"Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne"! Die geradezu innige Begegnung zwischen Bundeskanzlerin Angela Merkel und dem frisch gekürten französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy vor dem Berliner Kanzleramt am 16. Mai 2007 kann auch für die seit über 40 Jahren als eng und intensiv geltenden deutsch-französischen Regierungsbeziehungen als ungewöhnlich bezeichnet werden. Stehen wir also angesichts der bereits von Beginn an herzlichen Beziehungen zwischen Merkel und Sarkozy am Anfang einer engen bilateralen Kooperation? Oder handelt es sich eher um oberflächliche Sympathiebekundungen, die keine Rückschlüsse auf eine besondere Nähe in wichtigen politischen Sachfragen zulassen?
Im Folgenden soll untersucht werden, ob es bereits ausreichende Indizien für die Entwicklungsperspektiven der deutsch-französischen Beziehungen unter Merkel und Sarkozy über die Phase des euphorischen "Honeymoon" hinaus gibt. Hierfür spielen die Auswirkungen der zwölfjährigen Amtszeit von Jacques Chirac ebenso eine Rolle, wie die abgelaufene deutsche EU-Ratspräsidentschaft. Letztere war hinsichtlich der Bereitung eines positiven europäischen Rahmens für den neuen Hausherrn im Elysée-Palast durch die deutsche Bundeskanzlerin und wegen der inhaltlichen Weichenstellungen im Laufe der EU-Präsidentschaft bedeutsam. 1
Da es im Verhältnis Berlin-Paris nie alleine um gute bilaterale Zusammenarbeit ging, sondern immer auch um eine stabile Basis für gemeinsames Agieren in der Europäischen Union und darüber hinaus im internationalen Kontext, wird die hierfür bereits erkennbare Tendenz bei der Betrachtung des bilateralen Verhältnisses eine wichtige Rolle spielen.
Obwohl Jacques Chirac seit dem negativ beschiedenen Referendum über den EU-Verfassungsvertrag vom Mai 2005 der Ruf des "Monarchen auf Abruf" anhaftete, hinderte ihn dies nicht an einer sehr dezidierten Verteidigung seiner Positionen im bilateralen Verhältnis zu Deutschland und innerhalb der Europäischen Union. Selbst nach dem Amtsverlust seines inzwischen zum Duzfreund und engsten Verbündeten avancierten Gerhard Schröder im Herbst 2005 beharrte Chirac beispielsweise auf einer unveränderten Ausgabenstruktur des hart umkämpften EU-Finanzrahmens 2007 - 2013. Zugeständnisse im Agrarbereich, mit denen der ebenso unbewegliche britische Premier Blair zu Abstrichen am so genannten Briten-Rabatt hätte bewogen werden können, machte der französische Präsident nicht - auch nicht um der frisch gekürten Nachfolgerin Schröders entgegenzukommen. So konnte sich Angela Merkel den Vermittlungserfolg, der zur Lösung der EU-Finanzierungskrise auf dem Brüsseler Gipfel im Dezember 2005 durch deutsche Finanzzugeständnisse führte, ganz allein zurechnen. 2
Obwohl Chiracs europäische Unbeweglichkeit in deutlichem Kontrast zu seiner ansonsten von Beginn an "umgarnenden" Annäherung an die deutsche Kanzlerin stand, monierte Merkel diese offensichtliche Diskrepanz nicht öffentlich. Die vom Gespann Merkel-Chirac bestimmte Phase der deutsch-französischen Beziehungen von November 2005 bis Mai 2007 kann insgesamt als beiderseitiges, formwahrendes "Aussitzen" bezeichnet werden: Alle bilateralen Aktivitäten, beginnend mit dem unter Schröder und Chirac etablierten "Blaesheim-Dialog" der häufigeren Treffen bis hin zu den gemeinsamen Kabinettssitzungen, wurden "reibungslos" absolviert; zugleich vermieden es beide Seiten jedoch, ihre (ehemals) zentrale Rolle als "deutsch-französische Achse" für das schlingernde EU-Fahrzeug - mit mittlerweile 25 Plätzen - wahrzunehmen. 3 Durch die bilaterale und gemeinschaftsweite Passivität, die durch die im Mai 2006 um ein weiteres Jahr verlängerte "Denkpause" im EU-Verfassungsprozess unterstrichen wurde, konzentrierten sich die Hoffnungen auf eine Neubelebung der Partnerschaft durch frische Impulse auf das erste Halbjahr 2007 mit dem deutschen EU-Vorsitz und dem Personalwechsel im Elysée-Palast.
