FOLTEROPFER
Berliner Zentrum hilft Traumatisierten
Es ist ein friedliches Bild, das der Gartenbesucher abgibt. Unter hohen Bäumen sitzt ein älterer Herr mit blauem Hemd und grauer Flanellhose auf einer Parkbank und blättert in einem bunten Magazin in serbokroatischer Sprache. "Sehen Sie!", winkt er einen heran, "Kiwi, Bananen, Erdbeeren!" - "Vitamine!" Goran Krasnic (Name geändert) liest mit größtem Interesse Rezepte. Soweit sein Deutsch reicht, übersetzt er sie gerne und vergisst dabei nie das Wörtchen "gesund" zu erwähnen. Über eine Viertelstunde geht das so. Dann erhebt sich der ältere Herr mit den nicht mehr ganz brandneuen Kleidern und geht langsamen Schrittes davon. Er wirft noch einen kurzen Blick auf das Blumen- und Pflanzenmeer, bevor er auf den Hauseingang zusteuert. Es ist Zeit für seine Therapiestunde. Das Leben des Goran Krasnic verlief alles andere als friedlich: Zwölf Jahre lang leitete er eine Bäckerei im ehemaligen Jugoslawien, zunächst als Familienbetrieb, später als kleines Unternehmen mit acht Mitarbeitern. 1993 wurde der Traum von sicherer Existenz und solidem Einkommen über Nacht zerstört: Die serbischen Milizen, die in sein kleines Dorf einrückten, machten alles, was ihm gehört hatte, dem Erdboden gleich: die Bäckerei, sein Wohnhaus, sein ganzes Stück Land. "Alles kaputt", sagt Goran Krasnic, "nichts mehr da. Und wir mussten auch gehen. Sofort." Die Familie Krasnic kam nach Berlin.
Hier angekommen war an ein neues Leben nicht zu denken, jedenfalls nicht an eins, das den Namen verdient hätte. Elf Jahre lang traute er sich auch in Deutschland kaum auf die Straße. "Ich bin nicht spazieren gegangen, nicht einkaufen, gar nichts", erzählt der Kroate mit einem Blick, der deutlich macht, wie ungern er sich an diese düstere Zeit erinnert - und wie schwer es ihm noch heute fällt. Lange ging das so. Bis ihm endlich jemand riet, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen.
Nun sitzt er in genau jenem Garten, in dem er sie gefunden hat: im "Interkulturellen Heilgarten", der im Berliner Stadtteil Moabit an das Behandlungszentrum für Folteropfer angeschlossen ist. Goran Krasnic war einer der ersten, der sich hier ein eigenes Beet anlegte - mit Pflanzen, die er von zu Hause kannte und die ihm, wenn man es so pathetisch ausdrücken will, das Gefühl gaben, auch in Deutschland einen Acker bestellen und Wurzeln ausbilden zu können.
Mit dem "Interkulturellen Heilgarten" unterhält das Zentrum für Folteropfer ein bundesweit einmaliges therapeutisches Angebot für traumatisierte Flüchtlinge. Die zugrunde liegende Idee stammt aus Niedersachsen. Die "Internationalen Gärten" in Göttingen waren die ersten, in denen Menschen aus anderen Kulturen an einem gemeinsamen Ort damit begonnen, die Pflanzen aus ihrer Heimat anzubauen, zu züchten und zu ernten. Die Resonanz war enorm - und zwar aus einem Grund, der auch die Berliner Therapeuten überzeugte, das Konzept zu übernehmen: "Wenn Sie Migranten und Migrantinnen fragen, was ihnen in Deutschland am meisten fehlt, sagen sie ganz häufig spontan: Mein Garten!"
So erzählt es Elisabeth Hauschildt, die den Berliner Heilgarten leitet. Diese Erkenntnis wollte man sich therapeutisch zunutze machen. Vor drei Jahren begann die studierte Biologin und gelernte Erwachsenenbildnerin mit der Arbeit: Ein ungenutztes Stück Park auf dem Gelände des ehemaligen Krankenhauses Berlin-Moabit wurde in einen kreisrunden, fruchtbaren Garten verwandelt. Jeder, der es wollte, sollte hier anbauen können, was er wollte.
