WALDZUSTANDSBERICHT
Die Schädigung auf hohem Niveau hält an. Wirklich gesunde Bäume gibt es kaum noch.
Ein Wald, hat Robert Musil einmal angemerkt, sei eine Versammlung von "Bretterreihen, die oben mit grün verputzt sind". Musil hat dabei wohl Fichtenmonokulturen vor Augen gehabt, wie sie im Januar 2007 bei den Orkanen des Tiefs Kyrill reihenweise zu Boden fielen. Dieser Wintersturm hat erneut jene Baumart am stärksten getroffen, die nicht nur der Brotbaum der deutschen
Förster ist, sondern der zugleich auch ein erstes Opfer des Klimawandels
sein könnte: 90 Prozent der umgefegten Bäume waren Fichten. In den Wäldern ist das "global warming" längst angekommen: Während der
letzten 30 Jahre haben sich Blattentfaltung und Blüte um sechs Tage nach vorne geschoben. Der Frühling kommt eine Woche eher, und der Laubfall im Herbst tritt fünf Tage später ein, rechnet die Schutzgemeinschaft Deutscher Wald vor.
Eine Studie des Bundesamtes für Naturschutz geht davon aus, dass infolge der weiteren Erwärmung des Klimas mindestens fünf, womöglich 30 Prozent der Tier- und Pflanzenarten innerhalb weniger Jahrzehnte verschwinden. Sei es, dass sie in für sie klimatisch günstigere Zonen abwandern oder aussterben. Die deutschen Wälder, das zeigt sich immer deutlicher, befinden sich in einem Wandel, der von immer neuen Gefahren, denen die Bäume trotzen müssen, gekennzeichnet ist. Die Formel, wonach Abgase aus Industrie, Verkehr sowie, was häufig unterschlagen wird, Landwirtschaft den Wald direkt schädigen, geht nicht mehr auf. Der Angriff auf den deutschen Wald ist subtiler geworden: Mehr und mehr geraten die Vorboten des Klimawandels in den Fokus. Anfang der 80er Jahre schrillten die Alarmglocken noch aus einem ganz anderen Grund: Giftiger Schwefelqualm aus Kraftwerken und Industrie drohte die Wälder zu vernichten, der "saure Regen" wurde zum Symbol. Zwar blieb das befürchtete "Waldsterben" aus, weil massive Investitionen in teure Filtertechnik in Fabriken und Kraftwerken die Unheil bringenden Schwaden stoppten. Doch von einem gesunden Wald kann bis heute keine Rede sein. Im Gegenteil: Vor allem die deutsche Eiche ist ein kranker Baum. Um diese Entwicklung zu dokumentieren, um ein Bild darüber zu geben, wie es um den deutschen Wald steht, wurde 1984 der jährliche Waldschadensbericht aufgelegt, der inzwischen zum Waldzustandsbericht mutierte. Bundesweit werden aus einem über das Land verteiltem Rasternetz mit einer Kantenlänge von acht Kilometern an den Schnittpunkten jeweils 32 Bäume von den dafür besonders geschulten Förstern begutachtet. Wichtigstes Merkmal für den Bericht sind dabei die Nadel- und Blattverluste im Vergleich zum optimalen Bild. Beobachtungen des Einflusses von Pilzen, Insekten und anderen Faktoren sowie Erhebungen zur Waldernährung und zum Bodenzustand ergänzen die Studien. Jedes Jahr im Herbst informieren die Länder über die Belaubung der Bäume. Im Januar folgte bislang diesen Länderberichten inzwischen schon fast traditionell die bundesweite Zusammenfassung, vorgetragen vom Bundeslandwirtschaftsministerium.
Diese Präsentation, das umfassende Resümee, fällt künftig aus. Während mindestens waldreiche Länder wie Hessen nicht nur an der (weiter vorgeschriebenen) Erhebung der Daten, sondern auch an der Publizierung der Auswertung zunächst festzuhalten scheinen, soll die Bundes-Bilanz im Zuge der Straffung des gesamten Berichtswesens des Bundes drastisch eingeschränkt werden. Die Gesamtanalyse wird nur noch einmal innerhalb einer Legislaturperiode erscheinen - also alle vier Jahre. Zwar denken auch die Länder darüber nach, wie man den Bericht kostengünstiger abfassen könnte. Doch, so etwa im Haus des hessischen Forstministers Wilhelm Dietzel, geht es dabei zunächst nur um den Druck der zur Zeit noch sehr aufwändig gestalteten Broschüre, die jedes Jahr erscheint. Denkbar sei, die Materialien lediglich im Internet zu veröffentlichen. Bundesweit hingegen würde der Zustands- in den allgemeinen "Gesamtwaldbericht" der Bundesregierung aufgehen, wie er zuletzt 2001 erschienen war und wie er ebenfalls einmal je Legislaturperiode vorgelegt werden soll. Diese Zustandsbeschreibung hat bisher allerdings ganz andere Aufgaben: Denn diese betrachtet den Wald global, beschreibt den Raubbau der Wälder in den Tropen, beobachtet die "ökologische, sozio-kulturelle und ökonomische Bedeutung sowie aktuelle Gefährdungen der Wälder der Erde".
Immerhin hielt auch dieser Bericht bereits 2001 fest: "In Deutschland selbst bereiten Immissionsschäden und Waldzerschneidungen durch Infrastruktur weiterhin die größten Sorgen". Dabei zeigen manchmal auch kleinere Veränderungen große Wirkung. So hatte der Parlamentarische Staatssekretär des Bundeslandwirtschaftsministeriums, Peter Paziorek (CDU), noch im Januar festhalten können, der Kronenzustand der Bäume habe sich nur "wenig geändert", und es gebe sogar eine leichte Tendenz "zur Besserung". Doch damit attestiert das Ministerium letztlich nur eine Schädigung der deutschen Wälder auf dem fast unverändert hohem Niveau der letzten Jahre. Das zeigt ein Blick in die Details des Waldzustandberichtes: Denn vor allem die Buche, von Natur aus "der" Baum der deutschen Mittelgebirge, ist stark betroffen von den Baumkrankheiten. Über alle Altersstufen hinweg zeigt die Hälfte aller Buchen deutliche Kronenverlichtungen.
Nur geringfügig besser steht es um die Eichen, die gerade 2005 sehr stark von Blatt fressenden Insekten befallen waren. Das Bild fällt drastischer aus, filtert man die jungen, bis zu 60 Jahre alten Bäume aus der Gesamterhebung heraus. Dann weisen gleich 58 Prozent der Buchen deutliche Schäden (Eichen: 55 Prozent) auf, es waren 2004 sogar schon mal 65 Prozent, wobei die Schädigungen 2006 gegenüber dem Vorjahr wieder angestiegen sind. Mitte und Ende der 80er- Jahre aber, als die Erhebungen begannen, lagen die Werte bei vergleichsweise läppischen neun bis allenfalls 25 Prozent. Damals man vom "Waldsterben", trotz des milden Schadensniveaus. Heute ist dieser Begriff verpönt und vermutlich der Sache auch nur bedingt angemessen. Dabei gibt es kaum noch gesunde Bäume: Je nach Baumart sind gerade noch zwischen fünf und neun Prozent der mehr als 60 Jahre alten Forstbäume völlig frei von Symptomen, wie der Blick in den aktuellen Waldzustandsbericht des Bundes zeigt. Einen neuen Bericht wird es erst wieder in der nächsten Legislaturperiode geben.