Herr Professor Schulze, der deutsche Wald gilt seit langem als geschunden. Wie geht es ihm heute?
Die Waldschadenserhebung zeigt keine grundsätzliche Verbesserung, aber auch der erwartete dramatische Fortschritt der Waldschädigung ist nicht eingetreten. Die Sanierung der Wälder hat funktioniert; es gibt kaum noch einen Quadratmeter Waldboden, der nicht gekalkt ist. Die Reduzierung der Schwefeldioxid-Emissionen war ein entscheidender Schritt. Die gründliche Durchforstung mit einer Reduktion der Bestandsdichte tat dem Wald gut. Die tiefen Bodenschichten sind nach wie vor versauert und es ist weiterhin unklar, inwieweit Ozon und Trockenheit zusätzlichen Stress bedeuten.
Was ist Ihre Meinung?
Ozon ist ein wichtiger Stressfaktor für die Laubgehölze. In Kombination mit den anderen Faktoren sorgt es für eine höhere Anfälligkeit vor allem der Buche.
Derzeit wird überall das Problem der Erderwärmung diskutiert. Von Steigerungen der Durchschnittstemperatur um zwei bis zu sechs Grad Celsius bis zum Jahr 2010 ist die Rede. Was sagen Sie zu diesen Prognosen?
Es gibt bereits Vorhersagen, dass von 2009 an jedes zweite Jahr ein klimatisches Extremjahr werden wird. Internationale Panels sind jedoch vorsichtig mit Angaben zur Erderwärmung - zu Recht, denn es hängt tatsächlich vom Verhalten des Menschen ab, wie sehr sich die Durchschnittstemperatur verändern wird.
Wie werden sich die Temperaturänderungen auf den Wald auswirken?
Für den Wald ist die Feuchtigkeit entscheidender. Die Waldkiefer beispielsweise hält die unterschiedlichsten Temperaturen aus, wie ihre Verbreitung vom Atlantik über Sibirien bis ans koreanische Meer zeigt. Die Buche hingegen ist im Osten Europas gefährdet durch Spätfrost, im Süden durch Trockenheit, im Westen durch Krankheiten wie die Weißfäule und im Norden durch die niedrige Wintertemperatur. Änderungen im Sommerniederschlag als Folge einer Erderwärmung könnten gewaltige Auswirkungen auf den Wald haben.
Sie haben die Durchforstung bereits angesprochen. Welchen Beitrag kann die Forstwirtschaft zum Klimaschutz leisten?
Der Wald ist ein wertvoller Kohlenstoffspeicher. Die Senkenwirkung des Waldes, also seine Fähigkeit, CO2 aus der Luft zu binden, ist international seit dem Kyoto-Protokoll anerkannt. Je mehr Zeit ein Baum zum Wachsen hat, desto länger kann er diesem Zweck dienen. Deshalb sollte bei der wirtschaftlichen Nutzung der Schwerpunkt auf langlebige Hölzer und die Erzeugung langlebiger Holzprodukte gelegt werden.
Welche sind das?
Die Produktion von Sägeholz beispielsweise für die Möbelindustrie ist ökologisch sinnvoller als die kurzfristige Aufzucht von Energieholz zum Verbrennen. Der Wald wird sich aber vor allem durch veränderte Vorgaben in der Bewirtschaftung verändern.
In welcher Hinsicht?
Es wird in der Forstwirtschaft nicht mehr auf Altersklassen, sondern auf Zieldurchmesser hin gearbeitet. Dadurch wird der Wald zwar stufiger aufgebaut, aber gleichzeitig bewirkt die neue Bewirtschaftung einen Abbau der Vorräte. Es werden mehr jüngere Bäume eingeschlagen, die einen bestimmten Zieldurchmesser erreicht haben.
