Videokontrollen
Befugnisse sind wohl zu vage formuliert
Das Wechselspiel zwischen Politik und Bundesverfassungsgericht ist fast so alt wie die Republik: Der Gesetzgeber legt vor, Karlsruhe mahnt, korrigiert oder kassiert das Projekt gleich ganz ein. Beim Thema innere Sicherheit steckt hinter dem Gewaltenteilungs-Pingpong seit einigen Jahren ein Grundkonflikt. Die Politik dringt unter dem Eindruck neuer Gefahren - realer wie gefühlter -auf eine restriktivere Lesart der Freiheitsrechte. Die höchsten Richter indes wägen den Nutzen für die Sicherheit unbeirrt gegen die grundrechtlichen Kosten ab - oft genug zugunsten der Freiheit.
So war es auch bei der jüngsten Anhörung zu den Videokontrollen von Autokennzeichen, mit deren Hilfe in acht Bundesländern ein automatisierter Abgleich der Nummern mit den Fahndungslisten des Bundeskriminalamts vorgenommen wird. Schon jetzt ist absehbar, dass die beiden auf dem Prüfstand stehenden Polizeigesetze Hessens und Schleswig-Holsteins das Bundesverfassungsgericht nicht unbeanstandet verlassen werden: Wenn die skeptischen Fragen der Richter während der Verhandlung nicht täuschten, sind die Befugnisse zu vage formuliert und die juristischen Sicherungen gegen einen Missbrauch - Stichwort Bewegungsprofile - zu dürftig ausgefallen. Außerdem könnte Karlsruhe den Ländern die Zuständigkeit absprechen: Zwar ist Gefahrenabwehr Ländersache, doch für die Strafverfolgung ist der Bund zuständig. Womit sich der Kennzeichen-Scanner in die Reihe von Lauschangriff, Rasterfahndung und vorbeugender Telefonüberwachung einreihen dürfte - also jener Gesetze, die wegen Kollision mit Datenschutz und Privatsphäre in Karlsruhe zurückgestutzt wurden.
Dahinter lauern indes einige der großen Fragen aus dem Feld der inneren Sicherheit, die das Gericht in den kommenden Jahren immer wieder beschäftigen werden. Zum Beispiel: Wie weit dürfen die Sicherheitsbehörden in die Datensphäre unverdächtiger Bürger eindringen? Oder: Welche Grenzen setzt das Grundgesetz einer Massenüberwachungstechnik, die schon jetzt gigantische Möglichkeiten erkennen lässt. Würden all die gescannten Kennzeichen - die derzeit nur im Trefferfall gespeichert werden -in einem Zentralcomputer verarbeitet, ließen sich die Reisewege von 55 Millionen Fahrzeugen in Deutschland jederzeit abrufen.
Solche Fragen stellen sich anderswo ähnlich, ob bei der Videoüberwachung oder bei der Ortung von Handys: Der automatisierte Massenabgleich könnte ein zukunftsträchtiges Fahndungsinstrument werden, falls Karlsruhe nicht bremst.
Die Infrastruktur steht übrigens bereits: Die Mautbrücken - die Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) gern zur Fahndung nutzen würde - filmen schon jetzt alle vorbeifahrenden Fahrzeuge, auch wenn nur die Laster durch den Computer gejagt werden.