Bonn oder Berlin? Diese Gretchenfrage war zwar seit dem 20. Juni 1991 entschieden, als eine Mehrheit von 337 Abgeordneten nach zehnstündiger Debatte Berlin als künftigen Regierungssitz festlegte. Gut ein Jahr später unterzeichneten Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU), Berlins Regierender Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU) und Brandenburgs Ministerpräsident Manfred Stolpe (SPD) den Hauptstadtvertrag. Darin wird die Zusammenarbeit zwischen Bund, Berlin und Brandenburg bei der Umsetzung des Bundestagsbeschlusses geregelt.
Als "bedeutsamen Schritt auf dem Weg zur Vollendung der deutschen Einheit" hatte Bundeskanzler Helmut Kohl den Vertrag wiederholt bezeichnet. Dennoch hatten vier Abgeordnete beim Bundesverfassungsgericht dagegen geklagt. Erst am Vortag der Vertragsunterzeichnung wiesen die Richter die Klage ab.
Kern des Vertrages war die Zusammenarbeit bei der städtebaulichen Entwicklung Berlins: Die Verfassungsorgane und obersten Bundesbehörden mussten untergebracht, Wohnungen für Bundesbedienstete geschaffen und Standorte für Botschaften und Landesvertretungen bereitgestellt werden. Außerdem bedurfte die neue Hauptstadt einer neuen Infrastruktur. Die 23 Berliner Stadtbezirke kritisierten den Hauptstadtvertrag heftig. Denn bauplanungsrechtliche Kompetenzen, die ursprünglich in der Hand der Bezirke lagen, gingen damit an den Berliner Senat über.
Eberhard Diepgen allerdings lobte, dass die Verträge "Klarheit, Sicherheit und Vertrauen für den Hauptstadtumzug schaffen". Für die regionale Wirtschaft entstünden so zuverlässige Rahmenbedingungen; der Vertrag sei ein Signal für neue Arbeitsplätze, so der "Regierende" damals.
Mehr als die Hälfte der Bundesbeamten und -angestellten blieb auch nach dem offiziellen Regierungsumzug 1999 in Bonn. Im April dieses Jahres arbeiteten noch genau 8.813 am Rhein; nur drei weniger als in Berlin. Die Ministerien für Ernährung/Verbraucherschutz, Gesundheit, Umwelt, Verteidigung, Bildung/Forschung und wirtschaftliche Zusammenarbeit haben sogar ihren ersten Dienstsitz noch heute in Bonn.