Sie haben sich mit ihrem Hinweis Kritik eingehandelt, dass die Landwirtschaft, durch die Lockerung der Erdkrume dazu beitrage, dass CO2 auch über den Boden auf das Klima einwirkt und nicht nur über die Luft...
Es ist schon richtig, dass vor allem Indus-trie- und Verkehrsabgase den Klimawandel in Gang setzen. Aber zusätzlich wird Kohlendioxid aus den Böden freigesetzt, wenn sie intensiv bearbeitet werden. Böden speichern drei- bis viermal soviel Kohlenstoff wie die Atmosphäre; durch die mechanische Bearbeitung des Bodens werden frische Biomasse und Sauerstoff in tiefere Bodenschichten gebracht. Damit wird der dort vorhandene Kohlenstoff von Bakterien abgebaut und in CO2 umgewandelt.
Die Landwirtschaft als Klimakiller?
Ganz so einfach ist das nicht. Die Erdoberfläche wäre in der Lage, 1,8 Gigatonnen (1,8 Milliarden Tonnen) Kohlenstoff zu binden. Diese Möglichkeit wird aber zu 80 Prozent durch menschliches Handeln kompensiert. Wenn man Wälder vernichtet, um die Flächen landwirtschaftlich zu nutzen, schränkt man diesen Effekt nicht nur ein, sondern kehrt ihn um.
Eine Beschränkung der landwirtschaftlichen Nutzung könnte dies nicht vermeiden?
Klimapolitisch steht zunächst der Schutz der Wälder im Vordergrund. Holzwilderei, die wir aus tropischen Gebieten kennen, ist die Vorstufe zum Abholzen, danach kommt meist eine zeitlich befristete landwirtschaftliche Nutzung mit den beschriebenen Effekten, die dann in eine Brache übergeht. In diesem Prozess wird sehr viel CO2 an die Atmosphäre abgegeben.
Was sollte ihrer Meinung nach getan werden, um diese Art der Holznutzung in Zukunft zu verhindern?
Man darf nicht vergessen, dass Holzwilderei dort funktioniert, wo die Wälder keinen Eigentümer haben. Warum geht eine Initiative zur Rettung der Wälder, die mittlerweile von 40 Entwicklungsländern getragen wird, ausgerechnet von Papua-Neuguinea aus? Weil dort die Waldbestände unter einheimischen Familienclans aufgeteilt sind. Die haben natürlich ein großes Interesse daran, dass ihnen niemand ihre wirtschaftliche Basis nimmt. Sie können Forderungen stellen, aber auch in die Verantwortung genommen werden.
Aber diese Clans haben doch auch ein Interesse daran, Holz zu exportieren. Müsste sich da nicht auch das Konsumverhalten in den Industrieländern ändern?
Eine Änderung im Konsumverhalten wäre eine Möglichkeit. Die heimische Robinie beispielsweise weist die gleichen Qualitäten und die gleiche Optik auf wie Teakholz. Es gibt in Thüringen etwa 50 Holzarten, die jeden beliebigen Farbton in der Möbelgarnitur herstellbar machen.
Was halten Sie in diesem Zusammenhang von Zertifizierungssiegeln der Holzwirtschaft?
Ich persönlich halte von der Zertifizierung nicht viel, denn in den Tropen erfolgt zunächst eine Rodung des Primärwaldes ehe eine zertifizierte Farm aufgebaut wird. Der Primärwald wird damit nicht gerettet. Bei der Zertifizierung geht es vor allem um die Nachhaltigkeit der Erzeugung von Produkten. Der Klimaschutz benötigt aber einen nachhaltigen Erhalt der Vorräte.
Im Dezember wird die Weltklimakonferenz auf Bali stattfinden. Weshalb wird dort der Schutz des Waldes als eigene Verhandlungskategorie geführt?
Wegen seines Potenzials zur Verbesserung der Klimabilanz. Auch der 4. Klima-Report der Vereinten Nationen, der IPCC-Bericht, zeigt, dass ein großer Teil der terrestrischen Fotosyntheseleitung verloren geht durch Emissionen aus Landnutzung und Landnutzungsänderungen.
