Hinter dem Schreibtisch stapeln sich die Zeitungen. In 66 quadratischen Regalfächern liegen unterschiedlich hohe Stapel. Vom Boulevardblatt bis zur konservativen überregionalen Tageszeitung ist alles dabei. Schaut Doris Buhr-Engel nach links, sieht sie die Besucherarbeitsplätze, auf denen sich oft Ordner mit 30 oder 40 Jahre alten Zeitungsausschnitten türmen. Vor ihr aber steht der Computer. Mit dem arbeitet die 52-Jährige mittlerweile am häufigsten. Zeitungsausschnitte abheften ist in der Pressedokumentation des Deutschen Bundestages seit dem Umzug nach Berlin out. Das neue Archiv ist digital.
Rund 30 Mitarbeiter hat das Referat - angefangen bei den Lektoren, die frühmorgens eine Online-Pressemappe für die Abgeordneten zusammenstellen und die Artikel archivieren, bis hin zur Auskunft, in der Buhr-Engel arbeitet. Abgeordneten-Büros und Gremien können sich hier Artikel zu nahezu jedem erdenklichen Thema heraussuchen lassen. Seit 30 Jahren ist die Rheinländerin mit dem regional-typischen Sing-Sang in der fröhlichen Stimme dabei. Direkt nach ihrer Ausbildung zur Diplom-Bibliothekarin hatte Buhr-Engel sich auf eine Stelle im Parlamentsarchiv beworben. Ein Jahr später wechselte sie zur Dokumentation. "An den Bundestag hatte ich damals gar nicht gedacht, das war mir viel zu politisch", sagt sie heute und lacht.
In der Sommerpause ist es ruhig. Normalerweise klingeln aber ständig die Telefone, es kommen Anfragen per E-Mail und Fax dazu. "Mein Chef fährt demnächst nach Guatemala. Was ist denn da in letzter Zeit passiert?", fragte gerade erst ein Abgeordneten-Mitarbeiter an. Themen wie die Gesundheitsreform, die Waldschlösschenbrücke in Dresden oder der Fall Murat Kurnaz werden ständig nachgefragt. "Die Anfrager wissen oft gar nicht, wieviel Material wir haben. Da muss ich das Thema erstmal eingrenzen, sonst kriegen die 600 bis 800 Artikel", sagt Buhr-Engel.
23 Millionen Zeitungsausschnitte von 1949 bis 1999 sind in den Ordnern des so genannten Alt-Archivs abgeheftet, ordentlich sortiert nach Themen oder Abgeordneten-Namen. Hinzu kommen die 1.185.000 Artikel im Computer, nach Schlagworten abgespeichert und für jeden Mitarbeiter des Bundestages über das Intranet zugänglich. Und die Karikaturen, die ebenfalls nach Stichworten abgespeichert sind. "Neulich wollte ein Abgeordneter wissen, was er in einem Interview vor x Jahren gesagt hat. Wir hatten nur eine Stunde Zeit." Zu zweit hätten sie sich an die Arbeit gemacht und seien in einer externen Datenbank tatsächlich fündig geworden. Neben den 20 überregionalen und regionalen deutschen Zeitungen, die sie täglich auswerten, haben die Mitarbeiter über andere Computersysteme auch Zugriff auf weitere Publikationen. "Ziemlich schräg" habe sie vor sechs Jahren Anfragen zur Fernsehserie "Ally McBeal" gefunden. Ein Abgeordneter hatte im Dachrestaurant des Reichstages zu einer Fan-Party eingeladen - und viele Gäste mussten sich erst einmal informieren, was sie da gucken würden.
Der Umzug von Bonn nach Berlin war natürlich ein großer Einschnitt. Statt zehn bis zwölf verschiedene Archive in Kellern gibt es jetzt nur noch eines - im ersten Stock. Oder eben im Computer. "Wir sind schneller geworden", meint Buhr-Engel über die Vorteile. Dafür kämen die Abgeordneten nicht mehr persönlich vorbei, um sich ihre Pressemappe abzuholen, sagt sie ein wenig wehmütig. In Bonn hätten sie näher am Plenarsaal gesessen, heute ist der im Reichstag auf der gegenüberliegenden Spreeseite. Auch zu Journalisten habe sie kaum noch Kontakt. Die durften sich früher kostenlos Informationen bestellen. Doch die Zeitungsverlage hätten ihre Urheberrechtsverträge inzwischen zu stark eingeschränkt. An Bonner Zeiten erinnert sie ein kleiner Schutzengel, der an ihrer Schreibtischlampe baumelt. Den hat ihr ihre "bessere Hälfte", eine langjährige Kollegin, vor dem Umzug geschenkt. Er guckt jetzt mit ihr zusammen auf den Computer. Und auf das Telefon, das gerade wieder klingelt.