ÜBERBLICK
Was genau sind eigentlich Menschenrechte?
Recht bedarf der Macht - und Macht korrumpiert. Es ist ein winziger Zusammenhang; doch für jeden Menschen kann daraus eine gewaltige Zwickmühle entstehen. Einerseits braucht er zur Regelung seiner alltäglichen Belange das Recht, andererseits kann gerade dieses auch zum Ursprung größter Probleme werden. Wer nämlich schützt den Menschen, wenn sich die Macht des Rechts einmal verselbstständigen sollte? Es braucht eine Art Recht auf Recht - eine Gewährleistungsinstanz, die das Individuum vor staatlicher Willkür schützt.
In gewisser Weise sind Menschenrechte genau dies. Sie sind Schranken, die Bürger und Staat in geregelte Verhältnisse bringen. Weder können sie durch staatliche Verträge eingeschränkt noch durch sie verworfen werden. Menschenrechte sind vorstaatlich, ein jeder Mensch hat sie mit seiner Geburt. Staaten können sie allenfalls anerkennen.
Das geschah etwa im Jahr 1948, als die UN-Generalversammlung die dreißig Artikel der "Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte" verabschiedete. Zahlreiche Staaten haben diese in späteren Jahren zur Grundlage ihrer Verfassung gemacht. Das, was in der Aufklärung als notwendiges Naturrecht konzipiert worden ist, wurde so nachträglich positiviert. Genau dies ist auch der wesentliche Unterschied zwischen Grund- und Menschenrechten: Während letztere naturrechtliche Forderungen umschließen, sind Grundrechte institutionalisierte Menschenrechte - positives Recht gleichen Inhalts.
Geht es um die Substanz dieses Rechts, so hat sich eine - wenn auch umstrittene - Aufgliederung nach Generationen durchgesetzt. In der ersten Generation befinden sich demnach klassische bürgerliche Freiheitsrechte, wie sie sich aus der Philosophie der Aufklärung ergeben haben. Es sind Abwehrrechte, etwa die Garantie der Freiheit oder das Recht auf körperliche Unversehrtheit, die das Individuum stärken sollen. In der zweiten Generation finden sich mit dem Recht auf Nahrung oder auf Arbeit so genannte Teilhaberechte. Schon diese aber haben in der Vergangenheit stets Widerspruch produziert.
Als Forderungen aus den sozialen Umwälzungen des 19. Jahrhunderts erwachsen, haben Kritiker darauf verwiesen, dass eine rechtliche Zusicherung von Teilhabe eine immense Umverteilung an Ressourcen voraussetzt. Letztlich seien solche Rechte daher nicht realistisch geschweige denn realisierbar.
Noch umstrittener sind die Rechte der dritten Generation. Es sind so genannte Rechte von Gruppen und Völkern - etwa ein Recht auf Frieden oder eines auf saubere Umwelt. So berechtigt sie als Forderung sind: Streng genommen können diese kollektiven Rechtsforderungen keine Menschenrechte mehr sein. Für viele Kritiker sind sie Quell verhängnisvoller Unvereinbarkeiten: Vorstellbar wäre zumBeispiel, dass Gruppenrechte die individuellen Freiheitsrechte einschränkten, um die ökonomische Entwicklung eines Volkes zu fördern.
Problematisch ist bis heute aber auch etwas anders. Wenn Menschenrechte Rechte gegenüber dem Staat sind, welche Rechte haben dann Staatenlose? Diese Frage hat die zeitgenössische Philosophie immer wieder umgetrieben. Eine Beantwortung wäre heute dringender denn je. Mit dem Anti-Terror-Kkampf sind nämlich zunehmend rechtsfreie Zonen entstanden - aus Menschen mit Menschenrecht staatenlose Kombattanten geworden. So drohen die universellen und unteilbaren Menschenrechte längst nicht mehr nur in Guantánamo Bay auf Grund zu laufen.
Der Autor ist freier Journalist in Berlin.