Die als "europäische Hoffnungsträgerin" Ende 2005 erfolgreich ins Brüsseler Metier gestartete Bundeskanzlerin Merkel musste mit denkbar ungünstigen Rahmenbedingungen für ihre EU-Präsidentschaft auskommen, die wesentlich mit dem Nachbarn am Rhein zusammenhingen: Die "französische Hängepartie" mit einem schwachen Präsidenten in seinen letzten Amtswochen verwehrte Merkel eine bewährte deutsche Vorgehensweise unter enger Abstimmung und verlässlicher Unterstützung durch Paris. Das Fehlen der "Achse Berlin-Paris" hinderte die Kanzlerin zwar nicht daran, den EU-Sondergipfel vom März mit dem Schwerpunkt Klimapolitik - fast im Alleingang - zum Erfolg zu führen, und alle widerspenstigen EU-Partner auf eine Berliner Erklärung zum 50-jährigen Jubiläum der Römischen Verträge zu verpflichten. 4 Das "Herzstück" der deutschen Präsidentschaft, die Lösung der seit zwei Jahren andauernden EU-Verfassungskrise, konnte die Bundeskanzlerin jedoch erst im letzten Drittel ihres Vorsitzes in Angriff nehmen, als die Amtsnachfolge Chiracs geklärt war.
Da die zwischenzeitlich als sehr aussichtsreich gehandelte sozialistische Präsidentschaftskandidatin, Ségolène Royal, im Wahlkampf klar gemacht hatte, dass sie sowohl eine ambitionierte Verfassung anstrebe, als auch ein erneutes Referendum plane, musste Angela Merkel mit der Festlegung auf eine inhaltliche Verhandlungsstrategie für den abschließenden EU-Gipfel am 21./22. Juni 2007 in Brüssel bis Mitte Mai warten. Im danach verbleibenden Monat stand die Bundeskanzlerin vor der Aufgabe, einerseits die Befürworter einer ambitionierten Verfassung für die reduzierte Form eines Reformvertrages zu gewinnen, die Nicolas Sarkozy als einzig akzeptable Version unter dem Schlagwort "Mini-Traité" proklamiert hatte. 5 Andererseits galt es, die noch schwierigere Aufgabe zu erledigen, die "Europaskeptiker", angeführt von der polnischen und der britischen Regierung, zur Zustimmung zu bewegen.
Da Angela Merkel in den ersten fünf Monaten ihrer EU-Präsidentschaft das Kunststück vollbracht hatte, keine gemeinschaftsinternen Entscheidungen zu forcieren, die den erklärten Interessen des neuen französischen Präsidenten entgegenstanden, konnte sie auf dessen tatkräftige Unterstützung hoffen. Ob sich der nicht gerade an Selbstzweifeln leidende frühere französische Innenminister in seinen ersten Wochen an der Spitze Frankreichs zum Wohl der europäischen Sache tatkräftig engagieren würde, war jedoch keineswegs sicher. Sarkozy widerstand aber der für den Führer der "Grande Nation" verlockenden Versuchung, primär nach Ruhm und Ehre für das eigene Land zu streben. Er erwies sich sowohl im Vorfeld des Brüsseler EU-Gipfels bei einem Antrittsbesuch in Polen als auch beim Verhandlungsmarathon selbst als verlässlicher Bundesgenosse Merkels und damit als hilfreiche Stütze der deutschen Ratspräsidentin. 6
Die insbesondere für die Bundesregierung so schwierige Übergangsphase in den bilateralen Beziehungen während des Wechsels von Chirac zu Sarkozy kann somit als sehr gelungen bezeichnet werden. Die erkennbare wechselseitige Rücksichtnahme war angesichts der für beide Seiten erheblichen innen- und außenpolitischen Anspannung bemerkenswert. Der Start in die personell "neuen" bilateralen Beziehungen ist dabei insbesondere im Hinblick auf gemeinsame europäische Ambitionen so reibungslos verlaufen, wie es angesichts der divergierenden Meinungen in der Verfassungsfrage nicht erwartet werden konnte. 7
Ob dieser gute Start mit einer engen Abstimmungsbereitschaft der nationalen Positionen zwischen der deutschen Bundeskanzlerin und dem französischen Präsidenten eine ebenso aussichtsreiche Entwicklungsperspektive hat, soll anhand einiger thematischer Beispiele betrachtet werden. Mitentscheidend für die Themenauswahl ist die fortbestehende europäische Relevanz und die (zugleich) traditionelle Bedeutung im zwischenstaatlichen Verhältnis.
