WALTER MIXA
Afghanistan ist noch nicht in der Lage, selbst für Sicherheit zu sorgen. Die deutschen Soldaten müssen bleiben.
Der Bundesverteidigungsminister hat gefordert, Flugzeuge, die von Terroristen entführt werden, zum Abschuss frei zu geben. Die Jetpiloten haben ihre Kameraden zur Befehlsverweigerung aufgerufen, weil sie im Fall der Befehlsausübung womöglich anschließend auf der Anklagebank säßen. Wie ist Ihre Haltung als Militärbischof der Bundeswehr dazu?
Aufgabe der Politik ist es, den Rahmen für gesetzeskonformes Handeln und Entscheiden von Soldatinnen und Soldaten zu schaffen. Soldatinnen und Soldaten müssen sicher sein, dass ihnen nichts abverlangt wird, was sie letztendlich im strafrechtlichen Sinne schuldhaft machen könnte. Dazu zählt auch, dass die Politik die Voraussetzungen schafft, dass Leben geschützt und gerettet werden kann. Hierzu biete ich den Rat und die Expertise aus der Moraltheologie und der Ethik an. In dem angesprochenem Sachverhalt geht es ja nicht um eine beliebige Fragestellung, sondern um existentielle Dinge, um Fragen von Leben und Tod.
Gerade steht eine Verlängerung des Afghanistanmandats an. Wie lange soll der Einsatz noch dauern?
Das hängt im Wesentlichen davon ab, ob tatsächlich die Voraussetzungen geschaffen worden sind, die es rechtfertigen, den Einsatz zu beenden. Diese sind meiner Ansicht noch nicht gegeben, denn das Land ist aus eigenen Kräften noch nicht in der Lage, selbst dafür Sorge zu tragen, dass Sicherheit und Stabilität gewährleistet ist. Mithin vermute ich, dass der Einsatz noch eine gewisse Zeit dauern wird. Ich meine, dass dies im Interesse der Bevölkerung auch notwendig ist und es wäre verantwortungslos, sich jetzt von heute auf morgen zurückzuziehen.
Was ist für die Soldaten wichtig, wenn ein Auslandseinsatz geplant ist?
Zu wissen, dass sie in einem demokratischen Rechtsstaat leben und dass sie sich darauf verlassen können, dass die Parlamentarier äußerst gewissenhaft und sorgfältig entscheiden, ob ein Einsatz stattfinden soll oder nicht. Ziel eines Einsatzes muss die Wiederherstellung des Friedens sein. Bei meinen Truppenbesuchen auch in den Einsatzländern frage ich die Soldatinnen und Soldaten nach der Nachhaltigkeit ihres Einsatzes, nach dem Wert ihres Dienstes und was er letztendlich bewirkt. Die Soldatinnen und Soldaten antworten positiv. Das finde ich ermutigend.
Der Sonderparteitag der Grünen in Göttingen hat gezeigt, dass die Afghanistandiskussion die Partei spaltet. Wie wirkt sich die Uneinigkeit der Politik auf die Moral der Soldaten aus?
Es gehört zum Wesen einer parlamentarischen Demokratie, dass Parteien in ihrer eigenen Willens- und Entscheidungsfindung nicht immer mit dem konform gehen, was seitens einer Regierung beabsichtigt ist. Das wissen auch die Soldatinnen und Soldaten, denn in einer Demokratie entscheiden nun mal parlamentarische Mehrheiten. Das kann nicht als Uneinigkeit gewertet werden. Allerdings: Es bleibt zu wünschen, dass hinter dem Einsatz eine breite parlamentarische Mehrheit steht. Diese scheint mit Blick auf das Mandat in Afghanistan gegeben.
Vor einem Jahr hat der Bundesverteidigungsminister das "Weißbuch 2006 zur Sicherheitspolitik Deutschlands und zur Zukunft der Bundeswehr" vorgelegt. Darin wird stark das nationale Sicherheitsinteresse betont. Muss Sicherheit nicht eine internationale Angelegenheit sein, zumal deutsche Soldaten stets ein Teil internationaler Bündnisse sind?
Für mich ist dies vor dem Hintergrund nachvollziehbar, dass sich etwa 7.000 Bundeswehrsoldaten in weltweiten Krisen- und Kriegsgebieten im Einsatz befinden. Sie leisten einen Beitrag zur Sicherheit und fördern damit den Frieden. Im gut verstandenen Sinne sind dies friedensstiftende Maßnahmen. Natürlich wirkt sich der Eindruck vor Ort auch auf die Sicherheit im eigenen Land aus. Mit Blick auf Afghanistan heißt das: Die deutschen Soldatinnen und Soldaten leisten dort eine gute Arbeit, tragen zur Befriedung des Landes bei, leisten zusätzlich humanitäre Hilfe wie beim Bau von Kindergärten, Schulen, Brunnen.
