Appell zum Sparen
Toralf Staud und Nick Reimer setzen auf Eigeninitiative
Es war ein denkwürdiges Bild, mitten in einem in Deutschland sehr verregneten Sommerloch: Seit an Seit mit Umweltminister Sigmar Gabriel reiste Bundeskanzlerin Angela Merkel durch die schmelzende Gletscherlandschaft der Insel Grönland. Sie traf besorgte Forscher im Eismeer und Landwirte an Land, die es so vor einigen Jahren noch gar nicht gegeben hat: Kartoffel- und Rübenanbauern, die sich darauf freuen, dass man im einst ewig geglaubten Eis bald sogar Erdbeeren ernten kann. Am Ende richteten die Kanzlerin und ihr Minister einen eindringlichen Appell an die Weltgemeinschaft der Staaten: Wer den Klimawandel noch bekämpfen wolle, müsse effizient und vor allem bald handeln.
Die Notwendigkeit, schleunigst etwas zu tun, sehen auch die Autoren Toralf Staud und Nick Reimer - die allerdings weder Angela Merkel noch Sigmar Gabriel ein glorreiches Zeugnis im Kampf gegen den Klimawandel ausstellen wollen: "Auf EU-Ebene präsentiert sich Angela Merkel als Streiterin fürs Klima, zu Hause tut sie wenig", kommentieren die beiden Journalisten in ihrem Buch "Wir Klimaretter" nüchtern. Auch Deutschland sei von dem 1991 per einstimmigen Bundestagsbeschluss verfassten Ziel, den Kohlendioxidausstoß bis zum Jahr 2005 um 30 Prozent zu reduzieren, mit elf Prozent meilenweit entfernt. Und: Seit Amtsantritt der jüngsten Regierung stiegen die Emissionen sogar wieder. Dem Umweltminister, der sich in Grönland wie im Berliner Zoo gern mit Eis und Eisbären umgibt, attestieren die Verfasser: "Wirklich Druck zu machen für neue Strukturen in der Energieversorgung - den Mut dazu bringt Sigmar Gabriel nicht auf."
Dabei wäre der Wandel so schnell geschafft, wenn Politik, Wirtschaft und nicht zuletzt die 80 Millionen Nutzer von Heizungen und Verkehrsmitteln ihn nur wollten. Die Erkenntnis, wie verblüffend nahe liegend und machbar viele Ansätze zur Bekämpfung des Klimawandels sind, ist das größte Verdienst der Verfasser von "Wir Klimaretter - So ist die Wende noch zu schaffen."
Der "Tageszeitung"-Redakteur Nick Reimer, gelernter Energieverfahrenstechniker, und Toralf Staud, ehemals "Zeit"-Redakteur und nun freier Journalist, nehmen den Leser mit auf eine Reise durch Projekte, in denen vorbildhaft und ganz einfach energietechnisch viel bewegt wird - und von denen der Laie häufig gar nichts weiß. Im Emsland zum Beispiel haben Landkreis und ein Energiekonzern ein Modellprojekt gestartet, bei dem ein Kohlendioxidberater von Haus zu Haus läuft und mit Eigentümern erörtert, wo Energie gespart werden kann. Nach einem Jahr kommt er zurück und rechnet ab - und für jede eingesparte Tonne Kohlendioxid bekommen die Sparer ein Klimazertifikat, das sich zu barem Geld machen lässt.
Ein Tropfen auf den heißen Stein? Nein, denn auch wenn Staud und Reimer dringend politische Maßnahmen gegen eine klimafeindliche Auto- und Stromlobby einfordern, weisen sie nach, dass das größte Rettungspotenzial hinter der eigenen Haustür liegt: Der größte Energieverbraucher in Deutschland sind die Haushalte - in denen bis zu 60 Prozent eingespart werden könnten. Grund genug also, effiziente Heizungspumpen und Niedrigenergiehäuser zu besichtigen und zu fordern, dass auch Kohlenstoff einen Preis bekommt, der seinem Beitrag zur Zerstörung der Umwelt in Ansätzen entspricht.
Aber natürlich ist das nicht alles: Die Autoren fordern auch das Verbot neuer Kohlekraftwerke, die Zerschlagung der großen Stromkonzerne, eine Klima-Abgabe auf Rinder und Schweine und vieles mehr. Mit Erklärungen der misslichen Lage halten sie sich hingegen nicht lange auf: "Wenn Sie immer noch glauben, es gäbe keinen Klimawandel, dann lesen Sie dieses Buch nicht", heißt es gleich im allerersten Satz, und: "Wer seinen Verstand beisammen und keine gegenteiligen (wirtschaftlichen) Interessen hat, der leugnet das nicht mehr."
Wir Klimaretter. So ist die Wende noch zu schaffen.
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2007; 320 S., 8,95 ¤