriterien ("Die Wirtschaft muss im Dienste des Menschen stehen und nicht umgekehrt") schneidet etwa der Kosmetikriese L'Oréal immer wieder sehr gut ab. Manchmal entsteht eine starke Welle im weltweiten Wirtschaftsgefüge auch in einem Entwicklungsland. Manchmal entfaltet sie wie im Fall Äthiopiens so viel Kraft, dass ein kommerzieller Riese mit bisher passablem Image am Ende einknickt und Besserung geloben muss. Im Streit der Kaffeebauern aus dem äthiopischen Hochland gegen die Kaffeehaus-Kette Starbucks lenkte die Firma ein und erkennt drei Kaffeesorten nun als äthiopische Warenzeichen an. Die Nichtregierungsorganisation Oxfam hatte Bauern und Vermarkter im ostafrikanischen Land unterstützt, weil Starbucks selbst Warenschutz für solchen Kaffee beantragt hatte. Nun können die Widerständler aus dem Hochland zunächst mit besseren Preisen für ihre handgepflückten Bohnen rechnen und mittelfristig mit besseren Lebensbedingungen. Bisher machte ihr Anteil am Kaffeehaus-Preis von etwa drei Euro nur rund ein Hundertstel aus - ganze drei Cent.
Die Autorin ist Korrespondentin des Nachrichtenmagazins "Focus" in Berlin. 2007 erschien ihr Buch "Das große Schrumpfen".