Die Unterstützung der Bundeskanzlerin bei ihren Anstrengungen zur Durchsetzung eines Reformvertrags beim Brüsseler Juni-Gipfel 2007 durch den Präsidenten war ein wichtiger Indikator beim gemeinsamen bilateralen Bemühen um eine künftige entscheidungs- und handlungsfähige EU. Dass der französische Präsident seine ersten Schritte auf internationalem Parkett, beispielsweise bei seinem Besuch beim widerspenstigen polnischen Zwillingspaar Lech und Jarosław Kaczyn'ski - dem Präsident und dem Ministerpräsidenten Polens -, auch dafür zu nutzen versuchte, seinen eigenen Einfluss und sein politisches Gewicht zur Geltung zu bringen, war für die bilaterale Annäherung unproblematisch, da das gemeinsame Anliegen im Vordergrund stand.
Die hart erkämpfte Kompromisslösung des Reformvertrags, für die die deutsche Bundeskanzlerin viele Komplimente erhielt, bietet eine gute Ausgangsposition für eine enge deutsch-französische Kooperation angesichts der noch bevorstehenden Umsetzungsschritte. Die konsequente Fortsetzung des bilateralen Schulterschlusses von Brüssel ist für einen erfolgreichen Abschluss der im Juli 2007 eingesetzten Regierungskonferenz als stabilisierender Kern zwingend erforderlich, um bei erneut auftretenden Widerständen den Brüsseler Kompromiss vom Juni 2007 durchzusetzen zu können. Da Sarkozy seine EU-Präsidentschaft in der zweiten Jahreshälfte 2008 mit der erfolgreichen Ratifizierung des Reformvertrages "krönen" will, steht sein fortgesetztes Engagement in seinem Sinne nicht in Frage. Das Pariser Erfolgsstreben garantiert das weiterhin gleichgerichtete Interesse in Berlin und Paris an einer Realisierung des EU-Reformvertrages.
Die enge inhaltliche Nähe zwischen Merkel und Sarkozy in diesen Fragen bietet beiden Seiten die Chance, in weiterhin enger Koordinierung der Regierungspositionen einen Teil der früheren "deutsch-französischen Motoren-Funktion" für Europa zurückzugewinnen. Folglich muss sich der französische Präsident darum bemühen, den von Merkel demonstrierten bilateralen Kooperationswillen mitzutragen, um auch weiterhin genügend tatkräftige Unterstützung unter den restlichen 25 EU-Partnern zu sichern.
Wie schwierig es sein wird, diese gemeinsame "Motoren-Funktion" im Brüsseler Tagesgeschäft auszuüben, zeigt der Umgang mit einer anderen europäischen Schlüsselfrage, die die Emotionen in der Gemeinschaft neben dem Verfassungsprozess in den letzten Jahren bewegt hat: die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei. Gelingt es dem französischen Präsidenten in absehbarer Zeit nicht, ähnlich wie der Beitrittsskeptikerin Merkel in den letzten beiden Jahren, seine persönliche Ablehnung des Türkei-Beitritts zugunsten einer Akzeptanz des fortzusetzenden Verhandlungsprozesses zurückzustellen, wird er seine erklärten europäischen Führungsambitionen als "Saboteur" gemeinschaftlicher Vereinbarungen selbst desavouieren. 8 Damit würden auch die deutsch-französischen Führungsambitionen geschwächt.
