Israel
Idith Zertal und Akiva Eldar rechnen mit der Siedlerbewegung ab
Die beiden international bekannten israelischen Historiker Idith Zertal und Akiva Eldar haben eine mutige und lesenswerte Studie über das Drama der jüdischen Siedlerbewegung vorgelegt. Das Buch handelt von einem schwierigen Kapitel der israelischen Geschichte, eines demokratischen Staatswesens, das sich seit 1967 mit der Vertreibung hunderttausender Palästinenser zu einer Okkupationsmacht entwickelte. Zertal und Eldar - früher Sprecher des Jerusalemer Bürgermeisters Teddy Kollek und Leiter des Washingtoner Büros der israelischen Tagszeitung "Haaretz" - beschreiben in ihrer Arbeit die Beziehungen zwischen der messianischen Siedlerbewegung und ihren politisch-religiösen Strukturen auf der einen und dem israelischen Staat auf der anderen Seite.
Ohne falsche Rücksichtnahme auf religiöse oder pseudo-patriotische Gefühle bezeichnen die Autoren die Siedlungspolitik als "bösartiges Geschwür der Okkupation", das israelische Regierungen stürzen könne und "die Demokratie des Landes und seine politische Kultur an den Rand des Abgrunds geführt" habe. In nur 19 Jahren seiner 59-jährigen Existenz habe Israel ohne diese Okkupation existiert. Die negativen Folgen seien offensichtlich: Die Besatzung habe nicht nur die demokratischen Fundamente der Gesellschaft, ihre moralischen Überzeugungen, Armee und Wirtschaft schwer beschädigt, sondern auch Israels internationales Renommee.
Unmissverständlich benennen die Historiker den eigentlichen Hauptkonflikt Israels: die alarmierende Konfrontation zwischen dem Konzept eines demokratischen Staates und der Vorstellung von "Erez Israel", der Idee von Israel als Verkörperung religiöser und nationaler Mythen, zu deren Protagonisten auch die Siedlerbewegung gehört. Zertal und Eldar erklären, warum die Siedlungen zu einer akuten Bedrohung für die Demokratie und die Existenz des Landes werden konnten. Schonungslos demaskieren sie eine heuchlerische Politik, die medienwirksam ein paar unbedeutende Häuser in einer Scheinsiedlung niederreißen lässt, um den Ausbau der großen, "vorgeblich legalen" Siedlungen zu kaschieren.
Auch der Rückzug Israels aus dem Gazastreifen habe keine "neue Ära" eingeleitet, vielmehr habe sie "nur zu größerem Hass, größerer Zerstörung und größerer Hoffnungslosigkeit" geführt. Zertal und Eldar kritisieren scharf den Bau der Mauer, die nicht nur die Bewegungsfreiheit der Palästinenser in ihrem eigenen Land behindere, sondern gleichzeitig Israels Legitimität sowie seine moralischen und sicherheitspolitischen Grundsätze zerstöre. Von daher könne nur der Rückzug aus den 1967 besetzten Gebieten Israel retten, lautet das Fazit der beiden Historiker.
Ausführlich berichten die Autoren über den Arzt Baruch Goldstein, den so genannten "Heiligen" von Hebron, der am 25. Februar 1994 in einer Moschee 24 Menschen tötete und 125 verletzte. Drei Tage nach dem Massaker erklärte Ministerpräsident Yitzhak Rabin, der Massenmörder habe das Ziel verfolgt, das Werk des Friedens zu zerstören. Der damalige Chef des Inlandsgeheimdienstes Shin Bet, Mati Steinberg, bewertet dieses Massaker rückblickend als Auslöser für die Terrorpolitik der Hamas.
Dass die extremistischen Teile der Siedlerbewegung und ihre religiösen Anführer eine große Gefahr für den Staat Israel sind, wusste wie kein anderer Ministerpräsident Rabin. Er scheute sich nicht, dieses "Unkraut" der zionistischen Bewegung öffentlich zu kritisieren: "Sie sind dem Judentum fremd, gehören nicht zu uns (...) Ihr seid nicht Teil der israelischen Gesellschaft. Ihr seid nicht Teil des demokratischen, nationalen Lagers (...) Ihr seid eine Schmach für den Zionismus und ein Schandfleck für das Judentum." Am 4. November 1995 wurde Rabin von einem jüdischen Extremisten ermordet, der glaubte, so "das jüdische Volk vor einem erneuten Holocaust zu retten und das Kommen der Erlösung herbeizuführen".
Die Herren des Landes. Israel und die Siedlerbewegung seit 1967.
DVA, München 2007; 576 S. 28,80 ¤