REGENWALD
Monokulturen haben die Urwälder verdrängt. In Brasilien boomt der Anbau von Eukalyptusbäumen, dem Grundtoff für Zellulose. Segen für die strukturschwache Wirtschaft - und Fluch für die indianischen Ureinwohner.
In Reih und Glied wie Soldaten einer preußischen Kompanie wachsen sie in die Höhe: schlanke, hellbraune Stämme, im Abstand von Fußballtorpfosten aufgestellt. 15, 20, 25 Meter darüber die Kronen aus mintgrünem Blattwerk. Und das Erstaunlichste: Ganz still sind sie, die Eukalyptus-Bäume. Denn hier in Barra do Riacho, in Sichtweite der Atlantikküste im ostbrasilianischen Bundesstaat Espirito Santo, erzählen sich die Forstingenieure: Wer leise durch die Plantagen spaziert, höre die Bäume wachsen. Das ist ein Witz. Aber Tatsache ist, dass die Bäume dem Himmel entgegen schießen, zwei Zentimeter pro Tag. Eukalyptus-Bäume wachsen hier im Osten Brasiliens wie anderswo Unkraut. In sechs Jahren werden aus kleinen Setzlingen 30 Meter hohe Bäume, die dann zu Zellstoff verarbeitet werden. Eine nordeuropäische Stangenfichte braucht mindestens drei Mal so lange, bis sie ähnlich hoch ist.
Vielleicht wird aus dem Eukalyptussetzling 11.097 mal ein Stapel Urlaubsfotos. Vielleicht endet er aber auch nur als Klopapier. Die Zukunft von 11.097 ist ziemlich ungewiss, als er vom Pflanztraktor in die beige-braune Tonerde gedrückt wird, gefolgt vom ausgiebigen "Pfffft" einer schleimigen Gel-Ladung Dünger. Mit ziemlicher Gewissheit lässt sich allerdings sagen: Der jetzt kniehohe 11.097 wird in sechs Jahren hoch genug für die Ernte sein. 11.097 und die anderen Setzlinge, die die Pflanzmaschine alle drei Meter in die Erde steckt, stehen auf einer vor kurzem abgeernteten Plantage.
Angebaut hat sie die Firma Aracruz, Weltmarktführer für die Zellstoffherstellung aus Eukalyptus und damit einer der ganz großen Player in einer wortwörtlichen "Wachstumsbranche". "Computer hin, Digitalkameras her - der Papiermarkt wird größer", sagt Carlos Aguiar, der Vorstandsvorsitzende von Aracruz. In Europa und Nordamerika, sagt er, verbrauche man bis zu 300 Kilogramm Papier pro Jahr pro Kopf, in den Boommärkten Asiens weniger als 50 Kilogramm. Da gibt es viel Wachstumspotenzial - der Aracruz-Chef reibt sich zufrieden die Hände.
Früher wurden Zellstoff und Papier überwiegend in Kanada und Skandinavien produziert. Heute ist Brasilien der drittgrößte Exporteur, über die Hälfte davon geht nach Europa. Ein Großteil des brasilianischen Zellstoffes stammt von hier, aus dem atlantischen Regenwaldstreifen. Gabriel Rezende erklärt, warum das so ist. Er ist hier der "Waldverbesserungsmanager": Seine Firma habe die Produktivität in 20 Jahren von 22 Kubikmetern Holz pro Jahr und Hektar auf mehr als das Doppelte gesteigert. Ein Grund für das Turbo-Wachstum: die im Übermaß vorhandenen Produktionsfaktoren Sonne und Regen. Ein weiterer: das systematische Herauskreuzen optimaler Baumsorten.
Für das Verfahren hat die Firma in den achtziger Jahren einen Preis vom schwedischen König verliehen bekommen. "Baumsex ist hier Alltag", sagt Rezende. Die besten weiblichen werden so lange mit den besten männlichen Baumsprösslingen zusammen gemendelt, bis die Genmischung passt.
In der "Babystation", wie Aracruz seine eigene Baumschule nennt, ist es stickig wie in der Sauna nach einem Aufguss. Unter Plastikplanen schneiden Frauen in weißen Gummistiefeln Zigtausenden von Eukalyptus-Jungpflanzen die Blätter ab und topfen sie in hüfthohe Betonbeetkästen. Eine Fabrikationsstufe weiter sind die Setzlinge schon 20 Tage alt - der Baumkindergarten, sozusagen. Nur die besten Minibäume wie 11.097 kommen raus in die Plantage.