Obgleich Jacques Chirac keineswegs als großer Verfechter gemeinsamer internationaler Umwelt- und Klimapolitik in Erinnerung bleiben wird, hinterließ er seinem Nachfolger einen beachtlichen Spielraum in diesem Politikfeld, der zwar Paris - wie alle anderen EU-Partner - an Zusagen bindet, deren Ausgestaltung aber nicht geklärt wurde. Eines der großen Anliegen der deutschen EU-Ratspräsidentschaft, die verbindliche Festschreibung von EU-Klimaschutzzielen bis zum Jahr 2020, gelang der deutschen Kanzlerin im März 2007 nicht zuletzt dank der Bereitschaft Chiracs, die intensiven Bemühungen Merkels mitzutragen. 9 Nicolas Sarkozy hatte bereits im Wahlkampf klargestellt, dass er diese ambitionierte deutsche Herangehensweise inhaltlich unterstützt. Dies bestätigte er anlässlich seines ersten internationalen Auftritts im Kreis der G8-Staaten in Heiligendamm Anfang Juni 2007. Die im Vorfeld von Heiligendamm von Angela Merkel verfolgte Strategie des klimapolitischen Drucks auf die USA (und Russland) durch europäische Geschlossenheit war nicht zuletzt dank der verlässlichen Unterstützung durch Nicolas Sarkozy erfolgreich. 10
Diese Interessenparallelität in der Zielorientierung des Umwelt- und Klimaschutzes darf jedoch keineswegs als Einigkeit bei den Umsetzungsoptionen gewertet werden. Hier existieren gegensätzliche Vorstellungen, die an der divergierenden Einschätzung der Kernenergie beispielhaft zum Vorschein kommen. In Frankreich und für Sarkozy spielt die weitere intensive Nutzung der Kernkraft für die Reduzierung der klimaschädlichen Gase in Europa und als wichtiger Schritt aus der energiepolitischen Abhängigkeit von Russland und dem Mittleren Osten eine Schlüsselrolle. In der Bundesrepublik scheidet diese Option seit dem unter Rot-Grün beschlossenen Atomausstieg bis 2023 jedoch bis auf weiteres aus. So wird die offene Entscheidung über die EU-interne Aufteilung der Reduktionsanteile auf die Mitgliedsstaaten, die angesichts der langen zeitlichen Perspektive im März 2007 ausgeklammert werden konnte, früher oder später für Verteilungskämpfe - auch im deutsch-französischen Verhältnis - sorgen.
Ebenfalls wichtig und bilateral für Merkel und Sarkozy weniger konfliktreich wäre die Einigung, die gemeinschaftlichen Bemühungen um eine EU-Energieaußenpolitik zu intensivieren. Hier wäre es insbesondere an Bundeskanzlerin und Präsident, den von ihren Amtsvorgängern eingeschlagenen Weg der bi- oder trilateralen Exklusivabstimmung mit Moskau auch in Energieversorgungsfragen definitiv zu verlassen. Damit würden sie die Verhandlungsposition der EU-Mitglieder gegenüber den aktuell und prospektiv wichtigen Energielieferanten als Gesamtheit stärken. Zugleich würden beide ein unmissverständliches Signal zur Stärkung der Gemeinschaftsebene geben, auch wenn es sich erst einmal um eine engere nationale Koordinierung und nicht um eine Vergemeinschaftung handeln würde. Die Chancen, dass Merkel und Sarkozy die "Gründungseltern" einer "Gemeinsamen Europäischen Energie-Außenpolitik" (GEEAP) werden könnten, sind folglich gut - sie sollten diese Gelegenheit nutzen.
Ein wichtiges bilaterales, aber auch europäisches Beispiel für die wirtschaftspolitischen Kooperationschancen unter Merkel und Sarkozy ist das gemeinsame Agieren innerhalb des Unternehmensverbundes EADS mit dem prestigeträchtigen Airbus-Konzern.
Jacques Chirac hat mit seinem fortgesetzt national betonten Kurs im Airbus-Streit des Frühjahrs 2007 eine "rote Linie" gezogen, hinter die Nicolas Sarkozy ohne innenpolitischen Gesichtsverlust kaum zurückgehen kann: Chirac gab die Devise aus, dass es - ungeachtet der inneren Strukturen, Verantwortlichkeiten und Leistungsfähigkeit nach Standorten innerhalb des Airbus-Konzerns - eine gleichgewichtige Lastenverteilung zwischen den zentralen Partnern Deutschland und Frankreich geben müsse; im konkreten Fall ging es um die "Verteilung" von abzubauenden Arbeitsplätzen unter den Teilnehmerstaaten. Die Bundeskanzlerin gewährte Chirac in dieser Frage einen Abschied ohne Gesichtsverlust anlässlich seines letzten offiziellen Besuches in der Bundesrepublik im Februar 2007. 11 Dieses Nachgeben Merkels in einer ökonomisch sensiblen Frage der nachbarschaftlichen Beziehungen zeigt die Akzeptanz des industriepolitisch als zentral eingeschätzten Gleichberechtigungsaspekts im Nachbarland.
