Stasi-Unterlagen
Die Zukunft der Behörde ist unklar
Von einer "bitteren Lektion" ist die Rede im achten Tätigkeitsbericht der Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes gewesen, der Anfang Juli als Unterrichtung der Bundesregierung ( 16/5800 ) vorgelegt wurde. Gemeint war damit die Entdeckung, dass mehr als die bisher bekannten ehemaligen Stasi-Mitarbeiter in der Behörde angestellt sind. Von "mangelnder Glaubwürdigkeit" der Institution war daraufhin die Rede.
Als bitterer dürfte Behördenchefin Marianne Birthler empfinden, was seither auf sie einprasselt. Mitte August hatte die Magdeburger Außenstelle der Stasi-Unterlagenbehörde ein anonym verfasstes Dokument veröffentlicht, in dem Angehörige einer Stasi-Spezialeinheit aufgefordert werden, gegenüber fahnenflüchtigen Grenzsoldaten und deren Angehörigen "rücksichtslos von der Schusswaffe Gebrauch zu machen".
Als "Aufsehen erregenden" und "bedeutsamen Fund" hatte Birthler dies gewertet -und musste sich nur wenig später korrigieren, als Forscher darauf hinwiesen, dass ein ähnliches Dokument bereits vor zehn Jahren veröffentlicht wurde. Das Papier war 1993 gefunden worden und wurde damals - wie vom Stasi-Unterlagengesetz vorgesehen - an die Berliner Staatsanwaltschaft übergeben. Einen weiteren Schießbefehl übergaben die Aktenverwalter 1996 an das Berliner Landgericht. In einer Pressemitteilung musste sich die Birthler-Behörde deshalb wenige Tage nach ihrer Erfolgsmeldung korrigieren: Man habe den Fund "zunächst fälschlicherweise für neu gehalten".
Inzwischen wurde ein ähnlicher Schießbefehl auch in Chemnitz gefunden. Wie zur Entschuldigung schiebt die Behörde in einem weiteren Statement hinterher: Der Inhalt des MfS-Auftrags zum Schusswaffeneinsatz an der DDR-Grenze sei von der breiten Öffentlichkeit "erst im Zusammenhang mit den jüngsten Medienveröffentlichungen wahrgenommen worden". Dass der Text schon früher in einer wissenschaftlichen Publikation veröffentlicht wurde, "ändert nichts an dieser Einordnung".
Das Hickhack rückt die Birthler-Behörde erneut in ein schlechtes Licht und bestätigt ihre Kritiker. Im Juli legte Kulturstaatsminister Bernd Neumann (CDU) einen Entwurf für ein Gedenkstättenkonzept der Bundesregierung vor. Danach soll die Stasi-Unterlagenbehörde "mittelfristig" aufgelöst, die Akten ins Bundesarchiv und die Landesarchive überführt werden. Die Bildungs- und Forschungsabteilungen der Behörde sollen an die Bundeszentrale für politische Bildung und die Stiftung Aufarbeitung der SED-Diktatur gehen. Die Unionspolitiker Arnold Vaatz und Reinhard Grindel würden die Behörde gern schon bis 2011 abwickeln.
Bei den Grünen und der SPD stoßen diese Vorschläge auf Kritik. Neumann wolle Birthler zur "Hausmeisterin der Aktenkeller" machen, bemängelt Katrin Göring-Eckardt (Bündnis 90/Die Grünen). Auch Wolfgang Thierse (SPD) setzt sich seit langem vehement für Birthler und ihre Behörde ein. In einem Beitrag für die "tageszeitung" schrieb er in der vergangenen Woche, die Aufgabe der Institution seien längst nicht erledigt. Eine Eingliederung der Stasi-Akten in Bundes- oder Landesarchive würde den Aktenzugang einschränken - daher müsse die Birthler-Behörde bis 2019 erhalten bleiben. Anderer Meinung sind DDR-Forscher wie Hubertus Knabe, Direktor der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen, und Klaus Schröder (Berliner Forschungsverbund SED-Staat). Die Einrichtung sei mit wissenschaftlicher Forschungsarbeit "überfordert", so Schröder. Die falsche Einordnung des Schießbefehls sei "symptomatisch. Das hätte nicht passieren dürfen." Auch Knabe übt Kritik: Statt sich für eine engagierte Aufarbeitung einzusetzen, habe sich Marianne Birthler auf "unglücklich geführte Abwehrgefechte verlegt".
Bei aller Kritik ist man sich aber in einem Punkt einig: Ungeachtet dessen, wer für die Aufarbeitung der SED-Diktatur zuständig ist, dürfe es dabei keinesfalls einen Schlussstrich geben. Dagegen, so der Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, Wolfgang Böhmer (CDU), spreche schon allein die Tatsache, "dass in der öffentlichen Meinung" zunehmend "eine Verharmlosung und Verniedlichung der DDR-Probleme" zu beobachten sei.