Denn nur ein Baum, der schnell wächst, robust gegen Schädlinge und Krankheiten ist und dann in der Zellstoffverarbeitung möglichst wenig Chemikalien zur Auslösung der Zellulose braucht, ist ein guter Baum. Europäische Papier- oder Zellstofffabriken bekommen ihr Rohmaterial oft über Hunderte von Kilometern angeliefert. Die Aracruz-Zellstofffabrik in Barra do Riacho - die größte der Welt - hingegen hat den Rohstoff direkt vor der Werkstüre liegen: Eukalyptus-Plantagen weit und breit. Auf Feld 5.602 ist heute Erntetag. Der schwarze Kettenbagger greift sich einen Stamm. Ein kurzes Schütteln, schon segelt der Baum zu Boden, wie ein Spargelschäler rasiert der Schneidekopf Äste und Rinde ab. Das Holz kommt auf Stapel und wird dann in die Zellstofffabrik gekarrt. Ein Anbauvorgang so rationell wie das Pflanzen von Radieschen.
Die Produktionskosten für Zellstoff liegen bei Aracruz bei rund 250 US-Dollar pro Tonne. Damit ist die Firma fast halb so billig wie ihre europäischen Konkurrenten. "Wir sind ein Wachstumsmotor", sagt Firmenchef Aguiar. Aracruz sei in den vergangenen Jahren drei mal so schnell gewachsen wie das brasilianische Bruttoinlandsprodukt. "Es ist wichtig für Brasilien, dass auch hier auf dem Land Jobs geschaffen werden. Ansonsten gibt es hier ja nichts", sagt Aguiar.
Doch das sehen nicht alle so. "Mein Name ist Jaguar, ich bin hier Häuptling", sagt der Mann mit dem blau-grün schimmernden Federschmuck auf dem Kopf und den rot aufgemalten Streifen auf den Wangen. Es könnten Kriegsfarben sein, die Jaguar über seiner Jeans trägt, denn er und einige andere indigene Führer vom Stamme der Guaraní und der Tupinikim haben Aracruz den Kampf angesagt: "Das Papier, das hier produziert wird, ist nicht sauber, es klebt Blut daran." Aracruz schafft riesige Probleme, für den Menschen und für den Wald. Die Firma, kritisiert Jaguar, habe den Indianern vor 40 Jahren Land geraubt und beute es seither illegal aus. Der Eukalyptus schlürfe die Grundwasservorräte leer, die Monokulturen verscheuchten viele wertvolle Arten aus dem Regenwald. Und von den ganzen Gewinnen, die Aracruz einfährt, profitiere eine kleine privilegierte Gruppe von Arbeitern - auf Kosten der Umwelt, auf Kosten der Indianer.
Blut am Taschentuch? Das will keiner sehen. Darauf baut die deutsche Nichtregierungsorganisation "Robin Wood" und fährt seit bald zwei Jahren eine Kampagne gegen den Procter&Gamble-Konzern, der aus Aracruz-Zellstoff "Tempo"-Taschentücher macht: Transparente vor der Taschentuch-Fabrik in Neuss, eine Aktionsfloßfahrt über den Rhein und sie haben drei Tonnen Altpapier vor das Werkstor gekippt.
Dazu noch die Aktionen der Indianer vor Ort: Werksbesetzungen, Demonstrationen- das gab hässliche Bilder von Polizeieinsätzen in den Zeitungen. "Rund 30 Unternehmen aus Deutschland beziehen Zellstoff von Aracruz, die haben mittlerweile schon Angst bekommen", sagt Peter Gerhardt von Robin Wood. Inzwischen hat Procter&Gamble die "Tempo"-Sparte sogar verkauft. Und die brasilianischen Richter hören den Indianern mittlerweile ziemlich genau zu. 11.000 Hektar Wald, die Aracruz beackert, haben sie bereits den Indianern zugesprochen.
Carlos Roxo leidet unter solchen Vorwürfen. Er ist Nachhaltigkeitsbeauftragter bei Aracruz. Nachhaltigkeit, sagt er, sei wichtig für Aracruz. Seine Firma habe kein Indianerland gestohlen. Er könne das belegen mit Karten aus dem 16. und mit Fotos aus dem 19. Jahrhundert. Man könnte Roxo nachts um drei aufwecken, und er würde herunterbeten, wie wenig Dünger pro Hektar der Aracruz-Eukalyptus im Vergleich zu anderen Arten braucht - 317 Kilo; Und er weiß genau, wie viele Arten von Singvögeln, Naturbäumen und Insekten es in den Aracruz-Plantagen gibt. Außerdem: Die Firma finanziere Krankenhäuser, Schulen, Lehrerseminare. "Die Menschen", sagt Roxo, "kommen jeden Tag 60 Kilometer gefahren, um bei uns arbeiten zu können." Sie kommen auch, damit Eukalyptussetzling 11.097 in Ruhe groß werden kann.