Ein Blick auf die bisher bekannten wirtschaftspolitischen Vorstellungen Sarkozys macht deutlich, dass er keine Ambitionen erkennen lässt, die traditionell staatsinterventionistische Linie seiner Vorgänger zu verlassen. Den ersten Testfall für die beiderseitige Bereitschaft, die jeweils andere Sichtweise zu akzeptieren und gemeinsame Reformen einzuleiten, war die Klärung der Führungsfrage von EADS und deren Tochter Airbus: Beim bilateralen Gipfeltreffen in Toulouse am 16. Juli 2007 wurde eine einvernehmliche Lösung zwischen Merkel und Sarkozy erzielt, welche die jeweiligen nationalen Interessen zum Ausdruck brachte. Die deutsche Bundeskanzlerin ist dabei Überlegungen Sarkozys deutlich entgegengetreten, durch eine Erhöhung des französischen Aktienanteils bei EADS den unmittelbaren Regierungseinfluss zu stärken. 12
Für die deutsch-französischen Kooperationen, die am Beispiel von Airbus und im weiteren Kontext am europäischen Rüstungskonzern EADS als "Aushängeschilder" festgemacht werden können, wird folglich weiterhin die schwierige Aufgabe bestehen, marktliberales deutsches Agieren mit dem grundsätzlichen politischen Eingriffsvorbehalt Frankreichs in Einklang zu bringen. Erneute Spannungen sind hierdurch vorprogrammiert. 13
Auf dem Feld der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) ist die Bereitschaft französischer Präsidenten, die eigenen Positionen mit dem deutschen Partner konsequent abzustimmen, nur vereinzelt zu erkennen. Bisher ist noch jeder der Hausherren des Elysée irgendwann der Versuchung erlegen, vermeintlichen nationalen Prestigegewinnen durch französische Alleingänge dem mühsamen Kompromissfindungsprozess im Rahmen bilateraler Gespräche oder innerhalb der GASP den Vorzug zu geben.
Das unabgestimmte Vorgehen Nicolas Sarkozys bei der "Honorierung" Lybiens mit einer bilateralen Atomkooperation als Gegenleistung für die Beendigung der jahrelangen Affäre um fünf bulgarische Krankenschwestern und einen Arzt Ende Juli 2007 war der erste Ausdruck dieses Handlungsmusters unter dem neuen französischen Präsidenten. 14 Etwaige Hoffnungen, dass es unter Sarkozy eine enge außenpolitische Abstimmung zwischen Berlin und Paris geben könnte, durch die Fortschritte in Richtung einer verbesserten GASP möglich wären, wurden hierdurch schnell beendet. Eine konsequente außenpolitische Koordinierung wird es sowohl bilateral als auch multilateral weiterhin nicht geben; sie wird - wie bisher - auf den jeweiligen Einzelfall beschränkt bleiben.
Dies ist jedoch bei der Machtfülle des französischen Präsidenten in der Außenpolitik kaum anders zu erwarten; angesichts des unzweifelhaften Drangs Sarkozys, sich als "starker Führer" und "Macher" zu profilieren, wäre ein Einschwenken auf eine primär multilaterale Koordinierung ohnehin sehr verwunderlich.
Sowohl bilateral als auch im Rahmen der EU-Mechanismen geht es außen- und sicherheitspolitisch deshalb primär darum, den französischen Staatschef und seinen nicht weniger profilierungswilligen Außenminister Bernard Kouchner 15 für die Fortsetzung der bisher betriebenen Gemeinschaftsanliegen zu gewinnen bzw. weitere zu starten: Die Wiederbelebung des europäischen Einflusses auf den Nahostkonflikt unter deutschem EU-Vorsitz ist ganz im französischen Sinne. Dies unterstrich auch der neue französische Außenminister, der im Juli 2007 einen eigenen Schlichtungsversuch im Libanonkonflikt gestartet hatte. 16 Präsident Sarkozy wird das europäische Nahost-Engagement im Hinblick auf die Übernahme der EU-Präsidentschaft Ende 2008 sicherlich weiter unterstützen, um sich die zu erwartende Profilierungsmöglichkeit nicht entgehen zu lassen. 17
Neue Bewegung ist in die Frage der Ausweitung der europäischen Verantwortung in Krisenfällen durch das Drängen Sarkozys und Kouchners auf eine Sicherungstruppe der EU für den Tschad als den Leidtragenden der Flüchtlingskatastrophe in Darfur gekommen. 18 Hierbei handelt es sich um ein traditionelles französisches Anliegen, über eine Mobilisierung der EU-Partner, mittels einer Mission der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP), Führungsverantwortung zu demonstrieren. Auch wenn es in diesem Fall voraussichtlich keine deutsch-französische Militärkooperation bei der Umsetzung eines UN-mandatierten EU-Einsatzes geben wird, würde ein europäischer Tschad-Einsatz zum Wohle der Flüchtlinge aus dem Sudan die gemeinsame bilaterale Zielsetzung eines weitergehenden europäischen Engagements in internationalen Krisen stärken.