In ihrer Schrift "Soldaten als Diener des Friedens" haben die deutschen Bischöfe eine Verwässerung des Grundpfeilers der Bundeswehr, der Inneren Führung, beklagt. Konnte das Weißbuch die Bedenken ausräumen?
Innere Führung als Kerngedanke der Gründungsväter der Bundeswehr bleibt im Weißbuch ein aktuelles Prinzip. Wir haben es immer so gesehen, dass die Innere Führung stark gefördert werden muss. Ihre Prinzipien stehen in engem Zusammenhang mit dem Lebenskundlichen Unterricht unserer Militärseelsorger in der Bundeswehr. Ebenso werden existentielle Fragen der Soldatinnen und Soldaten an unsere Militärseelsorger herangetragen: Wie verhalte ich mich gegenüber meinem Mitmenschen? Was mache ich in Notsituationen?
Liefert das Weißbuch genügend Entscheidungskriterien für eine Teilnahme an einem Einsatz?
Es hätte stärker betont werden müssen, dass es nicht nur darum gehen kann, dass es allein uns gut geht. Das Ziel muss sein, im Einsatzland die Lebensqualität der Menschen zu verbessern.
Und mehr Gerechtigkeit.
Ja. Die Beachtung der Personenwürde ist eng verbunden mit der Gerechtigkeit. Mehr Lebensqualität ist verbunden mit einem wirtschaftlichen Ausgleich. Wir müssen dem reinen Kapitalismus entgegensteuern, sonst kann es auf Dauer keinen Frieden und damit Sicherheit geben. Die Bundeskanzlerin mahnt im Vorwort des Weißbuchs an, den sicherheitspolitischen Dialog zu fördern. Das ist richtig. Allerdings dürfen wir die Bundeswehr nicht überfordern.
Wie denken Sie in der Diskussion über die künftige Wehrform der Bundeswehr?
Ich persönlich bin dafür, dass die allgemeine Wehrpflicht in Deutschland beibehalten wird. Soldaten sind "Staatsbürger in Uniform", das heißt, sie dürfen in der Bundeswehr ihre staatsbürgerlichen Rechte so weit wie möglich wahrnehmen. Die jungen Wehrpflichtigen stammen aus unserer Gesellschaft und Kultur. Ich denke, die Wertschätzung der Bundeswehr gegenüber ist höher, je breiter sie in unserer Gesellschaft verankert ist. Andere Länder mit einer Berufsarmee beklagen, dass diese Wertschätzung bei ihnen abgenommen habe. Das finde ich nicht gut.
Als Bischof von Augsburg äußern Sie sich zu politischen Themen. Zu Beginn des Jahres sorgten Sie für Aufsehen, als Sie die Bundesfamilienministerin warnten: Bei ihren Bemühungen um mehr Unterstützung von Müttern bei ihrer Rückkehr in den Beruf, sollte sie die Frauen nicht zu bloßen Gebärmaschinen degradieren. Dafür haben Sie Zuspruch etwa des Linken Oskar Lafontaine und der soeben geschassten TV-Moderatorin Eva Herman erhalten. Gefiel Ihnen das?
Ich habe nicht von mir aus eine politisch-gesellschaftliche Diskussion entfacht, sondern der Familienbund der Katholiken meiner Diözese in Augsburg ist an mich herangetreten mit der Bitte, seinem Anliegen mehr Gehör zu verschaffen. Ich wollte den Familienbund nicht im Regen stehen lassen. Wie es sich zeigt, hat das Thema Familie eine neue Aktualität erfahren. Wir haben eine breite Zustimmung erhalten - nicht nur von Katholiken. Man lobte, dass ich nicht umgefallen sei. Eine Mutter ist gerade in den ersten Jahren wichtig für Erziehung, Förderung und Lebensentfaltung ihres Kindes.
Aber dass die Zustimmung ausgerechnet von Oskar Lafontaine und Eva Herman kommt - fühlen Sie sich da nicht instrumentalisiert?
Die Gefahr, instrumentalisiert zu werden, besteht immer. Ich lasse mich aber nicht instrumentalisieren. Dass ich diese Zustimmungen erhalten habe, hätte ich nicht gedacht. Es geht mir um eine sachgerechte Familienpolitik und um das Wohl des Kindes. Mütter sollten die Freiheit haben zu wählen, welchen Weg sie einschlagen wollen. Das wollte ich mit meinen Äußerungen gerne bezwecken.
Das Gespräch führte Almut Lüder.