Welche politischen Forderungen ergeben sich daraus?
Die Menge dieser Emission ist um ein Vielfaches größer als die Reduktionsziele des Kyoto-Protokolls. Wir sprechen hier von einem Prozess, der das politische Ziel einer Reduktion fossiler Brennstoffnutzung stört oder gar kompensiert. Das heißt, die Atmosphäre spürt nichts von unseren Anstrengungen im technischen Bereich, wenn weltweit weiterhin große Waldflächen abgeholzt werden.
Welche konkreten Erwartungen verbinden Sie mit der Konferenz in Bali?
Schon nach der Konferenz von Den Haag sind Vorschläge für eine vollständige Kohlenstoffbilanz der Länder gemacht worden. Hier müssen wir weiterarbeiten, um exaktere Aussagen über die CO2-Senkenwirkung und -quellen und deren klimatische Beeinflussung treffen zu können.
Glauben Sie denn, dass Ihr Anliegen, die Böden als CO2-Emissionsquelle in den klimapolitischen Prozess einzubeziehen, Gehör finden wird?
Verbindliche Vorschriften zur Beschränkung der Nutzung fossiler Brennstoffe sind gewiss notwendig und schwierig genug zu erreichen. Aber ich würde es bedauern, wenn es dabei bliebe. Aussagen zur Landnutzung und zum Schutz der Erdoberfläche sind meines Erachtens ebenso wichtig.
Wissenschaftliche Daten sind ja nicht unerheblich für politische Entscheidungen; welchen Beitrag leisten Ihre Untersuchungen dazu?
Das Messnetz von CarboEurope ist das einzige weltweit, das die technischen und biologischen Prozesse trennt, und die Gesamtsumme des Kohlenstoffdioxids in der Atmosphäre nachweist. Dabei werden - vereinfacht gesagt - Daten aus der Atmosphäre mit exakteren regionalen Messungen verglichen, um die noch bestehenden Unsicherheiten über den CO2-Gehalt der Atmosphäre zu benennen und zu quantifizieren. Nach der ersten Projektphase von CarboEurope konnten wir in der terrestrischen Biosphäre Kontinentaleuropas eine geschätzte Netto-Kohlenstoffsenke zwischen 135 und 205 Terragramm pro Jahr, das heißt zwischen 135 und 205 Millionen Tonnen, feststellen. Das entspricht sieben bis zwölf Prozent der 1995 von Menschen verursachten Kohlenstoffemissionen.
Welche Erhebungsverfahren halten Sie in für sinnvoll und wie beurteilen Sie, das der Waldzustandsbericht nur noch alle vier Jahre erstellt werden soll?
Die Bundeswaldinventur ist ein nötiges Planungs- und Überwachungsinstrument, um uns im internationalen Konzert um die Waldfunktion zu behaupten. Auch der Waldzustandsbericht ist grundsätzlich zu begrüßen; allerdings wird die Prognose bei einer großräumigen Erfassung erschwert, wenn der Untersuchungszeitraum vier Jahre betragen soll. Wenn die Veränderungen der Zwischenjahre fehlen, wird es noch schwieriger, die Ergebnisse zu interpretieren.
Wir haben bislang darüber gesprochen, was der Wald für uns Menschen tut. Aber was können wir für den Wald tun?
Der Wald ist in vieler Hinsicht auch ein öffentliches Gemeingut, das in den unterschiedlichsten Formen zur Erholung genutzt wird, allerdings ohne Gegenleistung. Wenn man davon ausgeht, dass der Wald unschätzbare Dienste für unser Wohlbefinden leistet, müsste man bereit sein, dafür einen Preis zu zahlen.
Das Interview führte Astrid Pawasser. Sie ar-beitet als freie Journalistin in Dresden.