Positiv für eine sicherheitspolitische Rolle der EU ist im Zusammenhang mit dem Tschad-Einsatz die enge Abstimmung zwischen Sarkozy und dem neuen britischen Premier Gordon Brown sowie deren gemeinsames, erfolgreiches Drängen auf eine umfangreiche UN-Mission im Sudan im Laufe des Juli 2007. 19 Damit steht die seit dem Irak-Disput der Jahre 2002 und 2003 praktisch lahmgelegte britisch-französische ESVP-Kooperation vor der Neubelebung. Hierdurch steigen ebenfalls die Chancen, dass es künftig wieder eine engere deutsch-französisch-britische Absprache in Krisenfällen gibt. 20
Die Rückkehr zu einem "normalisierten" Verhältnis Paris-London hat auch unmittelbare Rückwirkungen auf die europäisch-amerikanischen Beziehungen: Nachdem es Angela Merkel bereits mit ihrem ersten Amerika-Besuch gelungen war, die deutsch-amerikanischen Beziehungen aus der aggressiven Angespanntheit unter Gerhard Schröder zu befreien, signalisierte auch Nicolas Sarkozy den Wunsch nach einer besseren Gestaltung des transatlantischen Verhältnisses - bilateral und multilateral. Mit dieser deutlichen Distanzierung Merkels und Sarkozys von ihren Amtsvorgängern haben beide den Weg zu einer Neuausrichtung der transatlantischen Beziehungen zum Wohle Europas beschritten. Ein fortgesetztes deutsch-französisches Bemühen um eine Konsolidierung der transatlantischen Arbeitsbasis ist für die Bewältigung der sicherheitspolitischen Aufgaben, an denen Washington und die Europäer über die NATO in gleichem Maße beteiligt sind, unerlässlich. Dies gilt insbesondere für die kontinuierlich schwieriger werdenden Afghanistan-Missionen ISAF und "Enduring Freedom".
Die scheinbare Idealkonstellation Merkel-Sarkozy hat sich bei den gemeinsamen Anstrengungen zur Lösung der EU-Verfassungskrise Ende Juni 2007 als "praxistauglich" erwiesen. Dieser erfolgreiche Start in enge bilaterale Beziehungen im Sinne einer "Achse Berlin-Paris" zum Wohle der EU darf jedoch nicht über die Schwierigkeiten bei der engen Abstimmung der deutschen und französischen Positionen in EU-Fragen und bei außenpolitisch relevanten Themen hinwegtäuschen.
Die angesprochenen Beispiele deuten bereits nach den ersten drei Monaten der Amtszeit Nicolas Sarkozys darauf hin, dass sich dessen eigenständiger Gestaltungswille auch von der deutschen Bundeskanzlerin nicht leicht "bändigen" lassen wird. Die Erfolgsaussichten derartiger Versuche steigen immer dann, wenn der französische Präsident - bei erfolgter Kooperation - Raum zur öffentlichkeitswirksamen Darstellung seiner Durchsetzungsfähigkeit erhält. Wie seine Vorgänger, muss der Oberste Repräsentant der "Grande Nation" auch künftig im bilateralen Verhältnis zum Nachbarn am Rhein als mindestens ebenbürtig dastehen. Dabei hat Angela Merkel als engste außenpolitische Partnerin Sarkozys klargemacht, wo die Grenzen deutscher Nachgiebigkeit erreicht sind. Insofern handelt es sich bisher um "ehrliche" Beziehungen.