Dass es so einfach nicht ist, mussten die Heilgärtner schnell feststellen. Jeder, der in das Behandlungszentrum für Folteropfer kommt, hat Furchtbares erlebt. Die 500 Patienten, die jedes Jahr hier betreut werden, wurden geschlagen, gequält und vergewaltigt und sind in höchstem Maße traumatisiert. In aller Regel ist ihre Lage so ernst, dass sie sich auch das selbstständige Beackern eines Stück Landes erst einmal gar nicht zutrauen. "Die Rückkehr ins Leben", sagt Hauschildt, "findet in ganz, ganz kleinen Schritten statt."
Das Berliner Behandlungszentrum wurde 1992 mit Unterstützung des Deutschen Roten Kreuzes gegründet, um Opfern staatlicher Gewalt in Deutschland eine Anlaufstelle zu bieten. Ob aus dem Kosovo und dem Irak, aus Afghanistan, Sierra Leone, Sri Lanka, Togo und Tschetschenien - Patienten kommen seither so viele, dass es eine lange Warteliste gibt. Die Mitarbeiter des Zentrums behandeln Menschen therapeutisch und medizinisch: "Folter führt nicht nur zu psychischen, sondern häufig auch zu schweren körperlichen Schäden", erklärt Elisabeth Hauschildt. Sie leiden unter "posttraumatischen Belastungsstörungen", die sich ganz verschieden äußern können: etwa durch Depressionen, ständig wiederkehrende Albträume, Herzrasen, Schlafstörungen oder Magen-Darm-Probleme. Experten schätzen, dass mehr als jeder zehnte Flüchtling in Deutschland von ihnen betroffen ist. In Berlin werden besonders schwer traumatisierte Flüchtlinge in einer Tagesklinik intensiv betreut - mit Einzel- und Gruppentherapie, medizinischer Behandlung, Frühsport, Kunst- und Musiktherapie.
Und in dem Interkulturellen Heilgarten. Einmal wöchentlich treffen sich Gruppen von Patienten mit Elisabeth Hauschildt zur Gartenarbeit. Die Leute kommen mit Begeisterung - was wohl nicht zuletzt ganz einfach damit zu tun hat, dass Gartenarbeit etwas weltweit Verbindendes ist, das kaum jemand nicht von zuhause kennt: Die meisten Menschen, die fliehen, haben zuhause ein Stück Land beackert und Gemüse gezüchtet. Fast jeder kennt außerdem etwas, was er gerne wieder anbauen - und damit nicht selten auch endlich wieder essen würde. Die Arbeit soll aber noch mehr erreichen als das Wiedererlangen positiver Gefühle, die man zuhause im verloren gegangenen Garten einmal hatte. Häufig soll sie das genaue Gegenteil des Erinnerns bewirken - nämlich das Vergessen der Heimat, oder jedenfalls der schrecklichen Ereignisse dort. Gartenarbeit, sagt Hauschildt, "macht auch den Kopf frei zwischen anstrengenden Therapiesitzungen". Im besten Fall vermittelt sie den Flüchtlingen auch noch Selbstbewusstsein und einen Aufbauwillen, den sie häufig längst verloren haben. Und auf einer ganz handfesten Ebene geben die Produkte des Gartens denen, die ihn beackern, etwas in die Hand, das sie verschenken können.
Im Falle von Goran Krasnic ist das Konzept sichtlich aufgegangen: Nach elf Jahren ohne jeden Kontakt zur Außenwelt und mehreren Monaten in der Therapie blühte er im Garten regelrecht auf. Er buddelte und pflanzte mit immer größerer Leidenschaft. Und nach ein paar Monaten stellte er sich zum ersten Mal nicht mehr nur in den Garten, sondern auch in die Küche. Goran Krasnic begann wieder, Brötchen zu backen.
Die Autorin ist freie Journalistin in Berlin.