Weil der französische Präsident bereits mit einigen seiner in rascher Folge in Brüssel präsentierten Vorstellungen - von der Beschränkung der EZB-Macht bis zur Beendigung der Türkei-Verhandlungen - bei den meisten EU-Partnern Widerspruch erntete, wird er die Möglichkeit der vertraulichen deutsch-französischen Kooperation sicher noch zu schätzen lernen. Für eine erfolgreiche eigene EU-Ratspräsidentschaft in der zweiten Jahreshälfte 2008 wird Nicolas Sarkozy ohnehin auf die tatkräftige Unterstützung Merkels angewiesen sein. Die wechselseitige Abhängigkeit im Sommer 2007 wird dann unter umgekehrten Vorzeichen ihre Fortsetzung erfahren. Diese wird für eine - freiwillige oder unfreiwillige - enge Abstimmung zwischen Berlin und Paris in den nächsten eineinhalb Jahren sorgen. Sofern diese strukturelle Abhängigkeit von beiden nicht als Last, sondern als stabilisierende Stütze der eigenen Europapolitik interpretiert wird, kann es aus dieser Abhängigkeit zu einer dauerhaften Neuauflage der "deutsch-französischen Achse" kommen. Jedoch kann diese zentrale Achse das sehr schwer zu lenkende "EU-Gefährt" gegen die Ablenkungsversuche der Integrationsbremser nur durch eine breite Unterstützung im Kreis der 27 weiter auf Kurs halten.
Um diese Unterstützung, die die deutsche Bundeskanzlerin sich bereits erworben hat, muss sich der französische Präsident erst noch durch gemeinschaftsverträgliches Handeln bemühen. Gelänge dies Nicolas Sarkozy, unterstützt durch Angela Merkel, könnten beide die traditionelle Rolle ihrer Staaten als verlässlicher Kern des Integrationsverbundes zurückgewinnen. Damit hätten sie eine der essenziellen Aufgaben in den stagnierenden bilateralen Beziehungen gelöst.
1 Die außen-
und europapolitische Wahlkampfprogrammatik Sarkozys soll nur
insoweit einbezogen werden, als sie sich als unmittelbar
handlungsrelevant erwiesen hat. Zu den markantesten Punkten im
Wahlprogramm siehe Ronja Kempin, Neue Töne - neue Politik? Die
außen- und sicherheitspolitische Agenda des künftigen
Präsidenten Frankreichs, Berlin 2007 (SWP-Diskussionspapier,
FG 3-DP 08), S. 3 - 5.
2 Vgl. EU-Finanzkompromiss und
Erleichterung, in: Neue Zürcher Zeitung (NZZ) online vom 19.
12. 2005; www.nzz.ch.
3 Vgl. Deutsch-französische
Beziehungen. Der politische Abstand wächst, in: Frankfurter
Rundschau (FR) online vom 23. 2. 2007; www.fr-online.de. Zu einer
Bilanz dieser bilateralen Aktivitäten vgl. Daniela Schwarzer,
Deutschland und Frankreich - Duo ohne Führungswillen. Das
bilaterale Verhältnis in der erweiterten Europäischen
Union, Berlin 2006 (SWP-Studie), S. 15ff.
4 Vgl. Der EU-Gipfel sagt ja zum
Klimaschutz, in: NZZ online vom 10. 3. 2007; Bertholt Kohler, Ein
halbes Jahr Dreifaltigkeit, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung
(FAZ) vom 22. 3. 2007. Zu den Schlussfolgerungen des Vorsitzes des
Europäischen Rates (Tagung vom 8./9. 3. 2007 in Brüssel)
vgl. www.consilium.europa.eu, zur "Berliner Erklärung zum 50.
Geburtstag der EU" vom 25. 3. 2007 vgl. www.europa.eu/50.
5 Vgl. Wolfram Hilz,
EU-Präsidentschaft und Wahlkampf. Weichenstellungen für
die EU und das deutsch-französische Verhältnis, in:
Dokumente. Zeitschrift für den deutsch-französischen
Dialog, 63 (2007) 2, S. 50 - 54.
6 Vgl. Charmeoffensive Sarkozys in
Warschau, in: NZZ online vom 15. 6. 2007; Stephan Israel,
Durchbruch frühmorgens, in: NZZ online vom 24. 6. 2007. Zu den
Schlussfolgerungen des Vorsitzes des Europäischen Rates
(Tagung vom 21./22. 6. 2007 in Brüssel) vgl.
www.consilium.europa.eu.
7 Während Angela Merkel beharrlich
auf der Rettung des gesamten EU-Verfassungsvertrags bestand,
behielt Nicolas Sarkozy genauso konsequent seine diesbezüglich
bereits im Sommer 2006 erklärte Ablehnung bei.
8 Vgl. Les négociations
d'adhésion de la Turquie à l'UE reprennent lentement,
in: Le Monde vom 26. 6. 2007; Neue Störgeräusche im
Verhältnis EU-Türkei. Paris sabotiert einen Teil der
Beitrittsverhandlungen, in: NZZ online vom 26. 6. 2007.
9 Vgl. Merkel setzt sich durch: Zwanzig
Prozent erneuerbare Energie', in: FAZ vom 10. 3. 2007.
10 Vgl. Durchbrüche in
Heiligendamm, in: FAZ vom 8. 6. 2007; Angela Merkel
Gipfelstürmerin, in: NZZ online vom 10. 6. 2007.
11 Vgl. Chirac verteidigt
Vorschläge zur Airbus-Sanierung, in: FAZ vom 24. 2.
2007.
12 Die Auflösung der
EADS-Doppelspitze durch eine alleinige Führung von EADS durch
den Franzosen Louis Gallois und den gleichzeitigen Wechsel des
Deutschen Thomas Enders an die Spitze von Airbus wurde als
Entspannung und Klärung von Verantwortlichkeiten bewertet.
Vgl. EADS-Doppelspitze abgeschafft. Merkel glücklich, SPD
vorsichtig, in: www.faz.net vom 16. 7. 2007; Cécile
Calla/Phillipe Ricard, Paris et Berlin assument leurs
divergergences mais s'obligent à trouver des compromis, in:
Le Monde vom 18. 7. 2007.
13 Zum selektiven
Wirtschaftsliberalismus Sarkozys und seinem auch innenpolitisch
begründeten protektionistischen Kurs vgl. Daniela Schwarzer,
Reformer und Protektionist: Die zwei Gesichter von Nicolas Sarkozy,
in: ifo Schnelldienst, 60 (2007) 11, S. 6 - 9.
14 Vgl. Atomgeschäft mit Libyen.
Heftige Kritik aus Deutschland an Paris, in: www.faz.net vom 27.7.
2007; Stéphane Marchand, Le clavier de Sarkozy, in: Le
Figaro vom 25.7. 2007.
15 Wie Sarkozy selbst steht auch der
international renommierte Bernard Kouchner, Sozialist und u.a.
Gründer von Ärzte ohne Grenzen, für ein hohes
Maß an außenpolitischer Eigenständigkeit bzw.
Eigenwilligkeit. Vgl. Christopher Hitchens, Bernard Kouchner und
das neue Frankreich, in: Welt online vom 10. 6. 2007;
www.welt.de.
16 Vgl. Schwierige Mission Kouchners in
Beirut, in: NZZ vom 30. 7. 2007.
17 Die gleiche Unterstützung des
EU-Engagements durch Paris ist bei der Kosovo-Statusfrage zu
erwarten, da Frankreich als Mitglied der Internationalen
Kontaktgruppe und als ständiges Mitglied des
UN-Sicherheitsrates die internationale Verantwortung hierfür
reklamiert. Bernard Kouchner, der 1999 als erster UNMIK-Chef die
UN-Verwaltung im Kosovo aufgebaut hat, wird sich glaubwürdig
für eine einvernehmliche Lösung mit Russland einsetzen
können.
18 Vgl. Kouchner: 1500 Soldaten nach
Tschad, in: www.faz.net vom 17. 7. 2007.
19 Vgl. Friedensinitiative: Sarkozy und
Brown wollen nach Darfur, in: ZEIT online vom 20. 7. 2007;
www.zeit.de; Darfur-Resolution. UN-Sicherheitsrat beschließt
Friedensmission, in: www.faz.net vom 31.7. 2007.
20 Gegen eine zu große Nähe
Sarkozys und Browns sprechen nach überwiegender
Einschätzung deren gegensätzliche Charaktere, aber auch
divergierende ökonomische Vorstellungen. Vgl. Doris
Krau/Regina Pöll, Die Dynamik der drei: Machtkampf um die EU,
in: Die Presse vom 18. 7. 2007.